Wie Krieg ist, weiß man aus Medien? Wie er klingt, kann man in Filmen hören? Das anzunehmen, wäre ungefähr so, als würde man Filmschauspieler für kriegserfahrene Soldaten halten. Es heißt, dass das erste Opfer jedes Krieges die Wahrheit ist. Nicht nur bei Fakten und Bildern, mit denen Medien über Kriege berichten, ist Skepsis angebracht. Auch der Kriegssound der Medien hat meist wenig mit der realen akustischen Gewalt von Kriegen zu tun.
Kriegssound in Wachs und Schellack
Seit jeher war Kriegslärm (neben Glockengeläut) das lauteste von Menschen gemachte Geräusch. Erste Versuche, diesen Lärm als „Kriegssound“ zu konservieren und somit nacherlebbar zu machen, gab es bereits in den Anfangsjahren der Tonaufzeichnung. Schon der Edisons Phonograph wurde gelegentlich genutzt, um den akustischen Krieg auf Wachswalzen festzuhalten. Mitschnitte von Kriegssound gab es dann während des 1. Weltkriegs in so genannten Hörbildern auf Schallplatten: neben Soldatenliedern, Auszügen aus Reden, Hurra-Rufen, Trompetensignalen und Kommandos gehörten zu diesen Klangszenarien auch Kampfgeräusche. Die etwa drei Minuten langen Tonspuren wurden damals zur „patriotischen Erbauung“ bzw. zur Kriegspropaganda arrangiert.
Ein Beispiel habe ich hier rausgesucht. Beim Hörbild „Im Lager vor Paris“, dessen Aufnahmen vom 26. September 1914 stammen, gibt es u. a. Gespräche und Gelächter von Soldaten. Und die Soldaten singen das „Grenadierlied“: „Bin ein lust’ger Grenadier, juch-hei-di, juch-hei-da! Niemals ich den Mut verlier, juch-hei-di hei-da! Ich diene meinem König treu, meinem Mädchen auch dabei…“ Der Gesang wird von unregelmäßigen Knack- oder Knallgeräuschen begleitet. Das könnte das Knacken der alten Schallplatte oder das Lagerfeuer sein, um das die Soldaten sitzen. Zu hören sind jedoch Schüsse, einmal Dauerfeuer aus einem Maschinengewehr. Doch mit Trommelfeuer, zerstörten Ohren und akustischer Gewalt hat das überhaupt nichts zu tun. Dieser Kriegssound plätschert als dezente Untermalung hinter den großspurig-kraftstrotzenden Soldatenstimmen: „Jeder Stoß“, ruft der eine, „ein Franzos’“, entgegnen die anderen, „jeder Schuss – ein Russ’, jeder Tritt – ein Brit“.
Kriegssound und Tonfilm
Der Traum von Highfidelity – also von naturgetreuer Wiedergabe von Klängen – hatte gerade erst begonnen, Gestalt anzunehmen. Der Aufzeichnung und der Wiedergabe eines akustischen Alptraums waren die technischen Möglichkeiten erstrecht nicht gewachsen.
Eine neue Form von Kriegssound bringt ab Ende der 20er Jahre der Tonfilm. Zu den ersten Tonfilmen gehörten in Deutschland unzählige Kriegsfilme. Filme gegen den Krieg waren die Ausnahme. – „Neben allem, allem, was ich im Winter sah, ging ein Tonfilm dieser Tage mir am tiefsten: weil er das Gesicht des Krieges für Nichtteilnehmer am rüdesten entblößt“, schreibt der Kritiker Alfred Kerr im Berliner Tageblatt. „Der Eindruck übertäubt Wochen, Monate. Man sollte das an jedem Neujahrstag vorführen, einmal an jedem Jahresbeginn; in jedem Dorf, in jeder Schule; von Amts wegen, durch Gesetz. Was sind Theaterstücke?“
Der deutsche Film „Westfront 1918“, um den es hier geht (und den du hier anschauen kannst) beeindruckte durch seinen Realismus – insbesondere auch durch realistischen Ton. Filme begannen erst zu klingen. (Das Wort „übertäuben“, das Alfred Kerr gebraucht, bedeutete u. a. jemanden – im übertragenen Sinne – durch Schreie mundtot bzw. taub zu machen.)
„Westfront 1918“ und auch der US-amerikanische Anti-Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ (hier ein Original-Trailer) nutzten Kriegssound so realitätsnah, wie man ihn nie zuvor erlebt hatte – außerhalb eines tatsächlichen Krieges. Beide Filme erschienen 1930 – „Im Westen nichts Neues“ sogar noch in einer Stumm- und einer Tonfilmversion; letztere gehörte zu den ersten ausländischen Filmen, die für das deutsche Kino synchronisiert wurden. Der verwendete Kriegssound stammt jedoch nicht aus einem tatsächlichen Krieg. Man nutzte akustische Verdichtungen, die mit den tatsächlichen Klängen des 1. Weltkriegs, den über Tage anhaltenden Trommelfeuern und der sie ablösenden Stille, nicht zu vergleichen sind.
Kriegssound und großes Kino
Bei der Entwicklung von medialem Kriegssound – bzw. von aufgezeichneten Klängen des Krieges – kann es also gar nicht darum gehen, tatsächlichen Kriegslärm hörbar zu machen. Es geht nicht um den realen Klang, weil es Filmemachern nicht um die Zerstörung des Hörens durch von Menschen erzeugte Geräusche geht, sondern um künstliche Klangerlebnisse, die uns in andere Welten versetzen, um Emotionen und großes Kino. Im Prinzip ist es nicht anders als zu Zeiten von Stummfilm und Kinoorgel, als ein Kino-Schuss noch ein Paukenschlag war; nur dass unsere Erwartungen an Klangtreue heute gehobene sind. Auch das Zusammenspiel von Kriegssound und Musik in Kriegsfilmen war von Anfang an wichtig.
Kriegssound – Original oder Inszenierung
Später hielt man die Tonspuren dieser Filme jedoch für Original-Mitschnitte und hat sie so auch für Dokumentationen genutzt. In TV-Produktionen über den 1. Weltkrieg kann man dem Studiokriegssound bis heute begegnen.
Auch während des Zweiten Weltkriegs blieb die akustische Reproduktion des Krieges schwierig. Kriegssound sollte die Berichte von Wochenschau und Rundfunk authentischer machen und Lärm die Allmacht der eigenen Waffen vermitteln. Mit einfachen Tonmitschnitten wäre solche Propaganda jedoch gar nicht möglich gewesen. Aufnahmen mussten erst im Tonstudio akustisch nachbearbeitet werden. Hier wurde ein Kriegssound kreiert, der die Vorstellung darüber, wie der 2. Weltkrieg geklungen hat, bis heute prägt.
Die Reproduktion von Kriegssound scheiterte lange Zeit schon an der Unmöglichkeit, Schall räumlich aufzunehmen und wiederzugeben. Schall im Kino auch räumlich zu erleben, ihn so zu gestalten, dass er das Gehör sozusagen überwältigt, ging eigentlich erst mit Dolby Stereo ab Mitte der 70er Jahre. Doch abgesehen von den Möglichkeiten, die klangliche Qualität von Kriegssound technisch nachzubilden – was ist mit der Lautstärke? Bei jeder Explosion wird Energie freigesetzt – Druck, Wärme, Bewegung. Dieses Freisetzen von Energie kann man sehen (als Lichtblitz) und Hören (als Knall). Doch wer käme auf die Idee, Kinobesucher dem Schalldruck einer tatsächlichen Granate auszusetzen?!
Wer „Kriegssound“ googelt, findet jede Menge designter Soundeffekte zum Downloaden. Und im Kino scheinen Kriege seit jeher eine Art Königsdisziplin für künstlichen Sound zu sein. Von „In einem anderen Land“ (1934), „Das ist mein Land“ (1944), „Der Kommandeur“ (1950) bis zu „Hacksaw Ridge – Die Entscheidung“ (2017), „Dunkirk“ (2018), „1917“ (2019)… – den Oscar für den besten Ton gewinnen schon immer auffallend viele Kriegsfilme – neben Katastrophenfilmen sowie Musikfilmen bzw. Musical-Verfilmungen.
Der Hörsinn ist der erste Sinn, mit dem wir die Welt erfahren. Vielleicht ist er deshalb auch der Sinn, mit dem sich das, was Krieg bedeutet, am unmittelbarsten erahnen lässt? – “Wir beginnen zu hören, bevor wir geboren werden, viereinhalb Monate nach der Empfängnis. Von da an entwickeln wir uns in einem kontinuierlichen und luxuriösen Bad von Klängen: der Gesang der Stimme unserer Mutter, das Rauschen ihres Atems, das Trompeten ihrer Eingeweide, die Paukenschläge ihres Herzens. In den zweiten viereinhalb Monaten regiert der Klang als einsame Königin unserer Sinne: Die dichte und flüssige Welt der uterinen Dunkelheit macht Sehen und Riechen unmöglich, den Geschmack einfarbig und die Berührung eine schwache und allgemeine Ahnung von dem, was kommen wird. Die Geburt bringt das plötzliche und gleichzeitige Aufflammen der anderen vier Sinne mit sich und einen intensiven Wettbewerb um den Thron, den der Klang für sich beansprucht hatte.”
Das Zitat von Walter Murch zum Abschluss – und schon als Überleitung zum nächsten Teil des Artikels. Murch hat als Filmeditor, Regisseur, Drehbuchautor und Tonmeister gearbeitet. Er hat den Sound eines Films geschaffen, der vielleicht der bedeutendste von allen Kinofilmen ist, wenn es um Kriegssound geht.
PS: Die Abbildungen zum Artikel über die Wiedergabe von Kriegssound in Filmen und anderen Medien zeigen einen Edison-Phonographen, eine Schellack-Schallplatte, einen Lautsprecher aus den 20er und ein Radio (Ecko Model AC 74) aus den frühen 30er Jahren sowie Schallplatten für den Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergei Eisenstein.