Vom Geräusche machen

Zu Besuch beim Geräuschemacher Peter Deininger (Teil 1)
Illustration zu einem Artikel über den Geräuschemacher Peter Deininger auf die-hörgräte.de

Ein Geräuschemacher? – „90 Prozent meiner Arbeit sind Schritte“, hat mir Peter Deininger beim Interview-Besuch in seiner „Geräusche-Werkstatt“ erklärt. Peter Deininger verdient seine Brötchen mit den Geräuschen seiner Schritte – und mit vielen anderen Geräuschen. Als ich ihn vor ein paar Jahren besuchte – in zwei Kellerräumen eines sanierten Industrie-Gebäudes in Berlin-Moabit – empfing mich auf den ersten Blick: das blanke Chaos. In Regalen stapelten sich bis unter die Decke Plastik-Schüsseln, Kästen, Flaschen, Kleiderbügel, eine leere Kabeltrommel, ein Vogelkäfig, ein Ventilator, Telefone… – kurz, eine unüberschaubare Anhäufung von allem nur denkbaren Krimskrams. Als wäre man in eine Art „Messie-Höhle“ geraten. Doch so schien es nur auf den ersten Blick. Die mutmaßliche Rumpelkammer ist in Wahrheit ein Aufnahmestudio.

Geräuschemacher: „Ich habe mehr Schuhe als manche Frau.“

„Wer hier zum ersten Mal reinkommt, ist immer kurz vor der Ohnmacht“, erklärte mir Peter gleich zur Begrüßung. „Aber es hat alles seine Ordnung, und es ist optimal zum Arbeiten. Wenn wir mal außerhalb aufnehmen müssen, sind das meist Tonstudios für Sprachaufnahmen. Alles adrett, sauber und mit schickem Teppichboden. Es darf nichts schmutzig werden. – Doch in so einem Studio ist es sehr schwer, das Geräusch einer Pferdekutsche zu machen, die durch den Dreck fährt. Hier bei uns kannst Du rumsauen wie Du willst. Völlig egal.“

Seit fast 40 Jahren arbeitet Peter Deininger als Geräuschemacher, vorrangig für Kino und Fernsehen. Die meiste Zeit seiner Arbeit sitzt er in seinem Aufnahmeraum vor dem Monitor, auf dem ein Film läuft. Er hat Blickkontakt mit dem Tonmeister, der hinter einer Glasscheibe sitzt. Um Peter herum sind viele Mikrofone und all die Sachen zum Krach machen.

„90 Prozent meiner Arbeit sind Schritte“, sagt der Geräuschemacher Peter Deininger

„Ich trage diverse Schuhe“, so Peter. „Es gibt verschiedene Fußböden, Parkett, Holz, Steinfußboden, auf denen ich Schritte mache. Und ich hab halt lauter Sachen, die ich schnell brauchen kann – Tischgeräusche, Wasserbecken, Türen, eine Kaffeemühle für Gartentore, Vogelkäfig, Toaster. High Heels mache ich mit einem Damenschuh, der einen Pfennig in der Sohle hat. Ich hab hier mehr Schuhe als manche Frau. Sie sehen allerdings nicht so schön aus. Manche halten schon 20 Jahre.“

„Bei mir geht’s hauptsächlich um menschliche Bewegungen.“

Bei den Aufnahmen arbeitet Peter Hand in Hand mit dem Tonmeister: „Er setzt meine Geräusche in den Raum. Stell Dir vor, im Film läuft jemand einen Gang entlang auf das Publikum zu. Ich mache dazu die Schritte. Es gibt ein Mikrofon für den Direktanteil, eins in der Mitte des Raumes, eines hinten. Ich selbst bleibe beim Laufen sitzen. Mein Tonmeister setzt die verschiedenen Mikrofon-Positionen. Nur dadurch entsteht der Eindruck, dass der auf dem Bildschirm hörbar näherkommt.“

Illustration zu einem Artikel über den Geräuschemacher Peter Deininger auf die-hörgräte.de

Alle Aufnahmen entstehen immer in Räumen – auch wenn die Filmaufnahme außen war. – „Für uns ist da nur die Frage, welche Entfernung das Mikrofon haben muss“, so der Geräuschemacher. „Bei Außenaufnahmen darf man keinen Raum hören. D. h. das Mikrofon muss sehr nah am Geräusch-Event sein. Ist es weiter weg, hört man den Raum und verliert dadurch sofort die Illusion, dass es außen ist.“

Peter und sein Tonmeister sind jedoch nicht für alle Geräusche zuständig, die in einem Film vorkommen. Mit Motoren, Flugzeugen, Autos z. B. haben sie nichts zu tun. Das kommt aus einem Sound-Archiv und wird von einem Sound-Designer angelegt. Aber wenn ein Auto groß ins Bild kommt und in einem Kiesbett bremst, dann ist dieses Schleifen im Kies Peters Part. Bei ihm geht es hauptsächlich um menschliche Bewegungen, um Aktionen, die hörbar sind. Wie jemand ein Glas abstellt. Wie an einem Tisch gegessen wird. Und vor allem immer wieder Schritte und Bewegungen, die wie gesagt 90 Prozent von Peters Arbeit ausmachen. – „Menschen haben einfach viel mehr Varianz in ihren Geräuschen als z. B. Maschinen“, hat mir der Geräuschemacher erklärt.

„Mit Originalgeräuschen vom Set kann man nichts anfangen.“

Für jede Filmszene legt der Sounddesigner eine Atmo an – das Vogelgezwitscher, das Hupen, die Bombenexplosion. – Und er kriegt von Peter den Geräusche-Teppich. Dann wird beides zusammengeführt. Der Mischtonmeister steht über allem. Er bringt Bild, Sprache, Geräusche, Atmosphären und Musik zusammen.

Warum man da überhaupt so viel Aufwand macht, wollte ich von Peter wissen: Könnte man die ganzen Geräusche nicht gleich original am Set mitschneiden, wenn der Film gedreht wird?

„90 Prozent meiner Arbeit sind Schritte“, sagt der Geräuschemacher Peter Deininger

„Mit den Original-Geräuschen vom Set kann man nichts anfangen. Denk nur an Schritte. Die Mikrofone am Set befinden sich in der Regel über den Schauspielern. Die Schritte sind also schon mal weg.“

Hinzu kommen viele Geräusche, die man eigentlich gar nicht hören kann, weil sie nicht hörbar sind. Oft wollen Filmemacher trotzdem, dass da ein Geräusch kommt. Und man braucht auch Geräusche für die Synchronisation ausländischer Filme. Bei amerikanischen Serien z. B. werden die Geräusche für das deutsche Publikum in aller Regel neu erzeugt. – „Stell Dir vor, die reden im Original und klopfen sich dabei auf die Schulter. Das Geräusch, das dabei entsteht, ist durch die darüber liegende Sprache kaputt. Das Schulterklopfen muss also nachsynchronisiert werden.“

Geräusche machen für Krimis im In- und Ausland

Peter Deininger hat schon für ganz viele Filmprojekte Geräusche gemacht. Als ich bei ihm war, betreute er hauptsächlich deutsche Produktionen – „Tatort“, „Kriminalist“, „Ein starkes Team“…

„Diese Aufnahmen gehen zum Teil auch ins Ausland“, so der Geräuschemacher. „Die Sprache wird rausgenommen. Unser Band kann man dort für teuer Geld zum eigentlichen Film dazu kaufen oder die Geräusche selbst nachmachen. Das ist ganz verschieden. In Polen z. B. wird einfach über den Originalton drüber geredet. Ein Sprecher übersetzt zeitversetzt, was im Film gerade gesagt wird. Für alle Frauenrollen gibt’s noch eine Sprecherin, und die Geräusche bleiben dann natürlich wie gehabt. Man kann schon sagen, dass die Deutschen und die Franzosen bei der Synchronisation ausländischer Filme Spitze sind. Und die Amis machen das gar nicht. Die drehen gleich den ganzen Film neu.“

Illustration zu einem Artikel über den Geräuschemacher Peter Deininger auf die-hörgräte.de

Peter hat aber auch für den internationalen Markt gearbeitet, z. B. für die Schweiz. Auch für türkische Kinofilme hat er schon die Geräusche gemacht. Irgendwie war man auch in der Türkei auf den Geräuschemacher aufmerksam geworden. Und die Entfernung sei bei seiner Arbeit schließlich völlig egal: „Die schicken uns das Bild. Es gibt festgesetzte Formate, die überall gelesen werden können. Theoretisch könnten wir auch auf Ibiza sitzen.“

Die acht Koffer des Geräuschemachers

Gibt es Geräusche, die man als Geräuschemacher immer wieder braucht? Oder muss man immer neue Geräusche suchen bzw. erfinden? – „Du lernst nie aus“, sagt Peter. „Bei jedem Film muss man neu überlegen, wie sich dies oder jenes herstellen lässt. Es ist ein ziemlich kreativer Beruf.“

Früher, so Peter, musste er oft irgendwohin, um in fremden Studios aufzunehmen. Den Film hatte er vorher oft noch gar nicht gesehen. – „Da hatte ich immer meine acht Koffer dabei, in denen im Prinzip alles drin ist, was man an Geräuschen produzieren kann. Es gibt einen Papier-Koffer mit allen möglichen Arten von Papier, Zeitungspapier, Röntgenpapier… Ich habe einen Metallkoffer, in dem massenhaft Scharniere drin sind – zum Türen-Quietschen. Schon aus Platzgründen musst Du versuchen, mit einem Utensil so viele Geräusche wie möglich herzustellen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir hier unsere eigene Foley-Stage haben, auf der wir uns nicht mit den acht Koffern begnügen müssen.“

„90 Prozent meiner Arbeit sind Schritte“, sagt der Geräuschemacher Peter Deininger

PS 1: Die Fotos zum Beitrag über den Geräuschemacher Peter Deininger zeigen Schritte. Bilder von lebenden Personen gibt es in unserem Blog nicht. Wenn du wissen willst, wie Peter Deininger aussieht, findest du ihn hier.

PS 2: Den zweiten Teil des Artikels über den Besuch beim Geräuschemacher Peter Deininger gibt’s dann demnächst.

Illustration zu einem Artikel über den Geräuschemacher Peter Deininger auf die-hörgräte.de

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