Ohren-Jobber

Über Hören und Schwerhörigkeit im Beruf
Kunstwerk mit Leuchtschrift

Schwerhörigkeit im Beruf? – Geld verdienen oder Karriere machen, Erfolge verbuchen oder einfach den Job behalten, groß rauskommen, sich verwirklichen, es halbwegs erträglich finden, es aushalten… – wer an dem teilnimmt, was man Berufsleben nennt, verfolgt unterschiedliche Ziele. Klar ist, man ist Teil der „Leistungsgesellschaft“, also wird erwartet, dass man leistet. Die „Leistungsgesellschaft“ ist zugleich „Kommunikationsgesellschaft“. Also wird auch noch erwartet, dass man kommuniziert.

Früher gab es Arbeitsplätze, die extrem laut waren, und bei denen es nicht so sehr auf Kommunikation ankam. Stanzer mussten stanzen, Dreher den ganzen Tag an der Drehmaschine stehen und Kanoniere an der Kanone. Ein Hörschaden gehörte bei solchen Berufen sozusagen dazu. Auf Hören kam es bei der Arbeit ohnehin nicht so an. Groß reden konnte man wegen der Lautstärke sowieso nicht. Wer um sein Gehör fürchtete, steckte sich irgendwas ins Ohren. Erste Forschungen zum Thema Lärmschutz gab es erst in der ersten Hälfte letzten Jahrhunderts – etwa in England zur Zeit des 2. Weltkriegs bei Bomberpiloten der Royal Air Force. Aber um Gehörschutz im Beruf geht es hier nicht. Das war schon Thema eines anderen Beitrags, und für laute Arbeitsplätze gibt es heute Regeln und Vorschriften.

Frage ist hier vielmehr, was so ein „normaler“ bzw. nicht durch Lärm verursachter Hörverlust macht. Also so einer, wie ihn viele Leute irgendwann bekommen – und zwar oft auch dann, wenn sie noch mitten im Berufsleben stehen.

Kommunikation früher und jetzt

Kommunikation ist ein ziemlich modernes Wort. Zumindest in seiner heutigen Bedeutung. Vor ein paar Jahrzehnten war es weit weniger gebräuchlich. Und das nicht nur, weil es das Internet und die ganze Technik noch nicht gab. Auch die Vorstellungen davon, wie Menschen im Job miteinander umgehen, waren andere. Man redete weniger. Es gab viel mehr Hand- und weniger Kopfarbeit. Es gab weniger Team-Meetings. Wer den ganzen Tag am Fließband stand, musste nicht unbedingt teamfähig sein. Er oder sie musste einfach nur machen, was ihm oder ihr gesagt wurde, am besten gar nicht groß nachdenken, einfach nur funktionieren – diszipliniert, gehorsam, wie ein kleiner Arbeitssoldat.

Collage an Hauswand

Wenn einer nur anweist und der andere nur macht, was ihm gesagt wird, muss man nicht viel reden. Es mag Jobs bzw. Arbeitgeber geben, bei denen auch heute noch nicht viel geredet wird. Aber im Schnitt ist das Arbeitsleben komplexer – und damit auch kommunikativer.

Nicht hören können im Job

Wie sieht es aus, wenn ein nachlassendes Gehör Kommunikation nicht mehr richtig gewachsen ist? – So normal ein Hörverlust ist, so normal scheint es mitunter auch heute noch zu sein, ihn möglichst lange mit sich herumzuschleppen, ihn zu verstecken und nichts zu unternehmen. Bei meiner Arbeit begegnen mir immer wieder Leute, die jahrelang mit offensichtlich eingeschränktem Gehör gearbeitet haben, ehe sie aktiv wurden: Die Sekretärin im Büro einer Handwerksfirma, die telefonisch Bestellungen so annahm, dass teures Material falsch zugeschnitten und unbrauchbar wurde; der Rechtsanwalt, der seine Mandanten, und die Lehrerin, die ihre Schüler nicht mehr verstand; die Krankenschwester auf der Intensiv-Station, die die Warnsignale der Apparaturen nicht mehr hörte…

Alle hatten ein Problem damit, endlich etwas zu ändern. Weil die Kollegen sich was denken könnten, wenn man Hörgeräte hat. Oder weil sich die Schüler oder die Kunden was denken könnten. Oder weil einem der Chef nichts mehr zutraut, wenn man Hörgeräte hat. – Völlig grundlos also? Nicht unbedingt. Denn die Vorurteile, die man mit sich rumschleppt, hat man ja oft nicht allein.

Wenn’s sozial schwierig wird

Der Redakteur einer bekannten Wirtschaftszeitung erklärte mir mal, dass so ein Thema wie Hörgeräte für seine Leser absolut nichts wäre. Seine Leser wären nämlich Manager, die ganz andere Dinge im Kopf hätten. Die wären zeitlich eng getaktet und voll im Job eingebunden. Die hätten gar keine Zeit für solche Nischen-Themen. Ich entgegnete ihm, dass ich kaum ein Medium wüsste, dessen Leser sich mehr für mein Thema interessieren müssten, als seine. Manager arbeiten jeden Tag in einem hoch kommunikativen Job. Sie sind für jede Menge verantwortlich. Zudem würden solche Manager, die noch Wirtschaftszeitungen lesen, vermutlich oft im besten Hörgeräte-Alter sein…

Bild zum Beitrag über Schwerhörigkeit im Beruf

Ob Manager*in, Verkäufer*in, Lehrer*in – in allen möglichen Berufen wirst du heute stark kommunikativ gefordert. Jeder Versuch, in so einem Umfeld das eigene Hörproblem zu verstecken, führt zwangsläufig in ein Problem – schon weil es sozial schwierig wird. Denn wenn man nicht zuverlässig versteht, hat das Auswirkungen auf den Umgang mit Kollegen, mit Vorgesetzten oder Kunden: Ich überhöre, dass mir jemand „Guten Morgen!“ sagt. Ich verstehe falsch, was der Chef von mir will. Ich kann im Pausengespräch nicht mehr mitreden. Ich stehe nicht nur außerhalb. Es kommt zu Missverständnissen. Nicht nur ich bin es, der die anderen nicht versteht. Auch die anderen verstehen mich nicht mehr. Sie sind irritiert. Denn schließlich sieht man mir meine Schwerhörigkeit ja nicht an.

Wenn sich alle ihren Teil denken

Also denken sich die anderen ihren Teil. Was sie sich denken, hat zwar oft nichts mit Schwerhörigkeit zu tun. Doch dafür gilt man bei den Kollegen oder Kunden vielleicht als unfreundlich und irgendwie komisch, als Außenseiter, als jemand, der immer nur Mist baut, als unzuverlässig, inkompetent… Man sieht sich Vorwürfen und Anfeindungen ausgesetzt, deren Ursache nicht man selbst ist – sondern die Schwerhörigkeit, von der keiner wissen soll.

Quattrocopter mit Babys

Auch für Karrierepläne ist so was alles andere als hilfreich. Hinzu kommt, dass meine Schwerhörigkeit richtig gefährlich werden kann. Wenn Warnsignale in der Produktionshalle oder im Krankenhaus nicht mehr gehört werden, ist das gefährlich.

Und es ist anstrengend, schlecht zu hören. Das Gehirn muss ständig Höchstleistungen erbringen, um den Mangel an Information auszugleichen. Man verausgabt sich frühzeitig, ist am Abend völlig erschöpft. Ich habe mit Menschen aus unterschiedlichsten Berufen gesprochen, die genau das erlebt hatten. Mir fällt eine Frau ein, die davon erzählte, wie fertig sie jeden Abend war. Nichts ging mehr neben dem Job. Sie ist nur noch nach Hause, um zu essen und zu schlafen, am Morgen Kraft für die nächste Runde zu haben und immer so weiter.

Absolut ausgebrannt

Es gibt verschiedene Untersuchungen, die zeigen, dass man mit Schwerhörigkeit (und ohne Technik am Ohr) im Job deutlich häufiger ausfällt als gut hörende Kollegen. Auch ersthafte psychische Erkrankungen wie das Burnout-Syndrom können die Folge sein. Man hält durch, bis absolut nichts mehr geht. Bis einem der eigene Körper zeigt, dass jetzt Schluss ist.

Abbildung zum Beitrag über Schwerhörigkeit im Beruf

Bei der Frau, die ich gerade erwähnte, war es so. Ein völliger Zusammenbruch. Sie sagt heute, dass ihr Zustand damals mit ganz vielen Dingen zu tun hatte, die sie erst heute versteht. Dass sie immer gut funktioniert hat. Dass sie schon so erzogen wurde. Dass man keine Schwäche zeigen darf. Dass ein Mädchen immer machen muss, was ihm gesagt wird. Und dass es niemals danach geht, was man für sich selbst braucht.

Über ihr heutiges Leben sagt sie, dass es schon ein glückliches Leben sei. Sie trägt heute Hörtechnik, auf die sie nicht mehr verzichten würde. Und sie lebt auch sonst ganz anders als früher. In ihren Job bzw. ins Berufsleben kann und will sie jedoch nicht mehr zurück. Inzwischen muss sie es auch nicht mehr.

Ein Tipp zum Schluss

Klar, das ist ein extremes Beispiel für Schwerhörigkeit im Beruf. Aber auch diese Frau hatte Jahrzehnte ohne Schwerhörigkeit gelebt – bis die Schwerhörigkeit nach und nach die Kontrolle übernahmen. – „Im Nachhinein hätte ich nicht so lange gezögert, etwas dagegen zu machen“, ist eine der häufigsten Aussagen, die ich bei Interviews bekomme, wenn ich Leute zu ihrem Weg zu Hörtechnik frage.

Es gibt übrigens auch Untersuchungen, die deutlich belegen, dass schwerhörige Arbeitnehmer ihren Job mit gut eingestellten Hörgeräten ebenso meistern, wie ihre gut hörenden Kollegen das tun. Schwerhörigkeit im Beruf muss also gar kein Problem sein.

Homer Simson Streetart

Daher zum Schluss des Beitrags über Schwerhörigkeit im Beruf noch ein Tipp: Wenn du schlecht hörst, dann such dir einen passenden Hörakustiker, lass dich beraten und dir gegebenenfalls gute Hörgeräte verpassen. Und wenn du an deinen Kollegen oder Vorgesetzten zweifelst, dann rede mit ihnen – aber erst, nachdem du die Geräte hast. Hörgeräte lassen einen nämlich nicht nur besser hören. Oft machen sie auch selbstbewusster. Und zu verstecken gibt es ohnehin nichts. Ganz im Gegenteil: Mit den Geräten kannst du dein Potential wieder voll ausschöpfen, und du benötigst dafür auch noch weniger Kraft.

PS: Die Fotos zum Blog-Beitrag über Schwerhörigkeit im Beruf zeigen Arbeiten Londoner Straßenkünstler – aus den Stadtbezirken Tower Hamlets und Camden – die mir für das Thema zu passen schienen. Das erste Bild zum Thema Schwerhörigkeit im Beruf – also das mit der Leuchtschrift – stammt aus Amsterdam.


Vorheriger Beitrag
Bilder vom Hören (Teil 2)
Nächster Beitrag
„Wir sind Großmeister im Nichthören“ (Sam Auinger)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fill out this field
Fill out this field
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
You need to agree with the terms to proceed

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Mit unserem News­letter erhalten Sie regelmäßig Artikel, Geschichten und Neuigkeiten rund um das Hören mit und ohne Technik. Informationen zu den Inhalten, der Proto­kollierung Ihrer Anmeldung, dem Versand über den US-Anbieter MailChimp, der statistischen Aus­wertung sowie Ihren Ab­bestell­­möglichkeiten, erhalten Sie in unserer » Datenschutzerklärung

Neueste Beiträge

Kategorien