Wer sie braucht, dem können gut eingestellte Hörgeräte oder auch Hörimplantate sehr viel Hören und Verstehen ermöglichen. Das heißt jedoch nicht, dass die Technik das natürliche Hören vollständig nachbilden kann (auch darüber hatte ich schon gebloggt). In Interviews mit Menschen, die mit Hörtechnik leben, frage ich meist danach, in welchen Situationen sie mit ihrer Technik an Grenzen stoßen. Manche sagen dann, dass sie solche Grenzen eigentlich nicht erleben. Oft kennen sie solche Situationen aber durchaus, vor allem, wenn sie einen stärkeren Hörverlust haben. Mitunter erzählen sie auch, das gut Hörende überrascht reagieren: „Wozu hast du die Technik, wenn du mich doch nicht richtig verstehst?!“ Die Technik kann eben nicht alles. Deshalb in diesem Beitrag ein paar Tipps für die Kommunikation mit Hörgeschädigten:
1. Die Augen sind wichtig
Menschen mit geminderter Hörfähigkeit lernen oft ganz automatisch, so viel wie möglich über andere Sinne zu kompensieren – insbesondere über die Augen. Beim Verstehen hilft ihnen vor allem das Lippenbild. Gerade in schwierigen, lauten Situationen ist es auch für viele Menschen mit Hörtechnik eine tolle Unterstützung. Man versteht oft mehr. Zuhören ist weniger anstrengend.
Dafür muss man die Lippen der Gesprächspartner aber tatsächlich sehen können. Gutes Licht spielt eine Rolle. Und wenn du im Gespräch ständig die Hand vor dem Mund hast, ist das unglücklich. Hilfreich sind auch Gesten – etwa dann, wenn man in einer Gruppe anzeigen will, dass man jetzt auch mal was sagen möchte.
2. Gutes, deutliches Sprechen
Mitunter wird angenommen, man müsste bei der Kommunikation mit Hörgeschädigten besonders laut sprechen. Warum das nichts bringt, habe ich an anderer Stelle schon erklärt. Du solltest deinen Gesprächspartner nicht anschreien. Manche Menschen mit Hörschädigung reagieren sogar besonders empfindlich auf hohe Schallpegel.
Hilfreich ist vielmehr, mit normaler Stimme und mit gleichmäßigem Rhythmus zu sprechen, der Reihe nach zu sprechen und Gesprächspartner nicht zu unterbrechen. (Im Prinzip wie bei anderen Gesprächsrunden auch, nur dass es hier noch wichtiger ist, damit der andere überhaupt eine Chance hat.)
3. Wortwahl und Satzbau
Klare, eindeutige Worte und kurze Sätze sind immer gut, wenn man leicht verstanden werden will – bei der Kommunikation mit Hörgeschädigten gilt auch das umso mehr. Das heißt nicht, dass man jedes Fremdwort vermeiden muss. Aber es kann z. B. helfen, eine Aussage noch einmal mit anderen Worten zu wiederholen, wenn der andere offensichtlich nicht ganz versteht. Falls auch das nicht funktioniert, könntest du den Begriff (z. B. einen Fachbegriff oder einen Namen) auch auf einen Zettel schreiben.
4. Mit Hintergrundgeräuschen rechnen
Die größten Herausforderungen bei der Kommunikation mit Hörgeschädigten gibt es in lauten Räumen mit vielen Hintergrundgeräuschen, in denen ggf. noch mehrere Gesprächspartner sitzen. Soweit möglich, könntest du das schon vor dem Gespräch berücksichtigen. Du könntest deinem Gesprächspartner z. B. die Platzwahl überlassen oder dich erkundigen, ob sein Platz akustisch optimal ist. Akustisch vorteilhaft kann z. B. sein, wenn der andere eine Wand im Rücken hat. Und soweit möglich, kann es helfen, Hintergrundgeräusche selbst abzustellen; also z. B. ein Fenster zu schließen oder Musik auszuschalten.
5. Technische Hilfsmittel
Die gibt es inzwischen jede Menge; etwa SMS und Messanger, eMails. Es gibt tolle Apps, die die Kommunikation mit Hörgeschädigten unterstützen. Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass sich das Verstehen am Mobiltelefon deutlich verbessern lässt, wenn man zusätzlich Video-Telefonie nutzt – weil dann, wie in Punkt 1 beschrieben, das Auge mithören kann. Auch zur Unterstützung gebärdensprachlicher Kommunikation gibt es Apps. Und ältere Technik wie Fax oder Schreibtelefon werden bei der Kommunikation mit Hörgeschädigten immer noch genutzt. Für Gruppengespräche oder Vorträge gibt es unterschiedliches Zubehör für Hörgeräte und Hörimplantate, externe Mikrofone und Streamer, FM-Anlagen. Hilfreich bei öffentlichen Veranstaltungen ist nach wie vor die Induktionsschleife, die sogenannte T-Spule. Auch wenn das neue Bluetooth LE Audio verspricht, dass es hier demnächst noch ganz andere Möglichkeiten geben wird.
6. Dolmetscher
Dolmetscher und Dolmetscherinnen für Gebärdensprache (kurz Dolmis genannt) sind vor allem dann wichtig, wenn mit gehörlosen Menschen kommuniziert werden soll. Wie ich schon in einem anderen Artikel schrieb, ist Gebärdensprache eine völlig eigenständige Sprache, die so wie jede andere Sprache gedolmetscht werden kann – nur dass sie mit den Händen gesprochen wird. Es gibt auch Menschen, die Hörtechnik tragen und mit Gebärden sprechen. Die lautsprachbegleitenden Gebärden erleichtern ihnen das Verstehen. Ich hatte auch schon geschrieben, dass es junge Leute gibt, die z. B. mit dem Cochlea-Implantat hören und zudem Gebärdensprache lernen. Ein Problem ist, dass die Zahl der Dolmis in Deutschland längst nicht ausreicht. Kritisiert wird auch, dass es oft schwierig ist, Unterricht für Gebärdensprache zu bekommen.
Bei Veranstaltungen für Hörgeschädigte kommen zudem nach Möglichkeit auch Schriftdolmetscher zum Einsatz. Alles, was gesprochen wird, wird zum Mitlesen gleich an die Wand projiziert. Eine ähnliche Unterstützung könntest du mittlerweile auch schon relativ gut für Gespräche nutzen – mit Spracherkennung am Handy.
7. sich die Hörschädigung bewusst machen
Dieser letzte Punkt hat es in sich. Klar kann ich mir sagen, dass mein Gesprächspartner Schwierigkeiten mit dem Hören hat. Aber in Gesprächen geht es eben um alle möglichen Dinge. Und eine Hörschädigung sieht man dem anderen nicht an. Man vergisst sie schnell. Hörgeschädigte erzählen oft, dass es gut Hörenden in Gesprächen mit ihnen so geht. Darauf sollten sie den gut Hörenden dann hinweisen; aber das macht auch nicht jeder.
Sich bewusst zu machen, dass Menschen mit Hörschädigung nicht in jedem Fall zuverlässig verstehen, kann auch für dein Erleben (als gut Hörender) vorteilhaft sein. Es kann verunsichern, wenn jemand im Gespräch anders reagiert, als man es gewohnt ist. Vielleicht stellt sich in einem Gruppengespräch das Gefühl ein, der andere übersieht mich ständig und ist nicht interessiert an dem, was ich die ganze Zeit erzählen will. In Gesprächen mit hörgeschädigten Menschen hatte ich häufig solche und ähnliche Irritationen. Die lassen sich z. B. damit erklären, dass Hörgeschädigte stärker auf (immer nur) einen Gesprächspartner fokussieren. Nachdem ich das begriffen hatte, war es leichter, damit umzugehen.
PS: Die Fotos zum Beitrag über die Kommunikation mit Hörgeschädigten zeigen die Skulptur „Earthing“ (Erdung) der britischen Künstlerin Jocelyn McGregor. – Schnecken mit menschlichen Gliedern, die ich am Aldgate Square in London fotografiert habe. Vielleicht sind das ja Hörschnecken…