Vier Etagen Klang

Über einen Besuch im Haus der Musik, Wiener Melange Teil 3
Illustration zum Artikel über das Haus der Musik auf www.die-hörgräte.de

Im dritten Teil der „Wiener Melange“ besuchen wir das Haus der Musik. – Haydn, Mozart, Beethoven, Wiener Walzer, Philharmoniker, Staatsoper… – Wien ist die Stadt der Musik, und Wien-Tourismus ohne Musik undenkbar. An jeder Ecke „Wiener-Klassik-Merch“ und Promoter in Mozart-Kostümen, in jedem Bezirk ein Geburts-, Sterbe- oder sonst ein -Haus oder Denkmal von einem der bedeutenden Komponisten, der neben all den anderen bedeutenden Komponisten auf dem Wiener Zentralfriedhof liegt – oder der dort wenigstens mit einem „Ehrengrabmal“ zugegen ist.

Kunst und Kitsch und ein Haus der Musik

Kunst und Kitsch und Fake liegen eng beieinander – vor allem, wenn es sich rechnet. Wer zum Beispiel das Beethoven-Haus im 19. Bezirk besucht, in dem Beethoven das so genannte Heiligenstädter Testament schrieb (in dem es um seinen Hörverlust geht), der wird wohl nie erfahren, ob er wirklich in dem Haus war, in dem Beethoven seinen nie verschickten Brief schrieb. Wahrscheinlich hat er den in einem Haus geschrieben, das es längst nicht mehr gibt. Aber das ist nicht wichtig. Beethovens Musik hat mit echten und falschen Häusern ohnehin nichts zu tun.

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Umso spannender die Frage, was ein Haus zu bieten hat, das nicht nur einem Komponisten, sondern gleich der ganzen Musik gewidmet ist. Bedeutend kommt das „Haus der Musik“ auf jeden Fall daher. Es ist ein „einzigartiges Klangmuseum“, das – nach eigenen Angaben – „spielerisch neue Zugänge zur Musik eröffnet“ und „über 3 Millionen BesucherInnen“ hatte… – Gleich vorweg: Das Museum ist mit sehr viel Aufwand gemacht, aber nicht alles im Haus der Musik hat mich überzeugt. Es bleibt jedoch genug, was ich empfehlenswert finde. Zudem ist es ein Ziel des Hauses, Kindern und Jugendlichen Zugang zu (klassischer) Musik zu eröffnen; das finde ich auf jeden Fall gut.

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Wer das Haus der Musik betritt, wird schon auf der herrschaftlichen Treppe von Klängen empfangen. Alles schwingt und vibriert in der Luft, Tonleitern begleiten dich die Stufen nach oben und es gibt Schilder mit einem kleinen Beethoven mit großem Ohr und Wissensfragen. (Wusstest du, dass Beethoven eigentlich aus dem 879 Kilometer entfernten Bonn in Deutschland stammte?)

Die Klänge im Treppenhaus, in das große Orgelpfeifen hinabhängen, haben etwas Magisches. Etwas Klangmagie habe ich später noch an anderen Stellen im Haus der Musik gefunden. – Aber auf der ersten der vier Etagen gab es die eher nicht.

Philharmoniker und Walzerwürfeln

Hier wohnte früher der Dirigent und Komponist Otto Nicolai, der die Wiener Philharmoniker gründete. Die Etage ist also „die Gründungsstätte des berühmtesten Orchesters der Welt“, sagt das Haus der Musik. Und deshalb gibt es auf dieser Etage jede Menge zur Geschichte des Orchesters, zum Neujahrskonzert, zum Schönbrunner Sommernachtskonzert, einen kleinen Kinosaal mit Ausschnitten aus den Konzerten, historische Schriftstücke, Bilder, Exponate und bedeutende Komponisten und Dirigenten (Bruckner, Brahms, Mahler, Karajan, Berg) und ein Archiv. Es gibt lange Texte, die niemand lesen will, viele Jahreszahlen, die sich niemand merken kann, und wertvolle Dinge, die wenig mitteilen. Brahms Brille, Furtwänglers Taktstock usw.

Haus der Musik in Wien

(Die Brille auf dem Foto ist nicht Brahms Brille, sondern Schuberts Brille.) Natürlich hört man in den Räumen überall Musik. Doch die kann man woanders vermutlich besser hören als beim Texte lesen und Gegenstände anschauen. Highlight ist ein Walzer-Würfel-Spiel, bei dem man sich seinen eigenen Walzer würfeln kann. (laut Haus der Musik ist es sogar das „weltweit erste Walzer-Würfel-Spiel“). Ich habe etwas Walzer gewürfelt. Der tiefere Sinn vom Walzerwürfeln hat sich mir allerdings nicht erschlossen. Ehrlich gesagt: Wer schon immer Fan der Wiener Philharmoniker war, der kommt auf dieser ersten Etage eventuell voll auf seine Kosten; wer kein Fan ist, für den wird sich das hier nicht ändern.

Klangwesen selbst gemacht

Deutlich besser gefallen hat mir die zweite Etage mit „Science Center“ und „Virtual Reality Experience“. Hier geht es tatsächlich darum, Klänge anders und neu zu erleben, sie zu formen, mit ihnen zu spielen und Dinge zu erfahren, die spannend sind, und die sich ohne langes Lesen erschließen.

Es gibt zum Beispiel Terminals mit Simulationen. Man kann nicht nur das menschliche Gehör erforschen, sondern auch erleben, wie ein Baby im Mutterleib hört, wie eine Schildkröte, eine Katze oder ein Karpfen Musik hören, wie Musik in einem Badezimmer, in einem langen Gang oder in einer Kirche klingt. Im „Instrumentarium“ kann man mit Orgelpfeifen, einer riesigen Trommel oder Xylophonplatten selbst Klänge erzeugen. Und für Kinder gibt es das Zookonzert – eine musikalische Abenteuerreise mit Marko Simsa. (Falls du Marko Simsa nicht kennst – wenn jemand Kindern Freude an klassischer Musik vermitteln kann, dann er.)

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Dann wird es auf der zweiten Etage auch noch psychedelisch. Es gibt dort eine Art riesigen Snoezel-Raum. Auf dem Boden Teppich und große Kissen zum Ausstrecken, und über die Decke schweben irre Wesen und Formen, die mit dem sphärischen Klang, der durch den Raum zieht, zusammenhängen. Clong heißen diese Klangwesen, bei denen Visuelles und Akustisches miteinander harmoniert. Auf diesem Teppich hätte ich Stunden liegen und die Clongs beobachten und belauschen können. Und im Labor nebenan kann man Clongs sogar selbst gestalten – unter einer Art Mikroskop und mit den eigenen (virtuellen) Händen. Wenn du ins Haus der Musik kommst – das unbedingt ausprobieren!

Haydn, Beethoven, Mozart – Raum für Raum

Die dritte Etage im Haus der Musik gehört den „großen Meistern“. Jeder bekannte Komponist, der in Wien lebte und wirkte, hat seinen eigenen Raum, der sich chronologisch einordnet. Man geht sozusagen zu Joseph Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Johann Strauss Sohn und Gustav Mahler zu Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern. Jeder Raum mit etwas Zeitkolorit und Atmosphäre, Gemälden, Partituren, Dokumenten, persönlichen Gegenständen, großen Texttafeln und von der Decke Musik. Verbunden sind die Räume außerdem über einen „Klangteppich“, der sich von Raum zu Raum verändert.

Haus der Musik in Wien

Das ist alles schick und aufwändig gemacht, aber auch ziemlich brav, wenig inspirierend und gefällig. Bei Haydn hängen Geigen von der Decke und bei Mozart kann man mit einem virtuellen W. Amadeus Grimmassen schneiden. Ein Highlight ist „Namadeus“, bei dem man „den eigenen Namen in eine historische Komposition von Mozart“ verwandeln kann (weil Mozart für seine Klavierschülerin Franziska von Jacquin mal das Alphabet vertont hat). Die Partitur in „Mozarts Originalhandschrift“ bekommt man anschließend im Shop…

„Die großen Komponisten neu (zu) entdecken“, ist nicht so einfach. Interessant fand ich eine Simulation, bei der man (mit Hörrohren) erleben kann, wie Beethoven seine eigene Musik immer weniger hören konnte.

Einmal Philharmoniker dirigieren

In der vierten und letzten Etage nochmal ein Highlight: Philharmoniker dirigieren. Wer schon immer mal wissen wollte, wie es sich anfühlt, ein Orchester zu führen, und wem es nichts ausmacht, dass andere dabei zuschauen, der hat hier die Gelegenheit: Man bekommt einen elektronischen Taktstock und tritt im (virtuellen) Goldenen Saal des Wiener Musikvereins vor die (virtuellen) Wiener Philharmoniker. Dann wählt man zwischen Donau-Walzer, Annen-Polka und Radetzky-Marsch. Der (virtuelle) Zubin Mehta erscheint und gibt noch ein paar Dirigier-Tipps. Und schon bleibt einem nichts mehr, als in der Luft zu rudern und zu hoffen, dass das alles glimpflich vorübergeht.

Das Orchester folgt den Bewegungen des Taktstocks. Und je weiter man ausholt, desto lauter spielt es. Auch im Tempo folgt es dem Taktstock. Und wenn man durchhält, gibt es am Ende Applaus. Aber die Leidensfähigkeit der Philharmoniker ist begrenzt…

Haus der Musik in Wien

PS1: Die Fotos habe ich im Haus der Musik aufgenommen. Sie zeigen: die Königin der Nacht, Beethoven mit Maske, Orgelpfeifen, Schuberts Brille, einen Clong, schwebende Geigen und Zubin Mehta, der erklärt, wie man die Wiener Philharmoniker dirigieren muss.

PS2: Wer das Haus der Musik besuchen will, findet hier alle weiteren Informationen.


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Irgendwie auch ein bisschen genial… (1)

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