In den vorangegangenen Beiträgen ging es darum, wie smarte Vernetzung die Hörgeräte verändert hat. Mit Auracast, über das ich in der Artikel-Serie noch schreiben werde, gehen die Möglichkeiten zukünftig noch weiter. Kurz gesagt geht es darum, Sound in ganz vielen Situationen des Alltags in bester Qualität, ohne spürbare Zeitverzögerung, mit deutlich geringerem Stromverbrauch und ohne Beschränkung auf bestimmte Hersteller zu empfangen – in Hörgeräten und ebenso in Earbuds, Kopfhörern oder auch Cochlea-Implantaten (CI). Und das vor allem auch im öffentlichen Raum – also z. B. von den vielen bislang stummen Bildschirmen, die überall flimmern, ebenso bei Ansagen im Bahnhof und auf dem Flughafen, beim Audio-Guide im Museum, bei Kinofilmen, die dann in verschiedenen Sprachen empfangen werden können usw.
Am Anfang der Vernetzung: die T-Spule
Lautsprecher in solchen öffentlichen, oft lauten Räumen gut zu hören, ist auch mit intaktem Gehör eine Herausforderung. Wer versteht schon immer die Bahnhofsansagen?! Und wer nur die Hälfte versteht, fragt sich, ob die Ansage für die eigene Reise wichtig oder nichtig ist. Vielleicht fährt dein Zug gerade auf einem anderen Bahnsteig ein als erwartet…
Für schwerhörige Menschen ist das noch viel herausfordernder. Deshalb gab es früh Lösungen, die in solchen Situationen helfen, mit Technik am Ohr besser zu hören. Zuerst kam die sogenannte T-Spule, die Ende der 1930er Jahre auf den Markt kam.
Das T steht für Telefon. Die T-Spule war ursprünglich fürs Telefonieren bestimmt. Sie ist ein Bauteil im Hörgerät; ein winziges, mit Kupferdraht umwickeltes Metallstück. Mit ihm lassen sich Signale elektromagnetisch empfangen. Damit etwas empfangen werden kann, braucht man eine Ringschleife. Das ist ein Kabel, das im Raum um eine Fläche herum verlegt und mit einer Soundanlage verbunden ist. Statt in einen Lautsprecher geht der Sound ins Kabel. Wer sich innerhalb der Fläche befindet, um die herum das Kabel liegt, bekommt den Sound über die T-Spule ins Hörgerät. Innerhalb der Fläche besteht ein elektromagnetisches Feld. Auch Soundprozessoren von Cochlea-Implantaten haben eine T-Spule. Auch mit dem CI kann man über eine T-Spule Sprache oder Musik empfangen.
T-Spule: mehr oder weniger verbreitet
Damit jeder weiß, dass man die T-Spule nutzen kann, gibt es ein Zeichen: Ein blaues Quadrat mit einem Ohr und einem diagonalen Streifen. Und in der unteren, rechten Ecke ist ein T. Manchmal sieht das T-Spulen-Zeichen auch nur so ähnlich aus.
Mitunter findet man dieses Zeichen auch in Deutschland – in Kirchen, auf dem Flughafen, in einem Vortragssaal, in der Philharmonie. In vielen anderen Ländern sieht man es viel häufiger. In London zum Beispiel habe ich es überall in den U-Bahnstationen gesehen. Auch in Skandinavien, in der Schweiz, in Australien und Neuseeland oder in Teilen der USA ist die T-Spule viel verbreiteter.
Warum die T-Spule in Deutschland weniger verbreitet und weniger bekannt ist, hat verschiedene Gründe. Aktivisten der Schwerhörigen-Selbsthilfe wollen das ändern. Vor einiger Zeit habe ich in Nürnberg eine Gruppe von T-Spulen-Aktivisten getroffen, um sie zu interviewen. Sie erklärten mir, dass auch viele Hörgeräte- und CI-Träger die T-Spule nicht kennen, obwohl sie sie an ihren Ohren tragen. Niemand hat ihnen die T-Spule erklärt. Mitunter wüssten auch Hörakustiker nicht Bescheid. Sie aktivieren die T-Spule erst gar nicht.
Bei T-Spulen-Aktivisten in Nürnberg
Es gibt auch Hörgeräte, die keine T-Spule haben. Weil viele Menschen sehr kleine Hörgeräte möchten, bauen die Hersteller die Spule manchmal nicht ein; dann werden die Geräte noch kleiner. Und viele Orte, an denen eine T-Spule hilft, haben gar keine Ringschleife. Oder es gibt eine, aber sie funktioniert nicht, weil niemand da ist, der Hörgeräte trägt und sie überprüfen kann. Wer keine Hörtechnik trägt, merkt ja nicht, ob die Ringschleife funktioniert.
Die Aktivisten erzählten mir, dass sie in Berlin im Bundestag waren. Es gab ein T-Spulen-Zeichen und eine Ringschleife, aber sie funktionierte nicht. Sie haben es dem Bundestag geschrieben. Und sie gehen zu Orten, die eine Ringschleife haben sollten, treffen sich mit Leuten, die dort eine Ringschleife einbauen könnten, initiieren T-Spulen-Projekte und führen ein öffentliches T-Spulen-Verzeichnis, in dem jeder alle Ringschleifen finden kann.
Gelungen war den Aktivisten der Einbau von Ringschleifen im Saal des Nürnberger Schauspielhauses und an einem Schalter im Nürnberger Hauptbahnhof. Sie führten mich zu diesen Orten. Wer in Nürnberg mit Hörgerät oder CI hört und eine T-Spule hat, die aktiviert ist, kann, wenn er ins Schauspielhaus gehen oder eine Zugauskunft einholen will, dank der Aktivisten dabei besser hören. Vielleicht hätte er sich ohne diese Hilfe vorher gar nicht ins Theater oder an den Schalter getraut. In gewisser Weise ist die T-Spule für viele Schwerhörige das, was die Rampe für die Rollstuhlfahrer ist: die Chance, an einem öffentlichen Ort dabei zu sein.
T-Spule: große Hilfe, wenn‘s klappt
Voraussetzung ist allerdings, dass alles klappt, wie es soll. Am Schalter im Nürnberger Hauptbahnhof zum Beispiel gab es ein kleines, aber schwerwiegendes Problem: Die Frau, die hinter dem Schalter saß, hatte für die Ringschleife ein extra Mikrofon zum Hinstellen. Das Mikrofon sollte ihre Stimme in die Ringschleife übertragen, damit die T-Spule sie über das elektromagnetische Feld empfangen kann. Nur hatte das der Schalterfrau niemand gesagt. Weil ihr das Mikrofon Platz wegnahm, hatte sie es hinter den Monitor ihres Computers gestellt; doch so kam ihre Stimme gar nicht am Mikrofon an. Die Aktivisten schüttelten die Köpfe. Dann erklärten sie der Frau, wo sie das Mikrofon hinstellen muss.
Wer sich für T-Spulen stark macht, braucht einen langen Atem und ein dickes Fell – zumindest in Deutschland und obwohl es die Technologie schon so lange gibt. Die T-Spule ist eine große Hilfe; doch oft kommt die Hilfe selbst dann nicht an, wenn die Selbsthilfe die Unterstützung der Kommune und der Politik hat. In Bayern zum Beispiel muss jedes öffentliche Gebäude, das neu gebaut wird, mit Ringschleifen ausgestattet sein.
Die T-Spule hat klare Vorteile. Sie ist eigentlich leicht zu handhaben, auch wenn man alt ist. Sie kostet den Nutzer nicht extra, braucht kaum Strom, hat keine große Zeitverzögerung bei der Übertragung und kann von jedem Hörgerät und jedem CI genutzt werden; die Marke spielt keine Rolle. Aber es gibt auch ein paar klare Nachteile: Es wird nur auf einem Kanal übertragen, man bekommt also kein Stereo. Es kann schnell zu Störungen kommen. Oft liegt die Ringschleife auch nur um einen Teil der Sitze im Raum; dann muss man vielleicht getrennt von anderen sitzen. Und hinzu kommt das schon beschriebene Hickhack – gerade in Deutschland.
PS: Die Bilder zum Beitrag über die T-Spule zeigen öffentliche Orte, mit T-Spulen-Zeichen.