Besser Hören mit KI

Über das Hören mit Künstlicher Intelligenz (Teil 5)
Trainingspark für Hunde

Besser Hören mit KI? – Im fünften und letzten Teil der Artikel-Serie über Künstliche Intelligenz und Hören und meinen Besuch bei audEERING folgt noch ein Ausblick in die Zukunft: Wie wird KI die Hörtechnik bzw. das Hören für Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen verändern?

Besser Hören mit KI und Hörgeräte

Dagmar Schuller sagte mir, dass KI vor allem helfen könnte, die nonverbalen Anteile von Gesprochenem besser zu erfassen – gerade auch bei der Wahrnehmung von Emotionen, die man nicht sehen kann; also zum Beispiel am Telefon: „Diese emotionale Komponente einzubringen bzw. zu verstärken, könnte den Hörgeräte-Trägern noch einen deutlichen Vorteil bringen. Und Hören ist ja höchst individuell. In meiner Familie gibt es sehr viele Personen mit einem Hördefizit. Aber jeder von ihnen hört anders. Auch zwischen dem weiblichen und dem männlichen Hören gibt es meiner Meinung nach Unterschiede. Und gerade unsere Technologie ermöglicht ein entsprechend hohes Maß an Individualisierung.“

Weiterhin geht die audEERING-Geschäftsführerin davon aus, dass die Hörgeräte der nächsten Generationen die akustischen Szenerien dank KI noch besser analysieren können, als sie das heute schon tun: „Diese Medizinprodukte werden sich noch viel besser automatisch auf die jeweilige Umgebung einstellen. Sie werden erkennen, dass ich gerade im Restaurant sitze, dass ich mich unterhalten will. Sie werden Störgeräusche noch besser filtern und sicherstellen, dass ich den Kellner verstehe…“

Besser Hören mit KI? – nicht ohne die Nutzer

Außerdem wird es wohl auch darum gehen, dass die KI den Hörgeräte-Nutzer bzw. die –Nutzerin selbst wahrnimmt: Wie reagiere ich selbst auf die Szenerie, auf die sozialen Gegebenheiten? Wie ist mein aktueller emotionaler Zustand? Geht es mir gut oder eher nicht? – „Die KI wird das wahrnehmen und die Technik dementsprechend nachjustieren. In der Folge wird es darum gehen, nicht nur einzelne Szenarien abzubilden, sondern den gesamten Tagesablauf. Die Technik stellt sich jederzeit so ein, dass es mir gut geht und ein Optimum an Outcome sichergestellt ist.“

Illustration zum Beitrag „Besser Hören mit KI“ auf die-hörgräte.de

Doch damit besser Hören mit KI überhaupt möglich wird, sollten Nutzer bzw. Nutzerin mit dem, was die Technik für sie tut, einverstanden sein. Und nicht nur das… – „Ich muss wissen, dass ein Teil meiner Daten transparent ist und fortlaufend analysiert wird; damit muss ich konform gehen“, so Dagmar Schuller. „Und ich muss zum zweiten die Technik so diszipliniert nutzen, dass sie für meine Wünsche trainiert wird. Ich muss zurückmelden, was ich gut oder nicht gut finde. Sonst kann das System nicht auf mich zugeschnitten werden. Je mehr ich mich mit der Technik austausche, umso besser die Möglichkeiten zur Anpassung.“

Besser Hören mit KI geht also nicht ohne Menschen. Und irren ist keinesfalls nur menschlich. Die KI kann sich ebenfalls irren. – „Wenn ein Mensch einen anderen wahrnimmt – etwa bei einer Polizei-Befragung, dann nimmt er immer gewisse Dinge wahr. Auch das ist ungefähr bzw. gefärbt. Vielleicht hat der Polizist einen schlechten Tag. Der Mensch ist nicht immer neutral; und das muss mit dem Gegenüber überhaupt nichts zu tun haben. Unsere Technologie ergänzt das durch eine neutrale Position. Fehlentscheidungen kann es so oder so geben, die lassen sich nie zu 100 Prozent ausschließen. Aber die Technologie kann als unabhängige Kontrollinstanz hinzukommen. Man muss diesen Prozess je nach Einsatzgebiet definieren.“

Ein Hörgerät, das Lügen oder Desinteresse hört?

Ist es denkbar, dass mein Hörgerät dann irgendwann erkennt, wenn mich jemand belügt? – Dagmar Schuller hält das eher für unwahrscheinlich: „Das ist sehr schwierig, denn eine Lüge ist an sich keine Emotion. Zu entscheiden, ob jemand lügt oder nicht, fällt auch uns Menschen viel schwerer als das Erkennen einer Emotion. An was will ich das Lügen festmachen, um es dann meinem System vermitteln zu können?“

Roboter mit Zeigefinger

Sehr gut vorstellen kann sie sich hingegen, dass ein Hörgerät andere Dinge zurückmeldet. Etwa: „Pass auf, dein Gesprächspartner wird wütend!“ Oder: „Pass auf, dein Gesprächspartner schläft gleich ein!“

„Da geht es um prädiktive Analytik“, so Dagmar Schuller. „Das wird ja vor allem im Gesundheitsbereich schon genutzt – etwa bei der Diagnose von Burn-out und Depressionen. Hier nutzen wir die Appraisal- bzw. Einschätzungs-Theorie von Professor Klaus R. Scherer, dem weltweit führenden Psychologen für Emotionserkennung. Es geht darum, zu verstehen, wie Emotionen verlaufen, wie sie sich auf- und wieder abbauen. Um möglichst präzise vorhersagen zu können, wie sich etwas auf emotionaler Ebene entwickelt. Marker, die z. B. entstehende Wut oder Ermüdung zeigen, sind da natürlich machbar. Und Hörgeräte haben den Vorteil, dass sie nicht nur einen Sensor bzw. ein Mikrofon haben, sondern mehrere.“

Besser Hören mit KI – zwischen hörender und gehörloser Welt

Noch ein Projekt, an dem audEERING mitarbeitet, finde ich sehr spannend – eines zur barrierefreien Verständigung zwischen Gehörlosen und Hörenden aus ganz Europa. Es heißt Intelligent Automatic Sign Language Translation bzw. Intelligente Automatische Gebärdensprachübersetzung oder kurz EASIER.

Illustration zum Beitrag „Besser Hören mit KI“ auf die-hörgräte.de

Aktuell werden dabei erstmal sieben europäische Gebärden– und sechs europäische Lautsprachen berücksichtigt. Mit Hilfe einer datengesteuerten Erkennung inkl. Video-Erkennung werden all diese Sprachen erkannt. Und ein Avatar kann die erkannten Sprachen gebärden. Auch die KI und die intelligente Erkennung von Emotionen sind wieder mit dabei. Und auch die nichtsprachlichen Teile der Verständigung werden wieder berücksichtigt.

Neben audEERING sind an EASIER noch zahlreiche weitere Partner beteiligt, vor allem Forschungseinrichtungen. Und die Lösung, die sie entwickeln wollen, soll dann zum einen die Verständigung innerhalb der Gehörlosen-Community erleichtern, zum anderen aber auch die Verständigung zwischen Gehörlosen und Hörenden.

elektrisches Herz

PS 1: Die Abbildungen zum Artikel „Besser Hören mit KI“ zeigen noch einmal Roboter und ähnliche Wesen: Einen Roboter mit Zeigefinger, einen mit rundem Glaskopf aus dem Berliner Kommunikationsmuseum, einen Trainingsroboter für Hunde, eine Puppe mit eingebauter Sprache und ein blinkendes Roboterherz.

PS 2: In diesem Blog werden keine aktuellen Produkte bestimmter Unternehmen vorgestellt; der Blog erhält keinerlei Geld oder andere geldwerte Unterstützung. Dass hier mit audEERING ein Unternehmen erwähnt wird, geschieht nur ausnahmsweise und nur, weil es um grundsätzlich neue Entwicklungen geht – und nicht um Werbung.


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