Race Hearing oder gutes Hören in der „grünen Hölle“… Im vorangegangenen Beitrag hatte ich mit meiner Reportage über Race Hearing begonnen – und über Tommi, der sich als Hörakustiker darauf spezialisiert hat, zu großen Motorsport-Veranstaltungen zu fahren, um dort den Rennfahrern maßgeschneiderte Hörtechnik für ihre Kommunikationssysteme zu fertigen. Hier nun Teil 2.
Werksfahrer Jörg Müller: „Wenn das nicht funktioniert, ist es aus.“
Am Nachmittag während des Qualifyings hat Tommi etwas Luft. Er begleitet uns – ein paar Freunde besuchen. – „Nee, der hat keine Schuppen, der fräst nur immer diese Ohrdinger“, flachsen zwei Mechaniker über die weißen Späne auf Tommis Schultern. Die beiden haben uns auf ein Bier in ihr Teamzelt eingeladen. Man kennt sich. Beim Gang durch das Fahrerlager gewinnt man schnell den Eindruck, dass jeder hier Tommi kennt.
„Der Rennsport ist schon wie ein Zirkus“, erklärt er mir. „Egal, zu welcher Serie Du fährst, Du triffst die gleichen Leute. Es ist wichtig, immer dabei zu sein und Kontakte zu pflegen.“ – Die hat er sich über Jahre geschaffen. Er arbeitet eng mit einer Reihe von Motorsport-Ausrüstern zusammen, Firmen wie Gellings on Top, Sandtler, Racecom und Stand 21.
Und die Werbung? – Für Race Hearing gibt es einen Flyer und natürlich die Homepage, auf der alle Veranstaltungen verzeichnet sind, bei denen er mit seinem Wohnmobil vor Ort ist. Die beste Werbung jedoch ist die Motorsportprominenz, die bei Tommi ein- und ausgeht. Bei den Fahrern spricht sich sein Angebot rum.
„Das Gute ist, dass wir auf der Rennstrecke unsere Kopfhörer gemacht bekommen“, erklärt mir etwa BMW-Werksfahrer Jörg Müller. „Wenn Du sonst zu so einem Gehörtechniker gehst, um Abrücke machen zu lassen, dauert es Tage, manchmal Monate, bis Du Deine Ohrstöpsel bekommst. Bei Tommi bekommst Du in kürzester Zeit professionelle Systeme. Und die sind im Auto das A und O.“
„Im Auto hast Du ständig Kommunikation“, erläutert mir der Rennfahrer, der u. a. bereits zweimal das 24-Stunden-Rennen hier am Nürburgring gewann. „Über Funk geben wir den Spritverbrauch und den Reifendruck durch. Wir bekommen Bescheid, wann es in die Box geht. Es geht um taktische Fragen. Hier auf der Nordschleife z. B. gibt es oft einen Wechsel von feuchten und trockenen Abschnitten. Du musst Bescheid geben, welche Reifen der nächste Fahrer aufgesteckt bekommen soll… – Ohne diese Abstimmung kann man heute kein Rennen mehr gewinnen. Wenn das nicht funktioniert, ist es aus.“
Jenseits der blauen Linie ist der Asphalt tabu – in der Boxengasse
Dann ein Abstecher in die Boxengasse. Wir durchqueren eine der weiß getünchten Garagen, in denen die Techniker hoch konzentriert an den glänzenden Rennwagen hantieren, um sie bald darauf hinaus in die Gasse zu schieben. Dort stehen schon zahlreiche Wagen. Motoren laufen warm. Ich folge Tommi. Wir schlendern durch geschäftiges Treiben. Nur die blaue Linie hin zur Strecke dürfen wir nicht übertrete. Der Asphalt dahinter ist tabu.
Auch hier trifft man sich. Im Cockpit des Mercedes des Rowe Racing Teams sitzt Werksfahrer Nico Bastian, und ich darf ihn und Tommi fotografieren. Dann treffen wir Hans Heyer, und ich bin vermutlich der einzige weit und breit, der den legendären Automobilrennfahrer und heutigen Unternehmer nicht kennt. – Deutschlands erfolgreichster Go-Kart Pilot aller Zeiten, zweifacher Vizeweltmeister, vierfacher Europameister, 1.000 Rennen in 30 Jahren Motorsport… – Tommi ist amüsiert über meine absolute Ahnungslosigkeit, die mir die lebende Motorsportlegende zum Glück nicht verübelt.
Es geht los. Ein Wagen nach dem anderen fährt aus der Box heraus an uns vorbei auf die Rennstrecke. Motoren drehen auf. Vor den Monitoren versammeln sich die Teams. Anspannung. Zwischenzeiten werden eingeblendet, entspannen die Minen etwas oder auch nicht.
Minuten später durchqueren die ersten Wagen den Start-und-Ziel-Bereich. Wahnwitzige Geschwindigkeit. Ein ohrenbetäubender Sound, der binnen weniger Sekunden anschwillt und bereits wieder verschwunden ist. – Wie akzeptiert ist eigentlich der Gehörschutz, den Tommi am Stand vor seinem Mobil ebenfalls anbietet?
Motorsport und Lärm: „Die Leute wollen auch dieses Sounderlebnis.“
„Die Mechaniker und die anderen Leute aus den Teams greifen immer mehr zu Gehörschutz“, so der Hörfachmann. „Aber die Zuschauer wollen nicht nur Motorsport sehen, die wollen auch dieses Sounderlebnis. Die haben noch nie darüber nachgedacht, was das mit ihren Ohren macht. Und dann stehe ich hier mit meinem Gehörschutz. Die denken, ich will ihnen den Spaß verderben.“
Eine Haltung, die sich bei manchem schnell ändert. – „Bei extrem lauten Rennen wie dem Oldtimer-Grandprix z. B. ist die Nachfrage riesig. Bei den normalen Rennen gilt in Deutschland mittlerweile die Lärmschutzverordnung, nur nicht bei den Oldtimern. Da starten z. B. uralte Formel 1 Wagen mit komplett offenem Auspuff. Wir haben das mal mit einer App gemessen – bis 135 dB, dann war die obere Grenze des messbaren Bereichs erreicht. Wir selbst hatten trotz Gehörschutz das Gefühl, uns fliegen die Ohren weg. Wenn man dann Familienväter mit Kindern sieht, direkt an der Strecke und ganz ohne Schutz, ist das schon schlimm. Es gibt leider immer noch Leute, die sich kaputtlachen, weil wir hier Lärmschutz anbieten.“
Rennfahrer Mike Jäger: „Die Dinger, die Tommi macht, merkst Du eigentlich nicht.“
Und diejenigen, die Dein Angebot schätzen? Wie sind denn Rennfahrer so als Kunden? – „Die meisten sind sehr locker“, erklärt mir Tommi. „Motorsport ist ihre Leidenschaft. Sie leben ihren Traum und sind deshalb auch sehr entspannt. Sie wünschen sich, dass ihre Passstücke gut sitzen, dass sie alles verstehen. Bei der Hörgeräte-Versorgung muss man weit mehr Bedürfnisse abdecken. Da geht es um Berührungsängste, um subjektives Klangempfinden… All das hab ich hier nicht. Und es fragt auch keiner nach Low Budget.“
Noch einen Kunden muss mir Thomas unbedingt vorstellen: Rennfahrer Mike Jäger. Der ist nämlich kein Werksfahrer, sondern arbeitet hauptberuflich als Logistik-Chef in einer Brauerei. Autorennen fahren ist sein Hobby. Und das kostet eine Menge Geld. – „Nicht mich“, erklärt mir der Motorsportler, „aber meine Sponsoren. Ich muss dafür Leistung bringen und auch viel rummachen.“ – Mit „Rummachen“ meint er vor allem die Einsätze als so genanntes Ring-Taxi, bei denen sich motorsportbegeisterte Unterstützer von ihm in vollem Speed über den Nürburgring fahren lassen.
Auch Mike Jäger schätzt den Service von Race Hearing sehr: „Ich habe Tommi vor einigen Jahren hier kennengelernt. Damals habe ich noch Standardstecker benutzt. Aber wenn Du lange fährst, gerade beim Langstreckenpokal, dann entsteht bei solchen Steckern ein Druck im Ohr. Das ist unangenehm. Die Dinger, die Tommi macht, merkst Du eigentlich nicht. Das ist perfekt, wirklich super. Und das Gute ist, dass Du immer zu ihm hin kannst. Wenn Du mal zu fest ziehst, repariert er das sofort. Er hat mich noch nie hängen lassen.“
Dass er beim Rennen ohne diese Unterstützung verloren wäre, daran hat auch Mike Jäger keine Zweifel: „Während des Rennens werden heute so viele Daten abgefragt. Ohne Funk geht das gar nicht mehr. Unterwegs wird die Strategie mehrmals geändert. Ob Du früher oder später reinkommst, wie der Sprit reicht, was die Reifen machen… – Wenn Du nicht kommunizieren kannst, ist das wie blind fahren.“
Am Morgen des Rennens steigt die Spannung – und der Andrang lässt nach.
Der Abend endet in der legendären Cockpit Bar im Hotel unweit des Fahrerlagers; beliebter Treffpunkt für all diejenigen, die sich nicht für den morgigen Start ausruhen oder die Nacht hindurch an Rennwagen schrauben müssen.
Dann der Tag des großen Rennens. Wer nicht von selbst wach wird, um durch das morgendliche Fahrerlager in Richtung der Waschräume zu schlendern und anschließend nach einem Becher Kaffee zu suchen, der wird von den lärmenden Motoren der Rennwagen geweckt, die hinterm Zaun, keine dreißig Meter entfernt, vorbeijagen.
Morgens finden noch einige Kunden den Weg zum Wohnmobil. Doch ab 11 Uhr lässt der Andrang spürbar nach, die allgemeine Anspannung im Fahrerlager steigt hingegen. Bis zum Start um 16 Uhr sind die Teams nun ganz auf das bevorstehende Rennen konzentriert. Es gibt Presse-Termine. Bei den prominenten Teams ist das Fernsehen vor Ort. Bei Race Hearing hingegen entspannt sich die Lage. Keine neuen Ohrabdrücke. Tommi wird die Zelte dennoch nicht abbrechen. Falls es irgendwelche Probleme gibt, ist er da – auch während des Rennens.
Das erweist sich diesmal als „hochklassig und teilweise chaotisch“: Über beinharte Rad-an-Rad-Duelle werden die Medien abschließend berichten, über Unfälle, die glücklicherweise keine ernsthaften Personenschäden nach sich zogen, über knappe Zeitabstände und Spitzengeschwindigkeiten, die mehr an eine Sprint- als eine Langstreckenveranstaltung erinnert hätten. Beim bisher schnellsten 24-Stunden-Rennen überquert am Ende der Audi R8 LMS ultra mit der Startnummer 4 als erster die Ziellinie. Phoenix Racing gewinnt. Die Plätze zwei und drei gehen an die beiden Mercedes-Teams Black Falcon und Rowe Racing.
Trotz Schneetreiben und wenig Schlaf – „Sehnsucht nach einem Fachgeschäft habe ich nicht.“
Abschied von Tommi. Der Besuch bei Race Hearing am Nürburgring, für mich war er ein Ausflug in eine andere Welt – und vor allem ein Erlebnis. Doch noch eine Frage: Vermisst Du eigentlich manchmal Deine frühere Arbeit im Hörakustik-Fachgeschäft?
„Bei richtig schlechtem Wetter schon. Wir hatten ja hier noch Glück. Die Rennsaison beginnt im März. Wenn man im Schneetreiben an der Strecke steht, ist das schon heftig, ebenso die Arbeitszeiten. Unmittelbar vor dem Rennen kommt man halt nur auf drei bis vier Stunden Schlaf. Aber die positiven Aspekte überwiegen. Die Atmosphäre beim Rennzirkus, die lockere Klientel… Ich habe sehr gerne mit den Hörakustik-Kunden zusammengearbeitet. Aber viele Dinge, etwa die ganzen Vertragsgeschichten, fand ich nur nervig. Also, Sehnsucht nach einem Job im Geschäft habe ich wirklich nicht.“
PS: Die Fotos zum Beitrag über Race Hearing habe ich im Museum der Rennstrecke von Spa-Francorchamps in der Abbaye de Stavelot in Belgien aufgenommen. Und Race Hearing findest du hier.