Das faszinierende an Hörgeräten und Cochlea-Implantaten ist für mich, dass jeder Mensch, der mit ihnen lebt, eine andere Geschichte über sich und diese Technik erzählen kann. Es hängt damit zusammen, dass Hörtechnik nicht nur so ein Ding ist, das man benutzt und dann wieder vergisst. Sie ist jeden Tag und jede Minute da. Und sie entscheidet jeden Augenblick mit, wie der Mensch, der diese Technik nutzt, lebt. – So wie bei Martin Bischoff, einem Singer-Songwriter, dem ich durch Zufall begegnet bin, und der mir seine Geschichte erzählte.
Martin Bischoffs Hörverlust
Martin Bischoff ist 62 und lebt in einem Dorf bei Oelde (NRW). Dass sein Gehör nachlässt, hatte er schon vor längerer Zeit bemerkt: „Vor vier Jahren bekam ich Hörgeräte; anfangs trug ich ja noch zwei. Damals ging es mir nicht gut. Ich musste ins Krankenhaus, weil meine Leber kaputt ist. Ein Problem, das viele Musiker haben: Alkohol. Mittlerweile habe ich das im Griff. Ich trinke gar nichts mehr, nehme Medikamente. Auf diese Art lief alles erstmal ganz gut.“
Bis Martin Bischoff zwei Jahre darauf erneut erkrankte: Hirnhautentzündung. – „Deren Folge ist ja oft, dass man komplett ertaubt“, erzählt er. „Bei mir war es auf dem rechten Ohr. Auf dem habe ich gar nichts mehr gehört. Auf dem linken ist es auch noch schlechter geworden. Damit habe ich dann erstmal gelebt. Irgendwie geht es, wenn man auf einem Ohr noch hört. Auch Musikmachen ging noch. Raumklang hatte ich allerdings nicht mehr. Und die Verständigung mit anderen war schwierig. Also überlegte ich, ob sich noch was ändern lässt.“
Operation mit einem Cochlea-Implantat
Das Cochlea-Implantat (CI) kannte Martin Bischoff aus seinem Bekanntenkreis: „Da war mir vor Jahren mal ein Kind begegnet, das ein CI hatte, das fiel mir nun wieder ein. Ich fragte meinen Ohrenarzt nach dem CI und der schickte mich zur Uni-Klinik Münster, in der ich gründlich untersucht wurde. Sie haben mich richtig auseinandergenommen, mit mehreren Hörtests usw. Dann stand fest, dass ich tatsächlich ein Cochlea-Implantat bekommen kann. Das haben sie mir dann eingebaut.“
Etwas herausfordernder sei die Operation aufgrund seiner Vorerkrankungen gewesen, räumt Martin Bischoff ein: „Durch meine Lebergeschichte ist die Gerinnung von meinem Blut ziemlich schlecht. Deshalb brauchte ich zwei Anläufe für die OP. Es musste besonders gut vorbereitet werden. Ich bekam ein Mittel zur Verdickung meines Blutes, damit sich die OP auch sicher durchführen ließ. Die Operation selbst war keine große Sache. Es hat drei Stunden gedauert, was länger ist als normal. Aber es hat auf jeden Fall funktioniert, und seitdem – also etwa seit zwei Jahren – laufe ich mit einem Implantat herum.“
Hören mit dem Cochlea-Implantat
„Einen Monat nach der OP bekam ich meinen Prozessor ans Ohr, dann fing das Hören lernen an“, so Martin Bischoff. „Anfangs versteht man ja noch nichts. Heute verstehe ich auf jeden Fall viel mehr als vor der OP. Ich muss nicht mehr intensiv auf die Münder achten. Man muss sich auch nicht immer zu mir hinwenden, um sich mit mir zu unterhalten. Also, für das Verständnis bringt das CI auf jeden Fall was. Und ich habe wieder einen 3-D Klang. Wenn ich das Ding ansetzen, dann ist der Eindruck ungefähr so, als würde sich eine Tür öffnen. Als wäre mein Kopf plötzlich in einer Kugel aus Geräuschen, und nicht nur in einer Halbkugel.“
Doch nicht in jeder Situation sei das Hören all der Dinge um ihn her ein Vergnügen, erklärt mir Martin Bischoff: „Es kann auch mal vorkommen, dass es mich nervt. Weil ich in bestimmten Umgebungen, in denen viele durcheinander reden, einfach zu viel höre. Mitunter schalte ich dann mal ab.“
Martin Bischoff und die Musik
„Ich möchte das Meer sehn, ne steife Briese im Gesicht. Ich möchte das Meer sehn, Wellenberge, weiße Gicht…“, heißt es in einem der Lieder, die Martin Bischoff aktuell auf CD veröffentlicht hat. Es ist das dritte Album des Singer-Songwriters, der seine Liedtexte alle auf Deutsch schreibt, alles selbst produziert und alle Instrumente selbst einspielt.
Vor seiner Erkrankung war Martin Bischoff Gitarrenlehrer. Und zur Musik kam er schon als kleines Kind: „Ich bin in einem musikalischen Haushalt aufgewachsen. Mein Vater war Vorsitzender vom Spielmannszug. Das ist natürlich andere Musik, als ich sie heute mache. Doch so fing es bei mir an. Noch bevor ich in die Schule ging, bin ich mit der Querflöte hinter meinem Vater marschiert. Das war eine schöne Zeit. Irgendwann als Jugendlicher wollte ich musikalisch doch was anderes machen. – Das war dann erst etwas Irish Folk; das Gitarrenspiel hatte ich mir selbst beigebracht. Später bin ich mit diversen Rockbands getingelt. Und inzwischen mache ich seit 14 Jahren alleine Musik, und ungefähr ebenso lange spiele ich in einer Hardrock-Band. Beides macht mir viel Spaß.“
Bei der Arbeit an neuen Songs sei es am besten, wenn ihm mit der ersten Textzeile gleich eine Melodie einfällt. – „Das sitzt dann im Kopf, und dann baue ich darauf auf. Es kann aber auch sein, dass ich irgendwo bin, was erlebe, sehe, und mir was dazu denke. Die Arbeit an meinem Lied ‚Meer sehen‘ zum Beispiel begann mit der Erinnerung an einen Urlaub. Ich dachte, da möchte ich wieder hin, und habe aus meiner Sehnsucht heraus eine schöne Melodie aufgebaut. Oder ich habe musikalische Ideen, die ich mit Gitarre und Handy aufnehme, damit ich sie nicht vergesse.“
Musizieren mit Technik am Ohr
Als Singer-Songwriter gibt Martin Bischoff regelmäßig Konzerte. Daran hat auch der Hörverlust nichts geändert. Schon bei der Produktion seiner vorangegangenen CD vor etwa zwei Jahren konnte er nicht mehr gut hören: „Ich habe dennoch alles selbst eingespielt. Einige Instrumente sind vom Computer; ein Schlagzeug selbst aufnehmen, das wäre zu aufwändig.“
Seit seinem Hörverlust höre er Musik anders, erklärt mir Martin Bischoff: „Ich spiele viel akustische Gitarre. Und ich höre die Musik vor allem mit meinem Hörgeräteohr. Auch ohne das Gerät kann ich eine Gitarre erkennen. Ich erkenne dann jedoch nicht mehr, ob es eine richtig gute Gitarre ist oder eine billige. Diese klanglichen Unterschiede bekomme ich so nicht mehr mit. Aber sonst hat sich an meinem Verhältnis zur Musik eigentlich nichts geändert. Musizieren macht immer noch Spaß.“
Und wie klingt Musik mit dem Cochlea-Implantat? – „Mit dem CI höre ich die Musik zwar auch. Doch den Klang einer Gitarre würde ich damit derzeit noch nicht erkennen. Die klingt mit CI ein bisschen so, wie man früher Donner nachgebildet hat: Wie ein großes Blech, das bewegt wird. Ich kann bestimmte Nuancen erkennen, aber noch nicht viele. Auch Tonhöhen kann ich noch nicht so gut unterscheiden. Ob ich eine Terz oder eine Quinte höre, das könnte ich noch nicht sagen. Aber das übe ich jetzt. Ich habe mir verschiedene Intervalle auf mein Handy gespielt, und die streame ich mir direkt ins CI. Ich weiß ja, was ich gespielt habe, und was ich eigentlich hören müsste. Nach und nach stellt sich mein Gehirn darauf ein. Es lernt, die Musik wieder zu hören. In einem Interview mit einem Musiker mit CI habe ich gelesen, dass das funktioniert.“
Gebärdensprachkurs an der VHS
Und noch etwas lernt Martin Bischoff gerade. Er besucht einen Kurs für Gebärdensprache in der Volkshochschule: „Die Idee, mal eine ganz andere Sprache zu lernen, schwelte schon lange in mir. Und ich denke, wenn mein Hörverlust weiter fortschreitet, kann mir Gebärdensprache ja eigentlich nur helfen. Außerdem macht es totalen Spaß, was an der Gruppe liegt und auch an den Gebärden selbst. Es ist eine schöne Sache. Und ich freue mich immer, wenn ich ein bisschen verstehe. Wobei mir die, die das wirklich können, alle noch viel zu schnell sind.
PS 1: Die Fotos zum Artikel über Martin Bischoff zeigen Teile einer (billigen) Gitarre.
PS 2: Die Homepage von Martin Bischoff, auf der du auch in seine Songs reinhören, Konzerttermine finden und die CDs kaufen kannst, findest du hier.
4 Kommentare. Leave new
Pfundig
Danke, freut mich:)
Toll, weiter so
Gerne. Danke fürs Feedback!