„Taube täubet schrecke Wunden / Klappen Tappen Wühlen Kreischen / Schrillen Pfeifen Fauchen Schwirren / Splittern Klatschen Knarren Knirschen / Stumpfen Stampfen / Der Himmel tapft / Die Sterne schlacken / Zeit entgraust / Sture weltet blöden Raum.“ So hat der Dichter August Stramm den Kriegslärm im Ersten Weltkrieg gehört. Er hat ihn nicht überlebt.
Forschung entdeckt: Kriegslärm
Erstmals erforscht wurden die Geräusche des Krieges im Ersten Weltkrieg. Der Zusammenhang von Kriegslärm und Psyche weckte wissenschaftliches Interesse. Physiker, Neurologen und Psychologen wollten herausfinden, welche Wirkung die Geräusche des Krieges auf die Soldaten haben – etwa das Geräusch explodierender Granaten.
Man diskutierte zum Beispiel, ob der Schall einer Granate Gehirn oder Nerven nachhaltig schädigt. Oder ob diese Schäden heilbar sind, wenn nur der Soldat gesund werden will. Ziel der Heilung war, den Soldaten zurück in den Krieg zu schicken. Eine Klärung schien außerdem wichtig, wenn es darum ging, einem solchen Soldaten eine Rente zu gewähren oder nicht.
Analytisches Hören und Kriegslärm
Untersucht wurde Kriegslärm aber auch mit anderen Zielen: Man wollte ermitteln, inwieweit man Geräusche zur Analyse des Kriegsgegners nutzen kann. Für diese Erkundungen nutzte man nicht nur gut hörende Soldaten oder Hunde. Am Ende des Ersten Weltkrieges entwickelte man auch Apparaturen, mit denen sich zum Beispiel Geschütze des Kriegsgegners orten ließen.
Du findest online diverse Fotos von solchen Horchgeräten, die alle in etwa aus dieser Zeit stammen: große Trichter, die man sich auf die Ohren setzt oder mit denen man sich drehen kann. Manche wurden zusätzlich mit einer Membran ausgestattet. Mit anderen Geräten, so genannten Minenhorchgeräten, wollte man frühzeitig hören, wenn sich der Feind an die eigene Stellung herangräbt, um die Stellung zu sprengen.
In der Folge – so ab den 30er Jahren – wurden Soldaten darauf trainiert, diese Geräusche zu erkennen und taktisch auszunutzen: ein Gewehr von einem Maschinengewehr unterscheiden, deutsche von französischen Flugzeugmotoren, einen Mündungsknall von einem Geschossknall usw. Geübt wurde auch das Richtungshören. Die Soldaten sollten befähigt werden, zu hören, aus welcher Richtung und in welcher Entfernung der andere schießt.
Außerdem wurden die Horchgeräte weiterentwickelt. Funkmessverfahren – bzw. das Radar – gab es noch nicht. Also baute man immer größere Hörstationen. An der englischen Küste entstanden riesige Schalen aus Beton, mit denen man den Luftraum abhorchen konnte. Die Schalen konnten Schall bereits aus großer Entfernung aufnehmen. Gebaut wurden sie, weil englische Städte während des Ersten Weltkriegs von deutschen Zeppelinen angegriffen worden waren. Mit den Schalen wollte man Angriffe von Flugzeugen frühzeitig erkennen.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Möglichkeiten der Ortung noch verfeinert. Es gab Richtungshörgeräte für die Flugabwehr und Sonar-Geräte für den U-Boot-Krieg. Man entwickelte Waffen, die auf Geräusche des Gegners reagieren sollten. Deutschland setzte akustische Torpedos ein, die durch die Geräusche von Schiffsschrauben gesteuert wurden; das war jedoch kaum erfolgreich. Die Alliierten nutzten ab 1942 Akustik-Torpedos. Die hatten eine recht hohe Trefferquote.
Entwicklung lärmender Waffen
Unter den Nazis arbeiteten deutsche und österreichische Ingenieure an der Entwicklung einer Schallkanone. Der Schall sollte im Umkreis von 50 Metern tödlich sein. Es gab Versuche, die Ende 1944 eingestellt wurden.
Zum Einsatz kamen Waffen, die den Kriegsgegner auch akustisch schlagen sollten. 1935 führte die deutsche Luftwaffe den Sturzkampfbomber (Stuka) Ju 87 ein, der im Spanischen Bürgerkrieg erstmals zum Einsatz kam. Anfangs verfügte der Bomber über Sirenen. Die drehten sich im Fahrtwind und erzeugten einen hohen, durchdringenden, gespenstischen Ton. In Anlehnung an die Bibel wurden die Sirenen „Jericho-Trompeten“ genannt. Die Sirenen hatten allerdings einen Nachteil: Sie verringerten die Geschwindigkeit beim Sturzflug. Deshalb wurden sie später entfernt. Stattdessen stattete man die Bomben im Leitwerk mit Lärmerzeugern aus.
Gespenstischen, alles übertönenden Kriegslärm gab es aber auch auf Seiten der Alliierten. Ab 1941 nutzte die Rote Armee die Katjuschas bzw. „Stalin-Orgeln“, Mehrfach-Raketenwerfer, die ihre Raketen im Sekundentakt abschossen. Nicht weniger ängstigend klangen die Bomber der Alliierten, die wie ein Teppich aus Lärm anflogen, sich allmählig näherten, bis ihr Klang alles beherrschte.
Kriegslärm und Gehörschutz
Nicht zuletzt war der Kriegslärm des Zweiten Weltkriegs auch Anlass für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema Gehörschutz. Wie mir der Lärmwirkungsforscher Professor Dr. Jürgen Hellbrück in einem Interview erklärte, begann man in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, nach systematischen Maßnahmen zum Lärmschutz zu suchen. Fokus lag zum einen auf der Arbeitswelt; wichtige Impulse kamen während des Zweiten Weltkriegs aber auch von Seiten des Militärs:
„In Amerika bekam Stanley Smith Stevens, einer der bedeutendsten Psychoakustiker der ersten Stunde, den Auftrag, Lärmwirkungen bei Bomber-Piloten zu untersuchen“, so Professor Hellbrück. „Man hatte festgestellt, dass die Piloten die meisten Unfälle verursachten, wenn sie nach einem Einsatz zur Landung ansetzten. Zuvor waren sie stundenlang geflogen, hatten ihre Bombenlast abgeworfen; und dann ging es wieder zurück. Der Lärm in den Kabinen war enorm. Es gab die Vermutung, dass dieser Lärm die Piloten übermäßig erschöpft. Also untersuchte Stevens, welche Pegel überhaupt ausgehalten werden können.“
Ein weiterer prominenter Vorreiter war der britische Psychologe Frederic Charles Bartlett, der in Camebridge ein Institut für angewandte psychologische Forschungen leitete. Dort begann er bereits in den 30er Jahren im Auftrag des Militärs zu untersuchen, welche Auswirkungen Lärm auf die Leistung hat. Das war lange vor den ersten Forschungen zu Verkehrslärm. Der wurde erst in den Jahrzehnten nach dem Krieg zum Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung.
PS 1: Die Fotos zum Beitrag über Kriegslärm zeigen Ausschnitte vom Hamburger Kriegerdenkmal am Dammtor, einem grausigen Klotz mit der Aufschrift „Deutschland muss leben – und wenn wir sterben müssen“. Bei so was muss ich immer an ein Gedicht von Franz Hodjak denken: „es ist ruhmvoll und ehrenhaft / für eine große sache / zu sterben – / das soll mal einer sagen / aus eigener erfahrung“.
PS 2: Als Quellen zur Artikel-Serie über Kriegslärm habe ich genutzt: Gerhard Paul „Trommelfeuer aufs Trommelfell. Der erste Weltkrieg als akustischer Ausnahmezustand“, bpb.de 2016; Bernd Ullrich „Der Krieg – ein rücksichtsloses Geräusch. Der Lärm des Zweiten Weltkrieges“, in „Sound der Zeit: Geräusche, Töne, Stimmen, 1889 bis heute“, Wallenstein Verlag 2014; R. Murray Schafer „Die Ordnung der Klänge. Eine Kulturgeschichte des Hörens“, Schott Verlag 2010.