Zum Beispiel Anna…

Eine Geschichte von vielen über das Hören mit Technik

Ständig führe ich Interviews. Und immer geht’s um das Hören mit Technik. Die allermeisten Interviews führe ich mit Menschen, die selbst nicht gut hören können und daher Hörtechnik nutzen – alte und junge Menschen, Kinder, Studenten, Berufstätige, Rentner. Manchmal interviewe ich auch einen bekannten Musiker, der schlecht hört, oder einen Schauspieler, Künstler, Politiker. Oft interviewe ich Menschen, die seit ihrer frühesten Kindheit schlecht hören, dann wieder solche, die ihr Hörvermögen erst spät verloren haben. Weil ihre Ohren über die Jahre zu viele Pegel abbekommen haben. Oder weil es natürlich ist, dass das Gehör irgendwann nachlässt. Weil es jedem so gehen kann wie Anna, über die ich hier schreibe.

Laute Trecker, Schlepper, Schweine…

Anna ist 50. Als junge Frau hat sie Agraringenieurin studiert. – „Ich bin von Haus aus Landwirtin und habe zehn Jahre im Betrieb gewirtschaftet“, erzählt sie. „Dort war es immer sehr laut – die Trecker, die Maschinen, die Schlepper, die Motorsäge im Wald. Auch beim Schweine füttern ist es sehr laut. Die Berufsgenossenschaft empfiehlt, bei solchen Arbeiten Gehörschutz zu tragen.“

Getragen hat Anna den Gehörschutz aber nicht immer: „Wenn ich stundenlang auf dem Acker war und mit dem Trecker gearbeitet habe oder im Wald mit der Motorsäge, dann hatte ich Gehörschutz auf; aber im Stall nicht. Dort hatte ich Probleme mit der Luft, vor allem mit Staub. Ich trug deshalb ein Atemgerät. Das ist ein Helm mit Visier, in den ständig Frischluft strömt. Der Gehörschutz passte da einfach nicht mehr. Vielleicht hätte man sich nach einer anderen Lösung erkundigen müssen… – Ich sagte mir eben, es geht schon mal ohne. Doch das soll man ja nicht tun. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da schon schlechter gehört habe. Damals war es noch kein großes Problem, wenn man nicht so gut hörte.“

Hören mit Technik: „Ich finde Hörgeräte nicht so sexy.“

Irgendwann verließ Anna den Landwirtschaftsbetrieb und arbeitete im Außendienst: „Hier habe ich festgestellt, dass ich manche Kunden nur sehr schlecht verstehe. Wenn sie eher leise sprachen oder weiter weg saßen, habe ich oft drei, vier Mal nachfragen müssen. Das war einfach unangenehm. Ich ging zum Ohrenarzt und der stellte bei mir eine altersbedingte Schwerhörigkeit fest. Fast alle in unserer Familie haben so was – mein Bruder, mein Vater; auch meine Oma war schwerhörig. Aber ich war erst Anfang 30…“

Illustrationen zu einer Geschichte über das Hören mit Technik auf die-hörgräte.de

Scheu vor dem Hören mit Technik hätte sie damals nicht gehabt, sagt Anna: „Es gibt ja Leute, die auf keinen Fall Hörgeräte tragen wollen und das als Makel erleben. Ich kenne mehrere, bei denen ich sicher weiß, dass sie Hörgeräte brauchen. Aber wenn ich sie darauf anspreche, dann entgegnen sie: ‚Ach nein. So schlecht wie du höre ich ja nicht…‘ – Gut, ich selbst finde Hörgeräte jetzt auch nicht wahnsinnig sexy. Ich habe mir damals die Haare wachsen lassen, damit man sie nicht so sieht. Aber ich hatte viel gelesen. Ich wusste, dass man früh anfangen soll, weil das Hörvermögen sonst noch mehr nachlässt.“

Hören mit Technik: „Mit Hörgeräten ist das ein langer Prozess.“

Dennoch passten Anna und die Hörgeräte lange nicht zusammen: „Meine ersten Geräte waren ganz einfach. Ich dachte, so viel Geld muss man dafür nun auch nicht ausgeben. Aber dann ging das gar nicht. Ich habe die Geräte fast nie getragen. Und ich merkte, dass es zunehmend schwieriger wird. – In Versammlungen, in Meetings, auf Tagungen konnte ich eigentlich gar nicht mehr folgen. – Anfangs denkt man ja noch, mit einem Hörgerät ist das so wie mit einer Brille. Die setze ich einfach auf und dann sehe ich. Aber mit Hörgeräten ist das ja leider ganz anders. Das ist ein langer Prozess.“

Später nahm Anna bessere Geräte, mit denen kam sie auch besser klar. Alle paar Jahre gab es neue: „Die Technik verbessert sich ja immer weiter. Man merkt bei jedem neuen Gerät, dass das wieder ein richtiger Sprung ist.“ – Solche Sprünge waren aber auch wichtig, erzählt Anna. Denn so ließen sich immer wieder Grenzen überwinden, die es zuvor für sie auch mit der Hörtechnik gegeben hatte – zum Beispiel im Büro.

Hören mit Technik: „Mit Hörgeräten telefonieren ging gar nicht.“

Heute ist Anna Vertriebsleiterin in einem großen Agrar-Betrieb. – „Ich teile mir das Büro mit mehreren Kollegen. Eigentlich sind wir vier, aktuell sogar sechs – vorrübergehend, da wir demnächst umziehen werden. In einem recht engen Büro mit so vielen Leuten sitzen und dann noch telefonieren – das ist schon ohne Schwerhörigkeit eine echte Herausforderung. Und mit Hörgeräten zu telefonieren, ging für mich damals eigentlich gar nicht. Ich hätte sie mir ständig rausnehmen und wieder einsetzen müssen. –Ich dachte: Mein Gott, wie machst du das hier mit dem Telefonieren?! Es war mein größtes Problem.“

Szenen aus einem alten Werbefilm für das Telefonieren aus dem Postal Museum in London

Als ich Anna traf, hatte sie gerade eine Lösung für dieses Problem gefunden – darum ging es auch im Interview: Sie hatte sich neue Hörgeräte gekauft. Bei denen kamen die Telefonate direkt im Gerät an. Anna fand das super. Außerdem konnte sie die Einstellung ihrer Hörgeräte über eine App am Handy steuern, was damals ganz neu war.

„Ich kann da z. B. auch den Hörfokus einstellen. Der lässt sich weit oder eng regeln. In lauen Situationen stelle ich ihn immer auf eng. Damit ich denjenigen, den ich angucke, auch sicher verstehe. Das funktioniert gut. – Also diese Einstellungsmöglichkeit ist wirklich klasse. Und wenn es mir mal zu laut ist, kann ich es einfach leiser regeln.“

„Meine Kollegen sagen: ‚Mit deinen Hörgeräten ist das doch cool!“

Sehr wichtig ist Anna die Anpassung der Hörgeräte beim Hörakustiker: „Ich würde sagen, die Anpassung ist mindestens genauso wichtig wie das Hörgerät selbst. Es ist entscheidend, einen guten Akustiker zu finden. Und es ist wichtig, dass man dranbleibt. Man muss immer wieder hingehen und sagen, wenn etwas stört.“

Beim Telefonieren hat Anna sogar das Gefühl, dass ihr die Hörgeräte einen Vorteil gegenüber gut hörenden Menschen verschaffen. – „Meine Kollegen sagen manchmal: ‚Mit deinen Hörgeräten, das ist doch cool!‘ Die anderen gehen bei Telefonaten raus, wenn es im Büro zu unruhig ist. Sie haben Headsets. Aber die sind nur an einem Ohr, und das andere Ohr ist frei. Wenn es sehr laut ist, verstehen sie nicht mehr und telefonieren lieber vor der Tür. Das muss ich nie. Also beneiden sie mich ein bisschen darum, dass ich da drinnen so schön telefonieren kann.“

Illustrationen zu einer Geschichte über das Hören mit Technik auf die-hörgräte.de

Ich habe Anna noch gefragt, was die Hörgeräte für sie sind und welche Rolle das Hören mit Technik in ihrem Leben spielt: „Die spielen schon eine große Rolle. Ohne Hörgeräte könnte ich unser Gespräch jetzt nicht verstehen. Ich höre wirklich schlecht. Und deshalb trage ich die Geräte auch täglich. Mir ist es schon passiert, dass ich hier in der Firma ankam und die Geräte vergessen hatte. Das war dann ziemlich dumm.“

Außerdem meint Anna: „Ich würde schon lieber ohne Hörgerät leben. Das sagt wahrscheinlich jeder, der welche braucht. Und ich finde es auch gut, wenn ich die Geräte nachts rausnehmen kann, und wenn es dann angenehm still ist. Kein lauter Straßenverkehr, der stört. Auch wenn ich mal in einem lauten Hotel bin, merke ich davon nichts… – Die Geräte sind kein Teil von mir. Aber sie sind eine notwendige Technik, damit ich dabei sein kann. Es ist auf jeden Fall eine sehr, sehr große Hilfestellung für mich. Ich bin schon froh, dass es sowas gibt.“

Szenen aus einem alten Werbefilm für das Telefonieren aus dem Postal Museum in London

PS 1: Die Fotos zum Beitrag über das Hören mit Technik, Anna und ihre Hörgeräte zeigen Bilder aus alten Telefon-Werbevideos, die ich im Postal Museum in London gefunden habe.


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