Auracast hatte ich im letzten Artikel schon erwähnt. Wer über die Zukunft des vernetzten besseren Hörens spricht, der kommt an Auracast nicht vorbei. Doch fangen wir systematisch an und gehen noch mal 80 Jahre zurück…
Von der T-Spule bis Bluetooth, Apple- und Android-Streaming
Ab Ende der 1930er Jahre wurde die T-Spule eingeführt, die viele Vorteile hat, aber auch Nachteile; und vor allem hat sie sich zumindest in Deutschland nie wirklich etabliert. Ab Ende der 1960er Jahre kamen zur T-Spule noch FM-Anlagen dazu. Bei FM werden Sprache und andere Signale von Mikrofonen in die Hörgeräte oder CI gefunkt. Das hat man auch heute noch – zum Beispiel in Schulen. Es funktioniert prima, wenn alle es nutzen. Doch eine FM-Anlage ist ziemlich teuer.
1999 kam Bluetooth. Hier werden Audiodaten zu kleinen Datenpaketen verpackt (codiert), dann ohne Kabel übertragen und wieder ausgepackt (decodiert) – also zum Beispiel im Handy ein- und im Kopfhörer ausgepackt. Das Ein- und Auspacken braucht Rechenleistung, und die braucht Energie. Als Hörgeräte-Hersteller anfingen, ihre Hörgeräte über Bluetooth mit TV, Handy usw. zu vernetzen, haben sie bald spezielle Bluetooth-Protokolle entwickelt. Die brauchten weniger Energie. Aber diese speziellen Verbindungen gingen immer nur bei einem Hersteller. Deshalb brauchte jedes Hörgerät passende Adapter bzw. Streamer von der gleichen Firma.
Der nächste Schritt war, dass Apple ein Protokoll für die Hörgeräte-Vernetzung hatte. Das gab es ab 2013. Jetzt konnte sich jedes Hörgerät, das ein Hörgerät „Made for iPhone“ war, direkt mit iPhone oder iPad verbinden. Mit Android ging das erst fünf Jahre später – und nur mit bestimmten Handys. Sie brauchten das ASHA-Protokoll. (Das steht für Android Streaming for Hearing Aids.) Mit ASHA können zwar viel mehr Menschen ihre Hörgeräte direkt mit Handy koppeln, aber es bleibt kompliziert. Weil Android anders als Apple eine offene Plattform ist, bei der viele vieles machen können, wie es gerade passt, haben längst nicht alle Android-Handys ASHA. Oft ist nicht klar, ob ein Handy ASHA hat oder nicht – vor allem bei preiswerten Andorid-Handys. Und bei jedem Software-Update kann es erneut schwierig werden…
Und jetzt die Zukunft: das neue Bluetooth mit Auracast
Bis hierhin war es kompliziert. Aber mit Auracast soll es viel einfacher werden. Und es soll noch mehr möglich sein. Das alte Bluetooth, das wir bisher hatten, soll langsam verschwinden. Für Hörgeräte soll man keine speziellen Protokolle mehr brauchen – auch keine für Apple oder Andorid. Dafür kommt ein neues Bluetooth, das das 20 Jahre alte ablöst. Audiodaten werden immer noch ein- und wieder ausgepackt (also codiert und decodiert). Aber sie werden viel besser verpackt als bisher. Dadurch ist die Audioqualität noch besser und stabiler, es gibt auch weniger zeitliche Verzögerung bei der Übertragung vom einen zum anderen Gerät. Vor allem aber braucht das Ein- und Auspacken nur halb so viel Strom wie bisher. Die Akkus halten viel länger. Und man muss sich auch nicht mehr fragen, welches Gerät zu welchem passt. Wenn alle Kopfhörer, Hörgeräte, CI, Smartphones, Notebooks, Fernseher… den neuen Standard mit Auracast haben, versteht sich jedes mit jedem.
Bis hierhin ist das aber noch nicht Auracast, sondern erstmal das neue Bluetooth: Bluetooth Low Energy (LE) Audio. (Und das Bluetooth, das wir bisher hatten, heißt jetzt Bluetooth Classic, weil es das alte ist.) Bluetooth LE Audio wurde seit 2013 entwickelt – von tausenden Unternehmen; alle Großen waren dabei, Apple, Microsoft, Samsung, Sony, alle. Die Hersteller von Hörgeräten und CIs haben auch von Anfang an mit entwickelt. Und den Hut hatte die Bluetooth Special Interest Group (SIG) auf. Das ist ein weltweiter Verband für alle Firmen, die Bluetooth nutzen.
Inzwischen ist der neue Standard fertig. Er wird in immer mehr Geräte eingebaut – Fernseher, Notebooks, Handys, Kopfhörer, Hörgeräte… Man hat die Vorteile, die ich genannt habe. Und es geht auch Multistreaming. Das heißt, man kann jetzt in beiden Earbuds gleichzeitig empfangen, nicht erst in einem und von da dann in den anderen. Bei Hörgeräten ging das schon bisher, aber wieder nur mit speziellem Protokoll.
Zauberwort Auracast: schöne neue Vernetzungswelt
Und Auracast? Das gehört zum neuen Standard bzw. kommt auf den neuen Standard noch oben drauf. Und es ist was Neues. Im Prinzip ist es wie Radio. Alle möglichen Dinge, die akustische Informationen oder sonst was Akustisches von sich geben, können wie Programme im Auracast-Radio sein. Entweder, man kann diese Programme einfach auswählen und hören, oder man braucht ein Passwort, weil nicht jeder das Programm mithören soll. Es gibt also auch geschützte Programme – ungefähr so, wie es geschützte WLAN-Netze gibt, in die man sich nicht einfach so einwählen kann.
Was auf den Programmen läuft, ist völlig verschieden. Du könntest im Park sitzen, dir einen Film auf dem Tablet anschauen, und deine Freunde sitzen daneben und empfangen den Sound ebenfalls – bei Auracast ist es egal, ob sie Kopfhörer oder Hörgeräte oder CI tragen, Hauptsache, es ist Auracast drin. Genauso könnte jeder stumme Bildschirm in einer Wartehalle, jeder Zug, auf den du wartest, jedes Flugzeug, mit dem du fliegen willst, jedes Bild in einer Ausstellung sein eigenes Auracast-Programm haben. Dann bekommst du den Sound vom Bildschirm, die Bahnansagen, dein Abfluggate, die Geschichte dieses Bildes und alles, was du noch willst, direkt in die Hörgeräte, Kopfhörer oder CIs.
Auch Programme in verschiedenen Sprachen könnten angeboten werden. Im Kino bekäme man den Sound mit der bevorzugten Sprache. Und alles wird super verstanden, obwohl man unter Leuten ist, wo es laut ist, und obwohl man über größere Distanzen hört. Ich habe solche Auracast-Streamer schon ausprobiert. Mit denen habe ich über 140 Meter empfangen – in einer lauten Messehalle. Das hat gut funktioniert.
Ist die T-Spule mit Auracast Schnee von gestern?
Voraussetzung für den Empfang von Auracast ist, dass alles Auracast hat – die Technik, die man hören will, und die, mit der man hört. Sender und Empfänger also. Im Moment wird das gerade „ausgerollt“, wie die Manager in der Industrie sagen. Es kommen neue Produkte auf den Markt, die den neuen Standard haben. Oft löst man es auch so, dass die alten Produkte nur ein Software-Update bekommen, schon haben sie den neuen Standard drin. Auch in vielen öffentlichen Räumen – in Theatern, Opernhäusern, Vortragssälen, Bahnhofshallen – soll es schon bald Auracast geben.
Und das, was es bisher gab, hat sich dann erledigt? – Irgendwann soll das so sein. Wenn Auracast gut funktioniert, braucht man vielleicht keine T-Spule und kein FM mehr. Aber soweit ist es noch nicht. Auch die Bluetooth SIG sagt, dass die T-Spule immer noch wichtig bleibt. Schließlich wollen sich die Leute ja jetzt vernetzen, um besser zu hören, und nicht erst demnächst…
Auracast kommt nach und nach. Es gibt sogar schon Mikrofone, die Auracast können, und die sich auch mit der T-Spule oder mit FM verbinden lassen. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus. Außerdem ist wichtig, dass jeder Auracast nutzen kann – so einfach, wie das, was es schon gibt. Dass man zum Beispiel nicht unbedingt ein Smartphone braucht, um sein Auracast-Radioprogramm wählen zu können. Sondern dass man das einfach per Knopfdruck machen kann. Dass das so einfach gehen sollte, hat die Bluetooth SIG ebenfalls gesagt.
PS: Die Fotos zeigen Bilder vom dänischen König Harald Blauzahn, nach dem Bluetooth (Blauzahn) benannt wurde. Das Bluetooth wie König Blauzahn heißt, hat übrigens damit zu tun, dass der König bei leckerem Essen Menschen zusammenbrachte, die sich eigentlich überhaupt nicht leiden konnten. König Blauzahn war also auch ein Mann der Vernetzung. Auf den Bildern ist außerdem die IFA drauf, weil man dort in diesem Jahr erstmals Auracast erleben konnte.