Im letzten Artikel hatte ich schon von meinem Besuch beim Geräuschemacher Peter Deininger berichtet. Davon hier noch mehr. Interessiert hat mich zum Beispiel auch, ob es unter Filmgeräuschen so eine Art Klassiker gibt. Also Geräusche, die Peter Deininger immer wieder einsetzt, und die ganz anders entstehen als in der Natur.
Keine Eier und kein Schnee, aber Billartkugeln
Peter Deininger nannte da etwa Schritte im Schnee. Für die nimmt man einfach einen Sack mit Kartoffelmehl: „Wenn Du den zusammenknautschst, hört sich das original wie Schnee an. Noch so ein Klassiker sind Pferdehufe. Das sind halbe Kokosnuss-Schalen, die man mit den Schenkeln aneinander haut. Für knisterndes Feuer nimmt man einfach Styropor. Und um ein Ei in der Pfanne aufzuschlagen, nimmt man einen Pingpong-Ball. Den schneidest Du mit dem Messer an. Und wenn Du ihn dann zusammendrückst, hört sich das genauso an wie Eierschalen. Brauchst Du den Klang von Billardkugeln, geht das nicht ohne Billardkugeln. Aber Du brauchst keine Eier, keinen Schnee und keine Pferde. Du musst nur immer überlegen, wie Du ein bestimmtes Geräusch herstellst.“
Wo Peter Deininger neue Geräusche findet, ist ganz verschieden. Flohmärkte zum Beispiel sind für ihn ein Muss. – „Da bin ich je nach Bedarf. Das ist das Allerschönste. Und was Leute wegschmeißen, das glaubst Du gar nicht! Da sind derart gute Geräusch-Utensilien dabei!“
Auch Baumärkte findet Peter Deininger ok: „Letztens war ich in einem, habe mir ein Scharnier nach dem anderen gegriffen und sie mir angehört. Eines hat großartig gequietscht. Der Verkäufer hatte mich schon die ganze Zeit so blöde angeguckt. Und als ich mich dann für das Scharnier mit dem Quietschen entschied, meinte er: ‚Nehmen Sie das mal nicht, das quietscht.‘ – ‚Doch, das will ich ja gerade‘, habe ich ihm erklärt.“
Wie Peter Deininger Geräuschemacher wurde
Die Idee, Geräusche für Filme künstlich zu erzeugen, kommt aus Hollywood, hat mir Peter Deininger erzählt. Als erster Geräuschemacher gilt Jack Foley. Im Englischen heißen Geräuschemacher deshalb auch Foley-Artist. Foley hat damals als Erster ein zusätzliches Band in die Ton-Mischung gegeben, auf dem keine Sprache war. Vorher wurde alles gleich am Set aufgenommen – die Sprache und die Geräusche.
Und wie wurde Peter Deininger Geräuschemacher? – „Ich selbst bin Quereinsteiger“, erzählte er mir. „In den 80ern habe ich mal Grafik-Design studiert, das Studium jedoch abgebrochen, weil mich das überhaupt nicht interessierte. Ich lebte damals in Köln. Es war die Zeit der Neuen Deutschen Welle, und ich hatte eine Band. ‚Spiegelsplitter‘ hieß die. Aber der kommerzielle Erfolg blieb aus.“
Deshalb ging Peter Deininger dann nach Berlin: „In der Morgenpost stieß ich auf eine Anzeige: Junge Damen und Herren gesucht zwecks Ausbildung zum Geräuschemacher. Das fand ich spannend. Mein Bruder, der Schauspieler ist, war damals viel auf Tournee. Weil ich ihm nicht schreiben wollte, hatte ich ihm immer Kassetten zusammengeschnitten – Musik, Geräusche und Sprache. Und ich hatte zwar nie ein Instrument gespielt. Aber es hatte mir tierisch Spaß gemacht, mit Instrumenten zu experimentieren, auf den Rücken einer Gitarre zu klopfen oder die Seiten zu verziehen. Mit einem Mal wurde mir klar, dass mich Geräusche irgendwie schon immer fasziniert haben. Also habe ich mich beworben. Das war bei der Deutschen Synchron. Und seit 1990 mache ich das nun. Ich bin sozusagen von der Musik zu den Geräuschen gekommen.“
Richtig gelernt hat Peter Deininger den Beruf dann bei Hans Kramski in München. – „Das war ein Glück“, erzählt er. „Kramski war einer der ganz großen Geräuschemacher weltweit. Er hat z. B. ‚Das Boot‘ gemacht, und in Holland haben Sie sogar das Geräusche-Studio nach ihm benannt. Mein damaliger Chef war mit ihm befreundet, und er schickte mich für ein halbes Jahr nach München, um Kramski zu assistieren.“
Depressive Türen und selbstbewusste High Heels
An sich sei Geräuschemacher ein Beruf, in den man nur über Learning-by-doing hinein kommt, sagt Peter Deininger: „Es ist wie bei so einem uralten Handwerk. Du musst jemanden finden, der Dich in die Geheimnisse einweiht; einen Meister, der Dich an seinem Wissen teilhaben lässt.“
In Vorbereitung auf das Interview hatte ich auch über Hans Kramski gelesen – etwa, wie er sich mit einer Regie-Anweisung bei einem Stück von Samuel Becket auseinandersetzte. Beckets Anweisung schrieb eine „depressiv knarrende Tür“ vor…
„Viele Geräusche sind Ausdruck von Emotionen“, so Peter Deininger. „Wenn du bedächtig und vorsichtig bist, dann gehst du auch so. Oder wenn da zwei Frauen laufen, und beide haben Stöckelschuhe an… – High Heels an sich sind schon schwierig. Aber wenn da zwei laufen, musst du sie auch noch in Relation zu einander bringen. Und man kann in High Heels sehr unterschiedlich auftreten, sehr selbstbewusst oder auch absolut unsicher. Da spielt die Lautstärke eine Rolle und die Länge des Schritts. Der kann schleifen oder rumpeln. Es ist ein bisschen wie Schauspiel. Wenn man das macht, muss man die Emotionen auch nachempfinden.“
Mitunter muss Peter Deininger beim Schrittgeräusche machen auch an vorhandene Schritte anknüpfen. Ist der O-Ton bei ausländischen Filmen nicht mit Sprache überdeckt, wird das oft freigeschnitten. Doch sobald geredet wird, fehlen die Schritte. Dann muss Peter sie so nachmachen, dass sie perfekt an den O-Ton passen.
Peter Deininger: „Mein größter Feind sind die Musiker.“
Nach Peters Schätzung gab es in Deutschland zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ungefähr 20 bis 30 Geräuschemacher, die gut im Geschäft sind. Pro Tag schafft jeder von ihnen etwa 20 bis 30 Minuten Film, an zwei bis drei Tagen also einen „90-Minüter“. – „Vielmehr Geräuschemacher sollten es nicht werden, damit für alle genug zu tun bleibt.“
Leider sei es so, sagt Peter Deininger, dass im Film-Geschäft aus Kostengründen immer weniger Wert auf Geräusche gelegt wird. Zumindest in Fernseh-Serien würden Geräusche oft stiefmütterlich behandelt. – „Bei Kinofilmen ist das ganz anders. Da wird sogar sehr, sehr viel Wert darauf gelegt. – Wenn z. B. in einem Fernsehfilm vier Leute eine Straße lang laufen, dann mache ich alle vier zusammen auf einem Band. Beim Kinofilm bekommt die Hauptperson eine Extra-Spur, die Frau auch noch eine usw. Da hast Du vier, fünf Spuren für die gleiche Szene. Und wenn der Regisseur in der Mischung beim Sounddesigner sitzt, kann er sagen: ‚Ich möchte die Frau ein bisschen lauter haben; die muss herausstechen.‘ Dann kann man die Frauen-Spur höher setzen als die anderen. Aber beim Fernsehfilm ist das gar nicht mehr möglich.“
Wird also manchmal unterschätzt, welche Bedeutung die Geräusche für unser Erleben haben? – „In teuren Kinoproduktionen nicht, denn da soll jedes Detail top sein“, sagt Peter. „Aber in anderen Bereichen schon. Mein größter Feind überhaupt sind die Musiker. – Ich mit meinen zaghaften Geräuschen, und dann wird das bombastisch mit Musik unterlegt… Da ist alles weg. Du hörst nichts mehr. Ich wünschte mir, die Regisseure würden sagen: ‚Ok, von da bis da läuft Musik, da brauchen wir keine Geräusche.‘ Aber meist ändern die das noch. Dann sagt der Regisseur in der Hauptmischung: ‚Nee, keine Musik hier.‘ – Und dann würden da die Geräusche fehlen. Also arbeiten wir ab und zu auch umsonst.“ – Es sei ein genereller Trend, dass vieles mit Musik überladen wird. Bei Serien sei das oft so extrem, dass sogar die Sprachverständlichkeit leide.
„Pulp Fiction“ und „Fix & Foxi“
Für Dokumentarfilme arbeitet Peter überhaupt nicht. Einmal bekam er einen Tierfilm mit Echsen, bei dessen Aufnahme man nicht an den Ton gedacht hatte. Also musste er nachmachen, wie die Echsen über die Felsen klettern. Doch am meisten Spaß machen Peter Deininger Zeichentrickfilme: „Denn bei denen gibt es gar nichts. Du musst den ganzen Ton komplett selbst konstruieren. Nur die Atmosphären, Regen, Gewitter und Vogelgezwitscher, das kommt aus Datenbanken. Und das absolute Highlight sind Hörspiele. Denn ohne Bild achtet man nur auf die Geräusche.“
Das seien zugleich auch die anspruchsvollsten Aufträge. Doch leider kämen solche Aufträge nur selten. Viel Spaß würden außerdem auch Geräusche für alte Filme machen – für solche aus den 60er Jahren: „Da brauchst Du die passenden Requisiten. Du kannst z. B. nicht einfach ein Telefon nehmen. Du brauchst eine Wählscheibe. Und die hatten damals auch ganz andere Schuhe – viel härtere Sohlen. Turnschuhe gab es ja noch nicht. Heute tragen fast alle Turnschuhe, und man hört dann gar keine Schritte mehr. Du wirst also ganz anders herausgefordert. – Wobei, auch für Turnschuhe ist es heute üblich, Schritte zu synchronisieren.“
Zu den Highlights seiner bisherigen Jahre als Geräuschemacher gehören für Peter Deininger seine Anfänge in der Synchronfirma, als er u. a. die Geräusche für „Pulp Fiction“ gemacht hat. – „Da hatten sie beim Ton voll gepennt. Da waren Geräusche zum Teil einfach nicht da, so dass ganze Sequenzen für den deutschen Markt nachproduziert werden mussten. Ich war halt tierisch stolz, für diesen Film die Geräusche gemacht zu haben.“ Aber auch die „Fix & Foxi“-Filme oder Produktionen für den „Tatort“ hätten ihm viel Spaß gemacht, sagt Peter Deininger.
„Passt das? Nee, das ist ein Scheiß-Geräusch.“
Am besten sei ein Geräuschemacher immer dann, wenn der Zuschauer gar nicht merkt, dass die Geräusche künstlich hergestellt wurden. Das sei eine große Kunst – vor allem bei Schritten.
Aber es gibt auch Tage, bei denen es bei Peter mit dem Geräuschemachen überhaupt nicht läuft: „Die Geräusche werden ja auch noch geschnitten. Ich habe eine Reaktionszeit von zwei, drei Feldern. Diese Schallverzögerung wird beim Schnitt eingearbeitet. Aber nach einem schlechten Tag kommt schon mal der Cutter und meint: ‚Heute warst Du nicht synchron. Ich musste ganz schön rumschnippeln…‘ Oder dem Sounddesigner gefällt etwas nicht. Dann muss man es eben neu machen.“
Worauf Peter Deininger achtet, wenn er sich selbst mal Filme anschaut, ist vermutlich klar: „Das ist leider Gottes ein Berufsschicksal“, sagt er. „Wenn ich mir einen Film ansehe, interessiert mich weder der Inhalt noch was die Akteure sprechen. Mich interessieren nur die Geräusche, die Atmosphären. Wenn z. B. eine Tür klickt, schaue ich, ob das synchron zum Bild war. – Passt das? Nee, das ist ein Scheiß-Geräusch. Wieso höre ich da jetzt die Schritte nicht? Könnte ich besser machen… – Wenn ich Fernsehen gucke, dann Sport oder Dokus. Da spielen die Geräusche keine Rolle.“
Aber auch im Alltag, wenn Peter Deininger unterwegs ist, achtet er oft auf Geräusche: „Ich finde es wunderschön, vor einem Café an einer Fußgängerzone zu sitzen, und auf die einzelnen Schritte zu hören. Wie es klingt, wenn eine Frau mit High Heels kommt oder wenn die Ampel klackt; wie sich Geräusche zusammensetzen. Das ist alles wie ein Bild. Da höre ich wahrscheinlich anders als andere. Sehr bewusst. Und ich versuche, die Dinge nachzumachen. Schließlich ist es mein Beruf, auf solche Sachen zu hören und zu wissen, wie das zu klingen hat.“
PS: Die Fotos zum Beitrag über den Geräuschemacher Peter Deininger zeigen das Geräuschemacher-Studio bzw. ganz viel Zeug, mit dem Peter Deininger Geräusche macht.