Betreutes Hören

Was macht ein Audiotherapeut und wie wird man einer?
Foto einer Arbeit mit dem Titel „Désir d'enfant III“ (Kinderwunsch III) von Beb-deum (Auszug) aus der Ausstellung „Der Mensch von morgen – Beb Deum. 40 Jahre grafischer Werdegang“ in der Abbay de Stavelot

Wer schlecht hören kann, sollte zum Ohrenarzt gehen? Das ist richtig; aber einen Hörtest zum Beispiel bekommt man auch beim Hörakustiker. Dort geht das meist schneller, oft braucht man dafür nicht mal einen Termin. Was Hörakustiker machen, habe ich hier schon geschrieben – wie man einer wird, auch. Neben Hörakustikern gibt es noch Audiotherapeuten, eine relativ neue Bezeichnung für eine Tätigkeit, die sich gerade erst als Beruf etabliert.

Wofür braucht man Audiotherapeuten? Knappe Antwort: Ein Hörakustiker kümmert sich darum, dass die Hörtechnik zum Menschen passt, und ein Audiotherapeut kümmert sich darum, dass der Mensch zur Technik passt. Das klingt vielleicht, als wäre es ein und dasselbe, ist es aber nicht; auch wenn die zwei Berufe schon eng zusammenspielen.

Vom Stadtführer zur Audiotherapie

Jörn Paland kommt aus Bremen und ist Audiotherapeut, aber erst seit zehn Jahren. Früher hat er Gartenbau studiert, dann ist er in Bremen Stadtführer geworden und das brachte ihn zur Audiotherapie: „Uta Lürßen, die Leiterin des Cochlea-Implantat-Zentrums in Bremen suchte damals jemanden, der Führungen macht und sich mit Stadtgeschichte auskennt“, berichtet mir Jörn. „Es ging darum, mit Menschen mit Cochlea-Implantat nach draußen zu gehen und Bremen zu erkunden. Das haben wir mehrmals zusammen probiert, und es hat gut gepasst; den Leuten gefiel es.“

Wer ein Cochlea-Implantat (CI) bekommt, der muss das Hören damit neu lernen: Geräusche erkennen und verarbeiten, Worte und Sätze verstehen. Oft geht es auch darum, wieder unter Menschen zu sein und an Orte zu kommen, die man zuvor mit schlechtem Gehör eher gemieden hat. Dass es ein Beruf sein könnte, CI-Trägern zu solchen Erfahrungen zu verhelfen, war Jörn Paland damals noch nicht klar. Aber er fand Gefallen an der Arbeit und wollte mehr mit schwerhörigen Menschen zu tun haben. Uta Lürßen war einverstanden und riet ihm, noch was zu lernen und ein Zertifikat zu erwerben – eines als Audiotherapeut.

„Ich habe Audiotherapie in Bad Nauheim gelernt; dort wird das seit über 20 Jahren als Weiterbildung vom Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) angeboten.“ – Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, um Audiotherapeut zu werden; etwa an der Akademie für Hörakustik in Lübeck. Dort werden Hörakustiker im Meisterkurs zugleich auch Audiotherapeuten.

Ausbildung zum Audiotherapeuten

Jörn Paland gewann bei der Weiterbildung schnell das Gefühl, an der richtigen Stelle zu sein: „Ich bekam die Rückmeldung, dass ich gut für die Arbeit als Audiotherapeut geeignet sei. Ich wusste zwar nicht so recht, warum man mir das sagte, aber es gab mir einen richtigen Kick. Außerdem hatte das, was uns fachlich vermittelt wurde, Hand und Fuß. Es war ein neues Feld und ich fand es spannend.“

Foto einer Arbeit von Beb-deum, Illustration zum Artikel „Betreutes Hören: Was macht ein Audiotherapeut und wie wird man einer?“ auf die-hörgräte.de

Jörns Weiterbildung lief über ein Jahr. Jeden Monat fuhr er für ein Wochenende nach Bad Nauheim: „Dann hieß es von Freitag bis Sonntagmittag Trichter auf und rein in den Kopf… Thematisch war das ein riesiger Bogen: Wie funktioniert das Gehör? Wie fühlt sich jemand, der feststellt, dass sein Gehör verschwindet? Es ging um medizinische und psychologische Aspekte, ebenso um Hörtaktiken, mit denen sich das Leben mit eingeschränktem Gehör meistern lässt.“

Zwischen diesen Wochenenden musste Jörn Paland den Stoff aufarbeiten. Dann hatte er noch zwei Tage Praktikum in einem Krankenhaus und er musste eine Facharbeit schreiben. Jörns Facharbeit handelte von „Hör-Spaziergängen“, also von den Führungen, die er seit damals für CI-Träger durchführt. (Aber die sind ein Thema für einen späteren Blog-Artikel.)

Was macht ein Audiotherapeut?

Ein Audiotherapeut ist natürlich nicht nur ein Stadtführer für Leute mit CI bzw. Schwerhörigkeit. – „Eigentlich sollen Audiotherapeuten ganzheitlich mit schwerhörigen Menschen arbeiten, um ihnen so zu besserem Hören und Verstehen zu verhelfen. Einen großen Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich mit Zuhören. Die Leute erzählen von Problemen und Sorgen, die sie beim Einstieg ins Leben mit Hörtechnik haben. Das ist keine Psychotherapie. Es geht weniger um die Psyche, vielmehr ums Hören. Doch Psyche und Hören hängen natürlich zusammen. Bis an die Grenze zur Psychotherapie kommen wir daher schon, und Therapeut nennen wir uns ja auch.“

Während seiner Ausbildung in Bad Nauheim hat Jörn Paland diese Art von Gesprächen geübt: einer spielt den Schwerhörigen und tritt ein, der andere spielt den Therapeuten und wartet hinter der Tür usw.

Hören und Verstehen trainieren

Ebenfalls viel Zeit verbringt Jörn Paland mit Hörtraining: „Damit fangen wir nach der CI-Operation manchmal ganz klein an. Es gibt CI-Träger, die gleich nach der ersten Anpassung ihres Soundprozessors Worte oder Sätze verstehen. Aber es gibt auch CI-Träger, die erstmal nur Geräusche hören, die sie kaum erkennen. Vor allem letztere brauchen Unterstützung. Ausgehend von den Geräuschen bauen wir immer weiter auf – einzelne Worte verstehen, Sätze, Sprache in lauten Umgebungen.“

Foto einer Arbeit von Beb-deum, Illustration zum Artikel „Betreutes Hören: Was macht ein Audiotherapeut und wie wird man einer?“ auf die-hörgräte.de

Für das Hörtraining braucht Jörn Paland Technik: „Ich sitze am Laptop und nutze verschiedene Trainings-CDs, wie es sie von allen CI-Herstellern gibt. Wir versetzen uns zum Beispiel in die Geräuschkulisse einer U-Bahn-Station: jede Menge Lärm und eine Durchsage, die der CI-Träger möglichst verstehen soll.“

Für das Hörtraining gibt es außerdem Apps, mit denen der CI-Träger zu Hause üben kann. Auch mit den Apps kennt Jörn Paland sich aus, kann Empfehlungen geben und erklären, wie man mit ihnen übt. Weiterer Schritt nach CDs und Apps sind dann die Spaziergänge durch die Stadt bzw. ins wirkliche Leben. Im CI-Zentrum in Bremen gehören sie fest zur Rehabilitation dazu.

Audiotherapie und Musikhören

Auch Musikhören ist Thema in Jörn Palands Therapiestunden: „Ich höre selbst gerne Musik. Für viele CI-Träger ist sie jedoch eine besondere Herausforderung. Nicht alle können Musik genießen und manch einer ist enttäuscht. Für das Training bin ich meine Schallplattensammlung durchgegangen und habe Platten zusammengesucht, die sich zum Hören mit CI gut eignen – Klassik und Pop, mit wenigen, ganz bestimmten Instrumenten; Stücke, die den Einstieg ins Musikhören leichter machen.“

Um Musikhören gezielt zu trainieren, lädt Jörn CI-Träger zu sich nach Hause ein. „Dann habe ich bestimmte Stücke ausgesucht, erkläre ein bisschen was dazu und wir hören zusammen Schallplatten. Die Platten haben einen sehr guten Klang. Auch CI-Träger merken das. Als Experiment haben wir schon Stücke auf CD und Schallplatte miteinander verglichen.“

Wer bezahlt eigentlich die Audiotherapie?

„Das kann ich nur für unsere Reha in Bremen sagen“, so Jörn. „Bei uns genehmigt die Kasse sozusagen pro CI-Ohr über zwei Jahre verteilt 40 Stunden für Audiotherapie. Die werden aufgeteilt: am Anfang viel Hörtraining 1:1 und Gruppentreffen, in denen wir erklären, wie das CI funktioniert und was es heißt, mit ihm zu leben. Dann gibt es die Spaziergänge in Gruppen. Die eigentliche Therapie zieht sich immer über einen ganzen Vormittag – 3 Stunden lang. Anschließend sitzen wir noch in einem Café zusammen. Wir suchen die Cafés immer danach aus, ob die Akustik gut ist. Oft sitzen dann 6 bis 8 Leute zusammen und kommen ins Gespräch.“

Foto einer Arbeit mit dem Titel „Désir d'enfant III“ (Kinderwunsch III) von Beb-deum (Auszug) aus der Ausstellung „Der Mensch von morgen – Beb Deum. 40 Jahre grafischer Werdegang“ in der Abbay de Stavelot

Die Teilnehmer seiner Audiotherapie sind fast ausnahmslos Erwachsene, so Jörn Paland. Doch nicht jeder, der in Bremen ein CI bekommt, nutzt dieses Angebot. Manche besuchen stattdessen eine stationäre Reha, die drei bis fünf Wochen dauert. Dafür fährt man in eine Klinik nach Bad Nauheim oder St. Wendel. Wieder andere trainieren ihr neues Hören allein – zum Beispiel, indem sie jeden Tag im Beruf von früh bis spät zuhören. – „Meine Erfahrung ist, dass es bei den meisten CI-Trägern sehr sinnvoll ist, zu uns zu kommen; vor allem für die Älteren. Wenn man mit Technik hört, gibt es immer wieder Dinge, die geklärt werden müssen. Zu uns kommt man relativ leicht und erhält Hilfe.“

Kann man vom Audiotherapiemachen leben?

„Als ich damals die Weiterbildung hatte, gab es ein paar Teilnehmer, die sich gleich danach als Audiotherapeut selbständig machen wollten. Aber das ist schwierig. Man braucht Patienten, die finanziert werden, denn aus der eigenen Tasche werden das die wenigsten bezahlen. Also braucht man eine Klinik oder Reha-Einrichtung, über die man immer wieder Klienten bekommt; vielleicht auch ein Hörakustik-Unternehmen.“

Zum Konzept der Weiterbildung gehört, dass man möglichst schon einen Beruf hat, mit dem man Geld verdient, um erst einmal klein als Audiotherapeut zu beginnen. – „Bei mir war das auch so“, sagt Jörn. „Anfangs war ich noch im Gartenbau tätig und nebenbei Audiotherapeut. Dann habe ich die Therapiearbeit Schritt für Schritt ausgebaut. Seit einigen Jahren mache ich das nur noch und kann davon leben.“

Zwischen Menschen und Technik moderieren

Audiotherapeuten kümmern sich nicht nur um CI-Träger, sondern auch um Hörgeräte-Träger und Menschen mit Tinnitus. Es gibt sogar den Bund deutschsprachiger Audiotherapeutinnen und Audiotherapeuten e.V. (BdAt), Jörn Paland ist im Vorstand. Dem Bund geht es darum, die Tätigkeit des Audiotherapeuten noch stärker zu etablieren, weil noch mehr schwerhörige Menschen diese Unterstützung brauchen könnten – etwa, weil sie anfangs Bedenken vor dem Tragen von Hörgeräten haben, und weil ihnen ein Audiotherapeut dann beisteht. Hörakustikern kann das auch helfen, ihr Angebot zu erweitern. Technik für einen Menschen anzupassen, ist eben doch noch was anderes, als – wie ein Audiotherapeut – ein Leben mit Technik zu moderieren.

Foto einer Arbeit mit dem Titel „Désir d'enfant III“ (Kinderwunsch III) von Beb-deum aus der Ausstellung „Der Mensch von morgen – Beb Deum. 40 Jahre grafischer Werdegang“ in der Abbay de Stavelot

PS 1: Die Bilder zum Artikel zeigen Arbeiten mit dem Titel „Désir d’enfant III“ (Kinderwunsch III) von Beb-deum (Pseudonym von Bertrand DEMEY), einem Zeichner, Grafiker und Illustrator, der 1960 in Fontenay-sous-Bois (Frankreich) geboren wurde. Fotografiert habe ich die Bilder in der Ausstellung „Der Mensch von morgen – Beb Deum. 40 Jahre grafischer Werdegang“ in der Abbay de Stavelot (Belgien). Dass das Ohr bzw. das Hören wie ein Empbryo sein könnte, der zu einem Kind heranwächst, schien mir für dieses Interview ganz passend. Außerdem war auch das Cochlea-Implantat in der Ausstellung Thema. Dazu vielleicht ein späterer Beitrag.

PS 2: Fotos von Personen gibt es hier nicht, höchstens Mal von historischen Personen. Wer wissen will, wie Jörn Paland aussieht, findet sie zum Beispiel hier.


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