Es gibt etliche Berufe, die sich um besseres Hören kümmern: Ärzte in HNO-Kliniken, Audiologen und Hörakustiker, HNO-Ärzte in HNO-Praxen (die auch niedergelassene HNO-Ärzte heißen), Pädakustiker, Logopäden, Audiotherapeuten, Hörgeschädigtenpädagogen; und es gibt Hersteller, die Hörgeräte, Hörimplantate, Technik zum Hören-Messen usw. herstellen… Alles Berufe, die mit besserem Hören ihr Geld verdienen. Und dann gibt es noch die Selbsthilfe, bei der Leute, die schwerhörig bzw. taub sind und die mit Technik hören, sich gegenseitig helfen. Das tun sie nicht für Geld, sondern aus anderen Gründen bzw. ehrenamtlich. Um Selbsthilfe soll es hier gehen.
Selbsthilfe – wie man sich das oft vorstellt
Falls du noch nie in einer Selbsthilfegruppe warst und so was nur aus Filmen kennst, hast du vermutlich so ein Bild: Alle sitzen im Kreis, sollen sich mitteilen und sich anschließend besser fühlen. In Filmen werden Selbsthilfegruppen oft lächerlich dargestellt – als Orte für Leute, zu denen man lieber nicht gehören will. Aus meinen Erfahrungen mit Selbsthilfe für schwerhörige Menschen kann ich sagen, dass es dort nicht lächerlich ist.
Ich selbst brauche (noch) keine Hörtechnik. Aber ich bin immer mal als Gast auf Veranstaltungen der Selbsthilfe; meist auf solchen für Menschen, die mit dem Cochlea-Implantat leben; manche tragen auch Hörgeräte oder Hörgerät und CI. (Wer Hörgeräte trägt, hat meist sehr starke Hörgeräte; wer nur einen leichten Hörverlust hat, geht eher selten zur Selbsthilfe.)
Ich gehe gerne dorthin, schon weil man viel erfährt. Es ist das eine, sich mit Profis über Hören mit Technik zu unterhalten, und es ist noch ganz anders, mit denjenigen zu sprechen, die mit dieser Technik hören und wissen, was die ihnen bringt, oder auch, welche Grenzen die Technik hat. Außerdem kommt man schnell ins Gespräch, weil alle ein gemeinsames Thema haben.
Kürzlich war ich bei den „Hörschnecken“ in Hagen und bei der BBCIG in Berlin. Die „Hörschnecken“ sind eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Cochlea-Implantat; ich war bei einer Veranstaltung zum 10-jährigen Gründungsjubiläum. Und die BBCIG ist die Berlin-Brandenburgisch Cochlea Implantat Gesellschaft, eine Selbsthilfe-Organisation, zu der verschiedene Gruppen mit CI-Trägern gehören – so wie die Gruppe der Hagener „Hörschnecken“ zum CI-Verband in Nordrhein-Westfalen gehört. Selbsthilfegruppen für Menschen, die mit CI oder Hörgerät hören, gehören meist regionalen Verbänden an, die wiederum oft Teil einer bundesweiten Organisation sind. Warum das sinnvoll ist, dazu komme ich noch.
Selbsthilfe mit eingeschränktem Gehör – erstmal verstehen…
Kommt man in so einer Gruppe zusammen, ist zuerst mal die Technik wichtig. Zum einen tragen alle Hörgeräte, CI oder beides. Doch in einer Gruppe reicht das nicht, damit jeder jeden versteht. Viele vernetzen sich zusätzlich. Auf der Veranstaltung der BBCIG gab es Lautsprecher; jeder Tisch hatte ein Tischmikrofon und es gab ein Mastermikrofon. Sprach jemand in ein Mikrofon, dann wurde die Stimme in die CI, Hörgeräte und Lautsprecher übertragen – aber nur, wenn derjenige, der das Mastermikrofon hatte, es erlaubte. So wurde sichergestellt, dass keiner dem anderen ins Wort fallen kann und alle alles mitbekommen. Bevor die Veranstaltung startet, wird die gesamte Technik gecheckt. Jeder sagt, wenn es ihm zu leise oder zu laut ist. Es wird so lange abgestimmt, bis jeder versteht. Man braucht Zeit und Geduld. Ohne die wäre das Treffen ziemlich sinnlos. Selbsthilfe funktioniert nur, wenn man sich verständigen kann.
Deshalb wird noch auf anderes geachtet: Der Raum soll möglichst gute Akustik haben. Alle sitzen so, dass es für sie gut passt. Dass sie zum Beispiel von den Mündern der Sprecher absehen können, wenn sie das Mundbild zum Verstehen brauchen. Oder dass sie die Schrift lesen können, wenn es Präsentationen gibt. Leute, die nicht gut hören und Hörtechnik nutzen, hören nicht alle gleich gut oder schlecht. Jeder braucht es so, wie es für ihn gut ist.
Manchmal ist auch ein Schriftdolmetscher dabei, der alles, was gesagt wird, abtippt, so dass man es auf einem Bildschirm mitlesen kann. Es kann auch ein Dolmetscher da sein, der Laut- in Gebärdensprache übersetzt und umgekehrt. Die Dolmetscher nennt man auch Dolmi. Der Einsatz eines Dolmi setzt voraus, dass Besucher (auch) Gebärdensprache sprechen. Viele Menschen mit CI oder Hörgerät können das nicht.
Kaffeetrinken, Workshops, Sommercamps…
Was bei so einem Treffen passiert, wenn die Verständigung erstmal geregelt ist, ist ganz verschieden. Natürlich wird viel geredet. Man kann auch Kaffee trinken und Kuchen essen, wenn sich jemand um Kaffee und Kuchen kümmert. Man kann Info-Veranstaltungen organisieren, bei denen jemand kommt und einen Vortrag hält – zum Beispiel über neueste Hörtechnik. Man kann Aktionen machen; zum Beispiel am CI-Tag einen Info-Stand organisieren, um die Leuten auf der Straße über wichtige Themen der Selbsthilfe aufzuklären. Man kann was auf die Beine stellen – Sommerfest, Weihnachtsfeier, Ausflüge, Besichtigungen, Reisen, Workshops, in denen man lernt, im Alltag noch besser zu kommunizieren…
Es gibt Familienwochenenden für Eltern mit hörgeschädigten Kindern. Die Junge Selbsthilfe organisiert Sommercamps und ähnliche Treffen. Die Verbände der Selbsthilfe halten Mitgliederversammlungen ab und organisieren Fachtagungen und Kongresse, auf denen Experten auftreten – Ärzte, Therapeuten, Techniker… – und natürlich Vertreter der Selbsthilfe selbst.
Ein wichtiges Motto ist nämlich: „Nicht über uns ohne uns.“ Das bedeutet, dass nicht nur die Experten sagen, was die Menschen mit Hörgerät bzw. CI tun oder lassen sollen und wo es für sie lang geht. Zur Selbsthilfe gehört, dass sie auch gehört wird – von den Experten, dass die Meinungen und die Erfahrungen der Leute zählen, die die Hilfe brauchen, weil sie schließlich am besten wissen, wie man mit Hörtechnik hört und lebt. Richtig gute Selbsthilfe kann für Experten mitunter auch fordernd und unbequem sein.
PS 1: Noch ein bisschen mehr über die Selbsthilfe für Menschen mit Cochlea-Implantat bzw. Hörgerät schreibe ich im Teil 2 dieses Beitrags.
PS 2: Die Fotos zum Beitrag über Selbsthilfe zeigen das Wort „HELP“ in Leuchtschrift. Die Leuchtschrift hängt in der Voetboogstraat im Zentrum von Amsterdam. Warum sie dort hängt, weiß ich nicht.