Klingendes Pflaster

Über das Machen und das Hören von Straßenmusik
„Straßenmusiker“ in München

Magst du Straßenmusik? Eine etwas ungenaue Frage. Man fragt ja auch nicht danach, ob jemand Musik mag, die innerhalb von geschlossenen Räumen gespielt wird. Auf der Straße wird so ziemlich jede Musik gespielt, die man sich denken kann, in unterschiedlicher Qualität. Und was ist gut oder schlecht? Frage ist eher, ob man es generell mag, wenn Leute auf Straßen stehen und Musik machen.

Städte und Straßenmusik

Gespielt wird Straßenmusik, seitdem es Städte mit Straßen gibt; auf jeden Fall seit der Antike. Straßen in Städten waren schon vor der industriellen Revolution voll mit Geräuschen – nur nicht mit Maschinengeräuschen. Geräusche von Handwerkern und Kutschen, von Händlern, die ihre Waren anpriesen, Bettlern und Musikanten. Werbung für das, was man verkaufen wollte, und sonstige Informationen über die Straße zu rufen, war naheliegende, wenn man von vielen gehört werden wollte. Amtlich ausgerufen wurde in Europa noch bis Ende des 18. Jahrhunderts. Erst mit zunehmendem Autoverkehr wurde das Rufen auf städtischen Straßen immer zweckloser.

Straßenmusikanten konnten immerhin noch dort spielen, wo die Autos nicht fuhren – Hinterhöfe, Unterführungen, Fußgängerzonen… Konkurrenz kam aber auch von einer anderen technischen Entwicklung, die ungefähr zur gleichen Zeit aufkam wie Autos: Musik wurde reproduzierbar. High Fidelity, also der Erzeugung natürlicher Klänge durch Technik, wurde (im Rahmen des Möglichen) möglich. Grammophon und Radio brachten die Musik nach Hause, wann immer man wollte. Wer in den tausenden Jahren davor Musik hören wollte, musste selbst spielen oder wen haben, der sie ihm vorspielte. Wer das nicht hatte, der fand Musik nur auf der Straße. Oder die Straßenmusik kam zu ihm nach Haus.

Illustration zu einem Beitrag über Straßenmusik auf die-hörgräte.de

Als die Städte wuchsen, bot Straßenmusik oft Anlass zu Diskussionen. Bürger fühlten sich durch herumziehende Musikanten in ihrer Ruhe gestört. Die „Kunst-Musik“, für die in den Städten neue Räume entstanden, entfernte sich mehr und mehr von der Musik auf der Straße. Straßenmusikanten unterstellte man mangelnde Qualität; sie seien nicht anders als Bettler und würden es nur darauf anlegen, Geld von jenen zu erpressen, die endlich Ruhe haben wollten.

Straßenmusik in der DDR

Die Straßenmusik starb dennoch nicht aus. In Berlin waren die Hinterhöfe der Mietskasernen ideal, um in ihnen Musik zu machen. Man war abgeschirmt vom Lärm der Straße und hatte rundherum Publikum. Die Leute mussten nur die Fenster öffnen. Nach der Aufführung warfen sie Münzen in den Hof. Wer sich gestört fühlte, griff auch zu anderen Sachen.

„Straßenmusiker“ in Rostock

Als kleines Kind wohnte ich in einem Hinterhof im Prenzlauer Berg (einer Gegend, die damals ganz anders war als heute). Das Haus war heruntergekommen. Der Hof war finster, grau und sehr hallig. Man hörte alles, was aus anderen Fenstern drang. Nachts hörte man Ratten pfeifen. Hin und wieder kam ein Leierkastenmann oder eine Frau, die Schlager und Arien sang.

Eigentlich war es in der DDR verboten, sich auf die Straße zu stellen, Musik zu spielen und dafür Geld zu nehmen. Wer öffentlich auftreten wollte, brauchte eine Spielerlaubnis, eine Art Ausweis, der bei Musikern „die Pappe“ hieß. Was man vorweisen muss, um eine Pappe zu bekommen, wieviel Geld man mit der Pappe verdienen darf, wo und wann man auftreten darf, alles war geregelt. Andererseits gab es immer Musiker, die sich über die Regeln hinwegsetzten, etwa in der Folk-Szene. Wie der Staat reagierte, war ganz verschieden. Mal wurden Musikanten von der Polizei abgeführt, mal hörten die Polizisten zu und gaben auch Geld. Je maroder der Staat wurde, desto häufiger wurde auf den Straßen musiziert. Im Sommer vor dem Mauerfall fand in Leipzig ein Straßenmusikfestival statt.

Das Feedback der Straße

Heute braucht man in Berlin keine Erlaubnis, um auf öffentlichen Straßen Musik zu machen. Es darf nur nicht zu laut sein; elektronische Verstärker müssen genehmigt werden. Vor allem im Zentrum macht ständig irgendwer Musik. In den Großstädten, in die ich sonst komme, ist es nicht anders. Grundsätzlich mag ich das.

„Straßenmusiker“ in Leipzig

Das heißt nicht, dass ich alles mag, was auf den Straßen musiziert wird. Gut an Straßenmusik ist, man kann stehen bleiben und zuhören oder einfach gehen. Und ich finde, es gehört was dazu, sich auf die Straße zu stellen und Musik zu spielen. Immerhin könnte sein, dass überhaupt niemand stehen bleibt. Andererseits gibt es die Chance, von vielen gehört zu werden und sich ein Publikum zu erspielen. Wer stehen bleibt, bleibt nur stehen, weil er mag, was er hört. Es gibt Stars, die als Straßenmusiker begonnen haben; Rod Stewart, Paul Simon usw.

Vor einiger Zeit hatte ich ein Interview mit Kathy Kelly. Die Kelly Family hat am Anfang ihrer Karriere auch in Fußgängerzonen gespielt. Auf das Interview hatte ich mich gut vorbereitet, zumal ich kaum was über die Kellys wusste. (Auch nicht, dass Kathy Kelly heute ganz andere Musik macht). Ich fand ich ein Statement von Kathys Bruder Angelo zu Straßenmusik. Sinngemäß sagte er: Wenn du in Deutschland in der Fußgängerzone spielst, und von 80 Leuten bleibt einer stehen, dann hast du – auf die Gesamtbevölkerung gerechnet – ein Millionenpublikum.

S- und U-Bahn-Musik

So sein Publikum zu suchen, ist schon cool. Ich kann mir vorstellen, dass das für Musiker ein tolles Gefühl ist, irgendwo zu stehen und loszuspielen und dann Anerkennung zu finden. (Abgesehen davon natürlich auch Geld.)

Illustration zu einem Beitrag über Straßenmusik auf die-hörgräte.de

Es gibt in Berlin jedoch auch Straßenmusik, die ich nahezu ausnahmslos nervig finde. Sie ist keine echte Straßenmusik. Ich meine das, was Leute in U- oder S-Bahnabteilen spielen. Sie steigen ein, spielen ein, zwei Stationen lang, sammeln Geld und wechseln das Abteil.

Natürlich kann jeder entscheiden, ob man Geld gibt oder nicht. Unterschied zu Straßenmusik ist jedoch, dass du dir das anhören musst, weil du in der Bahn sitzt und nicht wegkannst. Auch wenn du lesen oder nachdenken oder einfach Ruhe haben willst. Geht nicht. Du sitzt wie in einer Falle aus Schall.

Vermutlich gehen nur die miesesten Straßenmusiker in Zugabteile. Oder nur die, die Angst haben, dass auf der Straße kein Mensch für sie stehen bleibt.

Illustration zu einem Beitrag über Straßenmusik auf die-hörgräte.de

PS: Die Fotos zum Beitrag über Straßenmusik zeigen Straßenmusiker aus München, Rostock, Leipzig, Wittenberg und Berlin-Köpenick.

„Straßenmusiker“ in Berlin-Köpenick

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