Hörsturz

Wenn man von einem Moment auf den anderen das Gehör verliert
Montagne de Bueren, eine große Treppe in Lüttich

„Was machst du, wenn du morgen taub bist?“ – Diese Frage nutzt die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e.V. (DCIG), um auf die Möglichkeiten des Cochlea-Implantats (CI) hinzuweisen. Um auch diejenigen zu erreichen, die gut hören können. Für die allermeisten ist gut hören können selbstverständlich. Dabei spricht vieles dafür, dass es nicht so bleibt. Ich kann noch recht gut hören. Wenn ich Menschen begegne, die hörgeschädigt bzw. taub sind, dann habe ich mir angewöhnt zu sagen, dass ich noch nicht hörgeschädigt bin. Dass natürliche Hörvermögen lässt im Laufe eines Lebens nach. Es kann sein, dass das Gehör von einem auf den anderen Moment vollständig und unwiederbringlich verschwindet – durch einen Unfall oder einen Hörsturz.

Hörsturz, was ist das eigentlich?

Pro Jahr haben etwa 150.000 Bundesbürger einen Hörsturz. Plötzlich ist das Gehör mehr oder weniger weg. Man nennt das auch Ohrinfarkt. Meist ist nur ein Ohr betroffen, es kann jedoch auch auf beiden Ohren geschehen. Der Hörsturz kann zu einem leichten Hörverlust oder auch zu völliger Taubheit führen. Mitunter kehrt das Gehör vollständig zurück; häufig bleibt eine Hörschädigung. In einer großen bundesdeutschen Studie war das bei mehr als der Hälfte der Probanden der Fall.

Illustration zu einem Beitrag über Hörsturz auf die-hörgräte.de

Ein Hörsturz ist in jedem Fall eine beängstigende Erfahrung. Und er sollte ein Alarmsignal sein. Es ist ratsam, möglichst gleich einen Arzt aufzusuchen. Je schneller behandelt wird, umso größer die Chancen. Auch einen leichten Hörsturz sollte man nicht einfach abtun. Hörstürze können sich jederzeit wiederholen. Wer einen hatte, der hat mit 30prozentiger Wahrscheinlichkeit früher oder später wieder einen. Bei Übergewicht und Rauchen, Diabetes, Stress usw. ist die Wahrscheinlichkeit noch höher.

Woran erkennt man einen Hörsturz?

Keinesfalls daran, dass es weh tut. Der Hörsturz selbst macht keine Schmerzen. Aber er führt zu einer Innenohrschwerhörigkeit. Das heißt, die Schallsignale gelangen zwar noch bis in die Hörschnecke. Doch dort werden sie nicht mehr richtig umgewandelt. Die kleinen Haarzellen spielen nicht mehr mit. Die Impulse, aus denen das Gehirn einen Höreindruck formt, kommen nicht bzw. nicht mehr vollständig an.

Montagne de Bueren, eine große Treppe in Lüttich

Darüber hinaus sind weitere Symptome als Begleiterscheinungen möglich: Tinnitus, Druckgefühl im Ohr, Schwindel. Mitunter soll man sich so fühlen, als wäre das Ohr in Watte verpackt. Möglich ist auch, dass man auf Geräusche überempfindlich reagiert. Oder die Wahrnehmung des Schalls ist auf dem betroffenen Ohr anders. Töne klingen höher oder auch tiefer als auf dem anderen.

Wie kommt es zu einem Hörsturz?

Obwohl man schon lange weiß, dass es Hörstürze gibt, sind ihre Ursachen nur wenig erforscht. Man nimmt verschiedene Möglichkeiten an, von denen oft mehrere zutreffen könnten: Das Innenohr hat sich entzündet, es wird nicht mehr genug durchblutet, es liegt eine Autoimmunerkrankung vor, es gibt Probleme mit der Halswirbelsäule. Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Rauchen und Stress werden gleichfalls als Ursachen genannt.

Es kann auch vorkommen, dass ein mutmaßlicher Hörsturz gar kein Hörsturz ist. Dann hat sich zum Beispiel im Innenohr zu viel Flüssigkeit gebildet; die geht meist nach kurzer Zeit wieder weg. Oder es sitzt ein Fremdkörper im Ohr oder Wasser. Der Gehörgang ist mit Cerumen (Ohrenschmalz) verstopft. Das Trommelfell oder die Gehörknöchelchen sind verletzt. Im Mittelohr stauen sich Blut oder Eiter. Der Druckausgleich zwischen Mittelohr und Gehörgang hat nicht funktioniert – etwa nach einem Flug. – Alles kein Hörsturz.

Was macht der Arzt?

Kommt man nach einem Hörsturz zum Arzt, wird der sich erstmal erkundigen: Wann war der Hörsturz? Was könnte ihn ausgelöst haben? Welche Symptome gibt es? Hat man Vorerkrankungen? Werden Medikamente genommen? Danach folgt die Untersuchung. Mit einem Otoskop – also einem Mikroskop für das Ohr – werden Gehörgang und Trommelfell überprüft. Das Gehör wird mit einer Stimmgabel getestet. Man nimmt eine Hörmessung vor, bei der man Töne hören soll, die immer leiser werden. Es wird die Hörschwelle ermittelt; also der Punkt, bis zu dem man hört. Und es wird eine Hörkurve erstellt, die zeigt, welche Frequenzen mit welcher Lautstärke noch gehört werden.

Illustration zu einem Beitrag über Hörsturz auf die-hörgräte.de

Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten: Mit einem Tympanometer kann man das Mittelohr überprüfen; dafür kommt eine Sonde in den Gehörgang. Auch der Blutdruck oder der Gleichgewichtssinn können geprüft werden. Man kann das Innenohr mit einer otoakustischen Emission (OAE) prüfen. Man kann das Blut untersuchen. Oder man kann mittels Kernspintomografie prüfen, ob ein Tumor die Hörverarbeitung stört.

Was hilft nach einem Hörsturz?

Man weiß heute, dass eine hohe Cortison-Dosis über die Vene oder geringere Dosen in Tablettenform helfen können. Man weiß aber auch, dass das nur mehr oder weniger klappt. In der erwähnten Studie ließ sich nicht sicher feststellen, ob die hohe Dosis Cortison über die Vene zu besseren Ergebnissen führt als die Tabletten. Doch das ist nur bedingt aussagekräftig. Untersucht wird zum Beispiel noch, wie sich das Sprachverstehen durch die eine oder die andere Behandlung verbessert.

Ist der Hörsturz schwer, muss man ins Krankenhaus. Leichtere Hörstürze können ambulant bzw. zu Hause behandelt werden. Es kann auch sein, dass dann gar keine Behandlungen erforderlich ist. Mitunter wird ein Hörsturz auch gar nicht bemerkt, und er fällt erst auf, wenn man das Gehör von Ohrenarzt oder Hörakustiker überprüfen lässt. – „Da hatten Sie wohl mal einen Hörsturz“, ist ein Satz, den ich schon häufiger gehört habe, wenn Hörakustiker Kunden die gemessene Hörkurve erklären.

Montagne de Bueren, eine große Treppe in Lüttich

Neben Infusionen oder Tabletten ist auch denkbar, dass Kortison direkt ins Ohr gespritzt wird. Das vermeidet Nebenwirkungen, weil das Kortison dann nicht in den ganzen Körper gelangt. Es birgt aber auch Risiken; denn es kann zu Schmerzen und Schwindel, einer Verletzung des Trommelfells oder einer Mittelohrentzündung führen. Daneben gibt es Behandlungsmethoden, deren Wirksamkeit bisher nicht nachweisbar ist: Infusionen, die die Gefäße erweitern, oder Aufenthalte in einer Druckkammer, in der man reinen Sauerstoff einatmet. Auch für antivirale Medikamente oder Akupunktur nach Hörsturz gibt es keine nachgewiesene Wirksamkeit. Für Homöopathie übrigens auch nicht.

Illustration zu einem Beitrag über Hörsturz auf die-hörgräte.de

Und man sollte die Behandlung nicht allein dem Arzt überlassen: Am wichtigsten ist Ruhe. Außerdem gesund leben, viel trinken, gesunde Ernährung, Bewegung. Wer raucht, sollte sich Gedanken machen, wer ein stressiges Leben hat, auch. Das sagt sich so leicht…

Wie gut sind die Aussichten?

Wie sich das Gehör nach einem Hörsturz entwickelt, lässt sich nicht sicher vorhersagen. Eher günstig sind die Aussichten auf vollständige Heilung, wenn der Hörsturz nur leicht ist oder wenn nur tiefe oder nur hohe Frequenzen betroffen sind. Eher ungünstig ist, wenn der Hörverlust stark ist. Auch wenn zudem Störungen im Gleichgewicht auftreten, ist das kein gutes Zeichen. Helfen die Behandlungen nicht, ist man je nach Grad des Hörverlustes auf Hörgeräte oder auf Hörimplantate angewiesen, um wieder hören und verstehen zu können.

Kann man sich vor einem Hörsturz schützen?

Zuverlässigen Schutz gibt es nicht. Ein Hörsturz kann jeden jederzeit treffen – Männer und Frauen in jedem Alter. Bei Kindern sind Hörstürze selten. Am häufigsten treten sie etwa um die 50 auf.

„Was machst du, wenn du morgen taub bist?“ – In dieser Frage steckt mehr als eine Möglichkeit, die man für sich sicher ausschließen kann. Ich kann mich zum Beispiel an das Interview mit einer jungen Frau erinnern, die in ihrer Kindheit immer wieder Hörstürze hatte, mal auf dem einen und mal auf dem anderen Ohr – bis sie völlig ertaubte. Ich bin auch einer Frau begegnet, die eines Morgens erwachte, vor dem Waschbecken stand und merkte, dass sie weder das fließende Wasser noch sonst etwas hört. Auch der Arzt, zu dem sie sofort ging, konnte ihr nicht mehr helfen.

Montagne de Bueren, eine große Treppe in Lüttich

PS 1: Die Fotos zum Beitrag über Hörsturz zeigen Montagne de Bueren, eine große Treppe in Lüttich, auf der man natürlich auch stürzen kann, wenn man nicht aufpasst. Außerdem steht auf den Stufen der Treppe in verschiedenen Sprachen, dass man beim Treppensteigen nicht schreien soll – um die Ohren der Anwohner zu schonen.

PS 2: Bitte unbedingt beachten: Wenn du vermutest, dass du einen Hörsturz hattest, geh gleich zum Ohrenarzt. Dieser Artikel kann dir zwar eine erste Orientierung geben. Doch den Besuch beim Arzt kann er nicht ersetzen.


Vorheriger Beitrag
Zwischen Welten
Nächster Beitrag
Marie begreift das Leben, die Liebe und den Tod

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fill out this field
Fill out this field
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
You need to agree with the terms to proceed

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

Mit unserem News­letter erhalten Sie regelmäßig Artikel, Geschichten und Neuigkeiten rund um das Hören mit und ohne Technik. Informationen zu den Inhalten, der Proto­kollierung Ihrer Anmeldung, dem Versand über den US-Anbieter MailChimp, der statistischen Aus­wertung sowie Ihren Ab­bestell­­möglichkeiten, erhalten Sie in unserer » Datenschutzerklärung

Neueste Beiträge

Kategorien