
Im vorangegangenen Beitrag hatte ich beschrieben, wie vor ungefähr zehn Jahren aus Hörgeräten smarte Hörgeräte wurden und mit welchen zusätzlichen Vorteilen die Vernetzung der Hörtechnik einherging. Auf einmal konnte man Dinge, um die einen andere beneideten – außerdem hörte man wieder besser. Dass man vielleicht nicht für seine Hörgeräte, aber immerhin für deren Zusatzfunktionen beneidet werden konnte, war völlig neu. Auf der IFA brachte es Journalisten dazu, sich erstmals für Hörgeräte zu interessieren und diese Produkte neu zu bewerten. „Wie cool kann ein Hörgerät sein?“, überschrieb einer der Journalisten, die wir informierten, seinen Artikel. Dass die Geräte anders wahrgenommen wurden, war ein entscheidender Vorteil von „smart“.
Smarte Vernetzung wirkt: unsichtbar und sichtbar
Seit damals hat sich was getan. Tatsächlich werden Hörgeräte heute entspannter wahrgenommen. Es gibt zwar noch Menschen, die – wenn sie denn Hörgeräte brauchen – unbedingt welche wollen, die niemand sieht; die Geräte sollen also kleinstmöglich sein. Doch andererseits gibt es immer mehr Menschen, für die die Unsichtbarkeit von Hörgeräten kein Thema ist. Oft sind das jüngere Hörgeräte-Kunden, also solche, die vielleicht so 50 sind.

Oft wissen diese Kunden schon gut Bescheid, wenn sie erstmals zum Hörakustiker gehen. Sie nutzen Smartphones, Tablets, Notebooks und all das. Sie wissen, dass sich Hörgeräte damit koppeln lassen, und dass die Geräte auch Teil der großen Technikwelt sind. Deshalb ist es für sie normal, die Technik zu nutzen, wenn das Gehör nachlässt. Es ist nichts, wofür sie sich schämen. Und es ist ihnen wichtig. Die Hörgeräte helfen nicht mehr nur, Mitmenschen weiterhin zu verstehen. Sie helfen auch, die ganze andere Technik weiter wie gewohnt nutzen zu können – zu telefonieren, Musik zu hören, Filme zu schauen, Video-Calls zu führen…
Vernetzung macht Hörgeräte-Kunden jünger
Tatsächlich hat das auch bewirkt, dass Menschen heute früher zum Hörakustiker kommen, wenn sie merken, dass ihr Gehör nachlässt. In der Branche hieß es immer, dass man acht, zehn oder 15 Jahre wartet, ehe man das tut. (Das heißt, man merkt, dass man schlecht hört, wartet aber ab und hört immer noch schlechter.) Oft warten Leute auch heute noch lange. Hörakustiker sagen jedoch, dass diejenigen, die zum ersten Mal kommen, im Schnitt jünger sind. In Interviews frage ich oft danach. Manche Hörakustiker sagen: „Ja, die sind heute im Schnitt zehn Jahre jünger.“ Andere sind zurückhaltender: „Doch, dass kann schon sein, dass die Kunden heut etwas früher kommen.“

Smarte Hörgeräte-Vernetzung hat etwas daran verändert, wie Hörgeräte erlebt werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen, die noch gut hören, Technik am Ohr tragen. Earbuds, von denen man anfangs sagte, dass sie wie die Aufsätze elektrischer Zahnbürsten aussehen, sind längst normal. Die sind sogar teuer und begehrt. Und sie sind so trendy, dass manche fragen, wann man Hörgeräte endlich auch so baut, dass sie wie Aufsätze für elektrische Zahnbürsten aussehen. Manche sagen dann sogar, dass Hörgeräte-Hersteller eben keine Ahnung von Design hätten… – Schon verrückt!
Hörgeräte und Earbuds: Vernetzung macht multifunktional
Heute ist es normal, dass auch gut Hörende Technik am Ohr tragen, die mehr kann als Musik wiedergeben. Ohrtechnik ist multifunktional. Es ist normal, dass Leute allein auf der Straße laufen und laut in die Luft reden. Das scheint weniger verrückt als früher. Mit smarten Hörgeräten kann man ebenso telefonieren.
Und man kann mit ihnen andere Dinge, die multifunktionale Earbuds können: sich drahtlos verbinden, jeden Sound streamen, sich vielleicht mit dem Internet verbinden, GPS und Geotagging nutzen (um zum Beispiel ein verlegtes Hörgerät wiederzufinden). Es gibt Hörgeräte, die Bewegungssensoren nutzen und einen Alarm senden, falls man stürzt. Es gibt Hörgeräte mit künstlicher Intelligenz oder mit Übersetzungsfunktion (da braucht man allerdings noch Internet).

Die Hersteller lassen sich einiges einfallen, damit Hörgeräte immer noch attraktiver werden – mal abgesehen vom Design, das natürlich auch ausgetüftelt und schön ist. Hörgeräte bieten Vorteile, die sie von teuren Earbuds oder Kopfhörern oder anderer Technik übernommen haben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Vernetzung und Personalisierung: Hörgeräte als Trendsetter
Die andere Hälfte der Wahrheit ist mindestens ebenso spannend: Auch Kopfhörer oder Earbuds übernehmen Funktionen, die ursprünglich entwickelt wurden, damit man mit Hörgeräten noch besser hört. Da geht es etwa um Verstärkung, um Kompression, Equalizer‐Funktionen, Unterdrückung von störendem Schall, um Hörprogramme und ums Erkennen akustischer Objekte oder um Formeln für die Anpassung von Software, wie sie Hörakustiker verwenden. Hörgeräte können also nicht nur Vernetzung – wie die andere Technik. Sie sind sogar Trendsetter für andere Technik.
Das sind sie schon deshalb, weil sie viel individueller sind als die andere Technik – zumindest, wenn ein Hörakustiker die Geräte genau für ihren Träger angepasst hat. Kein Kopfhörer und kein Earbud lässt sich so genau für seinen Träger einstellen. Obendrein kommt die Passform dazu. Der Hörakustiker gestaltet das Hörgerät so, dass es genau ans Ohr passt. Oder dass es genau ins Ohr passt. Denn jede Ohrmuschel und jeder Gehörgang sind anders geformt. Auch das beeinflusst das Hören. Folge ist, dass Standard-Earbuds früher oder später immer drücken. (Sogar, wenn sie wie schicke Zahnbürstenaufsätze aussehen.) Außer, man hat das Standard-Ohr. Aber wer hat das schon?! Als Schnittstelle zwischen Mensch und Technik sind Hörgeräte der anderen Technik um Längen voraus.

PS: Die Bilder zum Beitrag über die Vernetzung von Hörgeräten zeigen die Hörgräte bei ihren IFA-Besuchen in den vergangenen Jahren.
