Mucksmäuschenstill

Über den Horror-Thriller „A quiet Place“ des US-amerikanischen Regisseurs John Krasinski
Illustration zu einem Beitrag über den Horror-Thriller „A quiet Place“ des US-amerikanischen Regisseurs John Krasinski

Furchterregende, blutrünstige und blitzschnelle Aliens, die mit ihren riesigen Krallen Wände aus Stahl zerschneiden, als wäre es Butterkuchen, und die daher die Weltherrschaft übernommen bzw. uns Menschen diese Herrschaft entrissen haben… Wenn es nur darum ginge, wäre „A quiet Place“ ein Alien- Horror-Thriller, wie es hunderte gibt – und daher kein Thema für diesen Blog, völlig uninteressant. Doch die Aliens in „A quiet Place“ haben eine Besonderheit: sie können zwar nicht sehen, dafür jedoch extrem gut hören…

„A quiet Place“ – laut- und geräuschlos überleben

Von Haifischen wird behauptet, dass sie Blut über Kilometer hinweg riechen können, ein paar Tropfen reichen aus. Aber das ist Quatsch. Haie können zwar ziemlich gut riechen und Blutgeruch lockt sie an. Viel eher jedoch bemerken sie Schallwellen, die entstehen, wenn etwas im Wasser paddelt oder zappelt. Und die Aliens in „A quiet Place“ funktionieren ungefähr wie Haie – bzw. so, wie man sich Haie vorstellt, nur ohne Wasser:

Jedes kleine Geräusch lockt die fürchterlichen Aliens an. Hat ihr feiner Hörsinn dich einmal geortet, entkommst du ihnen nicht mehr. Es sei denn, ein anderes Geräusch lenkt die Aliens von dir ab. Ein Schall kann einen anderen maskieren bzw. verstecken. Tritt man in „A quiet Place“ hinter einem rauschenden Wasserfall, kann man sogar gefahrlos schreien. An jedem anderen Ort im Film wäre Schreien Selbstmord. (Wer des Lebens in „A quiet Place“ überdrüssig ist, ruft in den Wald hinein und ist innerhalb weniger Augenblicke Matsch.)

Soweit die Spielregeln der Welt in „A quiet Place“, aus der die Menschen fast ganz verschwunden sind. Bis auf Familie Abbott mit Vater Lee (Regisseur John Krasinski), Mutter Evelyn (Emily Blunt), Sohn Marcus (Noah Jupe) und Tochter Regan (Millicent Simmonds), die ihr Anwesen zu einer Art Festung umgebaut hat, um so laut- und geräuschlos wie möglich zu überleben. Alle Wege sind mit Sand überzogen, um die Schrittgeräusche zu dämpfen. Die Familie sucht Zuflucht in einem schallisolierten Raum. Und wenn sie Monopoly spielt, dann mit Spielfiguren aus Stoff…

Überleben oder Tod – wenn jedes Geräusch entscheidet

Ob und wie Familie Abbotts Überlebenskampf gelingt, wird hier nicht verraten. Die Abbotts sind in besonderer Weise für diesen Kampf gerüstet: Wo jedes gesprochene Wort tödlich sein könnte, kann sich die Familie in Gebärdensprache verständigen. Tochter Regan ist gehörlos; hören kann sie allein mit einem Cochlea-Implantat (das im Film noch eine wichtige Funktion haben wird). Darstellerin Millicent Simmonds – die im Film „Wonderstruck“ das Mädchen Rose mit den großen, alles durchdringenden Augen spielt – ist gleichfalls CI-Trägerin.

Filmbild aus dem Horror-Thriller „A quiet Place“, gemischt mit einem Bild von einem reflexionsarmen Raum

Regisseur John Krasinski hatte vor seiner Arbeit an „A quiet Place“ eigentlich keinerlei Bezug zu Thriller, Horror und ähnlichen Dingen. Vermutlich eine sehr gute Voraussetzung, um einen Horror-Thriller zu schaffen, der unkonventionell und wirklich überraschend ist: Abgesehen von Gebärdensprache gibt es keinerlei Dialoge, denn die würden nur die Aliens locken. Jedes Geräusch kann den Tod bringen. Also hat jedes Hintergrundgeräusch, das man im wahren Leben oder in dröhnenden Blockbustern gar nicht beachten würde, in „A quiet Place“ große Bedeutung.

Schall, der uns so belanglos erscheint, dass wir ihn nicht wahrnehmen, wird plötzlich überlebenswichtig. Aus dieser völligen Verkehrung des Hörbaren wird Ohrenkino mit Dauerspannung. Der Zuschauer achtet auf jedes Rascheln oder Knacken. Jeder Schritt könnte der letzte sein –gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet.

„All die kleinen Details haben dieses bedrohliche Potenzial“, so Erik Aadahl, der zusammen mit Ethan Van der Ryn (beide Hollywood-Klang-Legenden) Sound-Editor von „A quiet Place“ war. „Mit einem kleinen Fehler ist es vorbei. Dadurch wurden die Details so wichtig. Ich glaube, ich habe noch nie an einem Film gearbeitet, bei dem das Geräusch von Stoff an einer Person so wichtig ist, oder das Geräusch eines Fußes, der in Großaufnahme in den Sand tritt, so wichtig ist.“

Die Schritte der Familie im Sand, das Summen der menschenleeren Natur… – ein Großteil der Geräusche in „A quiet Place“ wurde während der Dreharbeiten mitgeschnitten und später im Studio verstärkt.

„A quiet Place“ – die Sound-Modi der Aliens

Die Geräusche der Aliens konnte man natürlich nicht mitschneiden; die mussten die Sound-Editoren erfinden und dabei einiges beachten: Zum einen sollten die Aliens natürlich gruselig klingen. Doch zum anderen macht es wenig Sinn, wenn Aliens, die sich über das Gehör orientieren, selbst sehr laut sind. Hinzu kommt, dass im Film nicht gesprochen wird. Somit kann niemand erklären, wie das mit den Aliens und den Geräuschen funktioniert; der Zuschauer muss sich das selbst erschließen. Welche Wirkung die Rückkopplung von Regans Cochlea-Implantat auf die Aliens hat, müssen sich die Zuschauer gleichfalls aus dem, was sie sehen und hören, erschließen.

Illustration zu einem Beitrag über den Horror-Thriller „A quiet Place“ des US-amerikanischen Regisseurs John Krasinski

Passende Klänge für lauschende Monster-Aliens zu entwickeln, erinnerte mich an Alfred Hitchcock und die Casaba-Melone in „Psycho“. Erik Aadahl und Ethan Van der Ryn haben für die Aliens drei klanglich verschiedene Modi entwickelt: einer, in dem sie nach ihren Opfern suchen, einer, in dem sie sie angreifen, und einer, in dem sie sich zwischen den beiden anderen Modi befinden.

Für den Suchmodus verpassten die Sound-Editoren den Aliens so eine Art Sonar: Die Aliens sollten Geräusche in die Umgebung senden und die Schallreflexionen hören können. Sie sollten sich ungefähr wie Fledermäuse im Raum orientieren: „Sie sehen ihr Universum nur durch das, was sie hören“, so Erik Aadahl. „Wir stellten uns Lebewesen vor, die ähnliche Dinge tun, wie zum Beispiel Delfine, und begannen, mit den klickenden Geräuschen ihrer Stimmen zu spielen.“

Filmbild aus dem Horror-Thriller „A quiet Place“, gemischt mit einem Bild von einem reflexionsarmen Raum

Um die Modi der Aliens zu schaffen, wurden jeweils 25 verschiedene Sounds übereinandergelegt. – „Ich habe irgendwann festgestellt, dass besonders die Geräusche furchterregend sind, die wir zwar nicht genau einordnen können, aber bei denen wir trotzdem ungefähr verstehen, was für eine Funktion sie haben“, so John Krasinski. So würde zum Beispiel das klackernde Geräusch der Aliens an die Morse-Zeichen erinnern, mit denen Lee Abbott zu Beginn des Films nach Kontakt sucht. Auch die Aliens scheinen mit ihren klackernden Geräuschen zu kommunizieren. Nur weiß man nicht, was sie kommunizieren.

Neben natürlichen Alltags- und künstlichen Alien-Geräuschen nutzt „A quiet Place“ auch Musik. Erst wurde viel mehr Musik komponiert, als am Ende tatsächlich zu hören ist; sie wurde nach und nach wieder herausgenommen. Ganz weglassen wollte der Regisseur die Musik aber auch nicht. – „Als wir anfingen, die Musik herauszunehmen, war sie viel wirkungsvoller“, so John Krasinski. „Aber ich denke, wenn wir die Musik komplett herausnehmen, dann fragen sich die Leute plötzlich: ‘Was ist das? Ist das ein Stille-Experiment?’”

Horror-Thriller mit Cochlea-Implantat

Über die Figur der gehörlosen Regan haben die Macher von „A quiet Place“ anfangs lange diskutiert. „Ich erinnere mich, dass wir über Klang als Berührung sprachen, und dass für viele Gehörlose der ganze Körper fast wie ein menschliches Ohr ist, in dem man Vibrationen spürt“, so Erik Aadahl.

In den Gesprächen mit Darstellerin Millie und deren Mutter sei es auch darum gegangen, was und wie das Mädchen mit ihrem CI hört. Aus der besonderen Klanglandschaft des Films fällt die Figur der gehörlosen Tochter in gewisser weise heraus: Mit ihrer Hörtechnik hört sie anders und ohne diese Technik hört sie nichts. Nichts zu hören, ist eine sehr schlechte Voraussetzung, um in einer Welt zu überleben, in der man möglichst geräuschlos bleiben sollte. Wer lebt, ist hörbar – und sei es nur durch das Geräusch des eigenen Atems. Doch Gehörlose nehmen die Geräusche, die sie machen, nicht wahr. Sie sind daher eher nicht leise. So gesehen ist Regan Abbott in besonderer Weise gefährdet und auf den Schutz ihrer Familie angewiesen…

Illustration zu einem Beitrag über den Horror-Thriller „A quiet Place“ des US-amerikanischen Regisseurs John Krasinski

Doch die Filmheldin Regan Abbott ist keinesfalls hilflos. Sie ist vielmehr die stärkste Figur in „A quiet Place“. Und die Sound-Editoren schufen ihr eine eigene klangliche Perspektive: „Wir nennen ihre Perspektive ihre Hülle“, so Erik Aadahl. „Wir haben atmosphärische Umgebungsgeräusche wie Blätter und Wind aufgenommen und diese verstärkt, bevor wir in ihre Sichtweise geschnitten haben, damit wir diese Veränderung wirklich deutlich hören können.“ – Auch der Zuschauer (bzw. Zuhörer) wechselt immer wieder in die Hörperspektive des Mädchens und erlebt die stille, bedrohliche Welt mit ihr.

A quiet Place: „das Publikum zum hören zwingen“

Das Faszinierende an „A quiet Place“ ist, das er sein Publikum zwingt zu hören. Geräusche zu vermeiden, wird überlebenswichtig. Das erinnert an Soldaten im Krieg, für die das Erkennen und das Orten von Geschossgeräuschen überlebenswichtig ist, oder auch an Urzeit-Menschen, die ein gefährliches Tier zuerst hören mussten; es zu sehen, konnte schon zu spät sein.

“Ich wusste, dass der Ton eine wichtige Rolle in dem Film spielen würde, und wir mussten ihn voll ausschöpfen. Aber die Vorstellungen von dem, was möglich ist, werden exponentiell gesprengt, wenn man in die Nachbearbeitung geht”, sagt Krasinski. “Wenn man mit diesen unglaublichen Designern am Mischpult sitzt und einfach damit spielt, stellt sich die Frage: Wie weit kann man gehen? Wir hatten so viel Spaß…

Denn die Wahrheit ist, dass wir in dieser Welt nur noch sehr selten dazu kommen, innezuhalten und zuzuhören, vor allem, wenn man bedenkt, wie beschäftigt alle sind und wie viel in den sozialen Medien passiert. Also dachten wir, wäre es nicht cool, das Publikum zu zwingen, tatsächlich innezuhalten und zu hören, wie das Holz oder wie ein Maisfeld klingt?”

Filmbild aus dem Horror-Thriller „A quiet Place“, gemischt mit einem Bild von einem reflexionsarmen Raum

PS 1: Die Bilder zum Artikel über „A quiet Place“ zeigen Filmszenen gemischt mit einem reflexionsarmen Raum (der oft auch als schalltoter Raum bezeichnet wird).

PS 2: Die Zitate von John Krasinski stammen aus einem Interview, das IGN mit John Krasinski und seiner Filmpartnerin und Ehefrau Emily Blunt geführt hat. Die Zitate der Sound-Editoren Ethan Van der Ryn und Erik Aadahl stammen aus einem Interview von SYFYWIRE.

PS 3: Wer Nervenkitzel mag und nicht jünger als 16 ist, dem kann ich „A quiet Place“ uneingeschränkt empfehlen. Hier noch ein Trailer zum Teil 1 von „A quiet Place“, der 2018 ins Kino kam. „A quiet Place 2“ – ebenfalls ein Trailer – folgte 2021, und ich kann ihn ebenfalls empfehlen, zumal auch hier das Cochlea-Implantat eine ganz besondere Rolle spielt; außerdem gibt’s einen tollen Soundtrack. Teil 3 von „A quiet Place“ soll 2025 folgen.

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