Taub wie Beethoven

Vom berühmtesten Schlappohr der Welt (Teil 2)
Beethoven-Denkmal

Nein, auch in Teil 2 dieser Artikel-Serie geht‘s nicht um Bernhardiner-Hunde, sondern um ihn: Ludwig van, den Komponisten, das musikalische Genie und das berühmteste Schlappohr der Weltgeschichte bzw. um Beethovens Schwerhörigkeit. Um die zu erkunden, war ich (im Teil 1) im Beethoven-Archiv in Bonn. Und nun beginne ich damit, aufzuschreiben, was ich herausgefunden habe. Etwa über die Ursachen von Beethovens Schwerhörigkeit.

Mit Berühmtheiten ist es immer so eine Sache. Jeder kennt sie und denkt sich seinen Teil. Jeder hat seine Vorstellung, wie so ein Promi ist. Auch wenn man ihm nie im Leben persönlich begegnet ist. Und ist die Berühmtheit erst einmal tot, wird es noch verrückter. Sie kann sich dann nicht mal mehr wehren, wenn man aus ihr etwas macht, was sie im Leben nicht war. Beethoven ist schon lange tot…

Vom Beethoven-Verstehen

Wer weiß schon genau, wie es Beethoven ging, wie er fühlte oder was in ihm vorging. Selbst das, was er selbst gesagt bzw. geschrieben hat, lässt sich unterschiedlich deuten. Klar ging es ihm nicht gut, als er nach und nach sein Gehör verlor. Er hat sehr gelitten. Aber es gibt auch die Vorstellung, dass Leiden und Genie zusammengehören. Dass man nur ein Genie werden kann, wenn man so richtig leidet. Und dass es mit dem Leiden bei Beethoven daher irgendwie schon ganz gut passte.

Ich glaube nicht, dass Beethoven es auch so sah. Jedenfalls konnte ich kein Statement von ihm finden, das sich so deuten lässt.

Sockelrelief Beethoven-Denkmal

Die wichtigsten Statements eines Komponisten sind natürlich seine Musik. Aus Musik herauszuhören, wie es ihrem Komponisten ging, lässt allerdings noch mehr Deutungsspielraum als aufgeschriebene Worte von ihm. In der Beethoven-Forschung gibt es oft solche Deutungen. Man hört Beethovens Musik aus der und der Phase und malt sich bei jedem Stück aus, wie es Ludwig van gerade ging. Anschließend entstehen dann Sätze wie dieser (jetzt folgt ein Zitat, das man nicht verstehen muss):

„Man hält es auch für möglich, dass Beethoven zu den 13 monotonen Takten in der Überleitung vom 3. zum 4. Satz der 5. (c-Moll) Symphonie (op. 67, 1807/9) durch die lästigen Wahrnehmungen seiner kranken Ohren angeregt worden sein könnte…“

Also: Klingt es düster, ging es Beethoven schlecht; klingt es kraftvoll, ging es ihm wieder besser… „Freude schöner Götterfunken“ hat er allerdings komponiert, als er schon lange taub war.

Beethoven-Denkmal Bonn

Was Leute, die Beethoven gekannt haben, darüber sagen, wie es Beethoven ging, ist oft ebenfalls fragwürdig. Vor allem dann, wenn sie das nach seinem Tod gesagt haben. Beethoven war schon vor seinem Tod eine Art Legende. Legenden erzählt man immer weiter. Und wer erzählt nicht gern von sich, dass er eine Legende gekannt hat oder gar sehr vertraut mit ihr war? Vermutlich kann man solchen Berichten oft nicht mehr trauen als einem Selfie mit irgendeinem Promi, das nach bester Freundschaft aussieht und nicht mehr als ein flüchtiger Schnappschuss war.

Der sehr kranke Beethoven

Aber zurück zu Beethoven und dem, was sich sicher sagen lässt: Beethoven ist ein bedeutender Komponist, und er war die meiste Zeit seines Lebens ein sehr kranker Mann.

Ich finde, von Krankheiten anderer Leute erzählt zu bekommen, ist nie wirklich schön – selbst dann nicht, wenn der Kranke ein Genie sein sollte. Wer möchte sich schon bei „Für Elise“ eine „hartnäckige Verstopfung“, Nasenbluten oder Bauchwassersucht ausmalen?!

Aber Genies sind auch nur Menschen. Beethoven war absolut menschlich. – Bettlägerigkeit, Unpässlichkeit, Typhus, Pocken, Verkältungen und Verkühlungen, Rheumatische und gichtische Affektionen, eine „höchst ekelhafte Krankheit“, Augenübel bzw. Augenwehe… – Er hatte eine lange Liste an Krankheiten. Nicht immer ist klar, ob das, was damals so hieß, auch heute noch so genannt wird. Klar ist aber, dass es Beethoven meist ziemlich schlecht ging.

Sockel-Relief Beethovendenkmal

Die „ekelhafte Krankheit“ war übrigens Gelbsucht. Irgendwann konnte Beethoven mit seiner linken Hand nicht mehr Klavierspielen und kaum noch Noten schreiben. Wissenschaftler*innen rätseln bis heute, woran all das lag. – Zumindest sagt man das so, wenn sich die Wissenschaftler*innen noch nicht einig sind. Eigentlich rätseln Wissenschaftler*innen natürlich nicht. Vielmehr vertreten sie jeder für sich die eine oder andere Theorie.

Locken und Bleizucker

In Beethovens Locken wurden sehr hohe Blei-Werte nachgewiesen. Es war damals üblich, Verstorbenen Locken abzuschneiden, damit man ein Andenken an sie hat. Weil sehr viele Leute ein Andenken von Beethoven wollten, soll der tote Beethoven ziemlich gerupft ausgesehen haben. Es gibt noch heute vielerorts Beethoven-Locken, die sich analysieren lassen – etwa mittels Massenspektrometer. Ausgehend davon nimmt man an, dass Beethovens Tod am Bleizucker im Wein lag, den er viel getrunken haben soll. Andererseits heißt es, dass die Blei-Belastung in Beethovens Locke viel zu hoch sei, um sie allein auf den Wein zurückzuführen. Ursache seien vielmehr ärztliche Behandlungen gewesen – mit Bleisalz und Bleiseife. So was war damals üblich, und Beethoven hätte diese Behandlung wahrscheinlich auch überlebt – wenn nicht seine Leber ohnehin kaputt gewesen wäre, durch den Wein…

Die eine Frage ist, woran Beethoven starb. Eine ganz andere ist, warum er schwerhörig wurde. Beethoven selbst hat die Schwerhörigkeit als seine schlimmste Krankheit erlebt. Er stufte seine Krankheiten verschieden ein. „Hauptübel“ war der Verlust seines Gehörs.

Beethoven-Denkmal und Hörgräte

(Im Unterschied zu damals versteht man Schwerhörigkeit heute nicht mehr als Krankheit. Sie ist nämlich meist einfach eine Alterserscheinung – nicht anders als bei nachlassendem Sehvermögen oder Haaren, die grau werden. Eine Schwerhörigkeit kann natürlich auch die Folge einer Krankheit oder eines Unfalls sein.)

Warum Beethoven schwerhörig wurde

Geht es um die Ursachen von Beethovens Schwerhörigkeit, so sagen die einen: „Das lag ganz klar ebenfalls an der Bleivergiftung.“ Und andere sagen: „Von Bleivergiftung kann man gar nicht schwerhörig werden; die Art von Beethovens Schwerhörigkeit ist vielmehr absolut typisch für nachlassendes Hören im Alter.“ Darauf geben dann die ersten zurück: „Also, dass Beethovens Schwerhörigkeit wie eine Schwerhörigkeit im Alter aussieht, das stimmt natürlich. Aber Beethoven war noch gar nicht alt genug, um altersbedingt schwerhörig zu sein…“ – Und so immer weiter.

Diskutiert wird auch darüber, wieviel Wein Beethoven tatsächlich getrunken hat. Beethoven (so die Recherche) mochte nämlich billigen, süßen Wein aus „fragwürdigen Wirtshäusern“, in denen man Wein vermutlich „sogar in Blecheimern“ abholte. Und dieser Wein war eigentlich unreif oder sauer. Nur der giftige Bleizucker oder sonst was für Blei machten diesen Wein süß. Auch Arsen könnte im Spiel gewesen sein. Andererseits (so die Recherche) soll Ludwig van deutlich weniger getrunken haben als sein trunksüchtiger Vater. Beethoven trank übrigens auch Kaffee, den er nicht immer vertrug, und auch frisches Wasser…

Sockel-Relief Beethoven-Denkmal

Der Hörschädigung – so eine Theorie – könnte eine gefährliche Krankheit vorausgegangen sein. Man spricht aber auch von Erbfaktoren, vorzeitiger Alterung, Infektionen, Vergiftungen, Lärmschäden… Ich bin kein Arzt. Aber mein Eindruck ist, in der Beethoven-Schwerhörigkeitsforschung wurde so gut wie keine irgendwie denkbare Ursache für Schwerhörigkeit ausgelassen. Neben Trunksucht übrigens auch noch Syphilis. Im 19. Jahrhundert litt so ziemlich jeder Promi an Syphilis – wenn seinen Ärzten keine bessere Erklärung für ein Leiden einfiel…

Wie Beethoven schlechter hörte

Beethovens Schwerhörigkeit kam schleichend. – „Mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden“, schreibt er. Das läuft bei den meisten Leuten so, auch heute. Irgendwann im fortgeschrittenen Alter fängt es einfach so an. – Nur dass Beethoven, als er das schrieb, nicht 50, 60, 70 war, sondern gerade mal 31.

Und er beschreibt sein Hörproblem sehr genau. – Jeder Mensch hört anders – anders gut oder anders schlecht. Beethoven zum Beispiel hörte auch Geräusche, die gar nicht da waren. Er hatte also einen Tinnitus, bei dem die Ohren „sausen und brausen Tag und Nacht fort.“ Dafür hörte Ludwig van schon sehr früh keine hohen Töne von Instrumenten oder Singstimmen mehr. Und wenn Redner leise sprachen, dann hörte er sie zwar noch, verstand aber nichts mehr. Wurde er hingegen von jemandem angeschrien, fand er das „unausstehlich“. Diese Empfindlichkeit gegen Lautstärke nennt man Hyperakusis. (Falls auch du bisher geglaubt hast, dass man schwerhörige Menschen nur etwas anschreien muss, damit sie verstehen – vergiss es…)

Beethoven-Hotel

Keine hohen Töne hören, Sprache nicht mehr verstehen – genau das tritt ein, wenn die kleinen Härchen in der Hörschnecke nicht mehr mitspielen. Auch Ohrgeräusche und Lärmempfindlichkeit gehören häufig dazu. Ganz typisch ist auch noch, dass man Geräusche nicht mehr so gut orten oder bestimmte Geräusche herausfiltern kann. Und dass man deshalb weniger von dem mitbekommt, was um einen her vor sich geht. Aber vielleicht ist das Beethoven nicht so aufgefallen. Weil er nicht ständig Gefahr lief, ein Auto oder einen Bus zu überhören…

Dafür aber hatte er durch schlechtes Hören jede Menge anderer Probleme – als Komponist, Dirigent, Pianist; und als Mensch unter Menschen. Und darum geht es dann in Teil 3 meiner Artikel-Serie über das berühmteste Schlappohr der Welt.

PS 1: Beethoven hin und wieder „Ludwig van“ zu nennen, ist übrigens nicht meine Erfindung, sondern ein Zitat. Alex, der ziemlich finstere und unsympathische Held aus Stanley Kubricks Film „Clockwork Orange“ nennt Beethoven immer so. Alex ist bei weitem nicht der einzige unheimliche Typ, der gerne Beethoven hörte bzw. hört. Andererseits gibt es auch sympathische Typen, die Beethoven mögen. Mir fällt als erstes Schroeder von den Peanuts ein. Schroeder hing sogar an der Pin-Wand vom Kopierraum des Beethoven-Archivs

Pinnwand Beethoven-Archiv

PS 2: Die Fotos zu diesem Artikel-Teil über die Ursachen von Beethovens Schwerhörigkeit stammen vom Beethoven-Denkmal. Eines ist auch noch aus der Bonner Innenstadt. Dazu fällt mir noch ein Witz ein, den ich zwar nicht übermäßig lustig finde, hier aber doch irgendwie passt. Er stammt von einer Seite der Hörgeschädigten-Online-Community: „Frage: Warum sind die Beethoven-Denkmäler immer so voll geschissen? – Antwort: Weil die Tauben zusammenhalten müssen.“


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