Nadel auf Vinyl

Über Schallplatten und ein Interview mit Volker Quante von „Mr Dead & Mrs Free“ (Teil 2)
Teil eines Schallplattenspielers und Ausschnitt aus einem Plattencover

Wie kommt es, dass die Schallplatte nicht totzukriegen ist, obwohl sie längst abgeschrieben schien? – „Alles in allem sehe ich in der Vorliebe für Vinyl so eine Art Gegenbewegung zu dieser Beliebigkeit, die sich aus der freien Verfügbarkeit über Unmengen von Musik ergibt“, meinte Volker Quante, Inhaber von „Mr Dead & Mrs Free“ bei einem Interview vor einigen Jahren. „Der Mensch ist eben nicht so gestrickt, dass er alles immer sofort dahaben muss. Wir zimmern doch alle irgendwie an unserer kleinen Welt, brauchen Orientierung und Struktur, suchen unsere persönlichen Favoriten. Das Internet bietet natürlich prima Möglichkeiten, um sich zu orientieren. Aber wenn man eine Musik wirklich liebt, dann will man davon was Physisches haben, etwas, was man mit nach Hause nehmen kann.“

Von Vinyl-Kunden und Wertstofftonnen

Die Leute, die heute Vinyl kaufen, sind ganz verschieden: Es gibt die ältere Klientel, die eine Schallplatte ungefähr so kauft wie eine gute Flasche Wein; wie etwas Edles, was man sich gönnt und zu Hause genießt“, so Volker Quante. „Dann gibt es auch Leute, die ein breites Spektrum an Musik konsumieren und eine große Plattensammlung haben. Ein sehr interessantes Publikum – nicht zuletzt für die Musikindustrie. Sie sind offen für Neues, spielen das in ihrem Freundeskreis, empfehlen und verleihen die Platten. Das sind regelrechte Multiplikatoren, deren Neugier den Markt voranbringt, neue Bands etablieren hilft.“

Außerdem gäbe es diejenigen, die sich komplett auf CD umgestellt hätten und dann doch wieder zu Vinyl zurück geschwenkt sind. Und es gab Anfang der 2010er Jahre Bands, die Vinyl unterstützt haben, indem sie ihre Alben immer auch als Schallplatte rausbrachten.

Illustration zum Artikel „Nadel auf Vinyl“ auf die-hörgräte.de über Schallplatten und ein Interview mit Volker Quante von „Mr Dead & Mrs Free“

Inzwischen ist das eher normal. Während sich Musik auf CD eigentlich erledigt hat. Googelt man, was man mit seiner CD-Sammlung anfangen soll, kommt als erstes der Hinweis auf gesonderte Werkstofftonnen beim Recycling-Hof. Volker Quante war sich da schon vor zehn Jahren sicher: Schallplatten sind wesentlich attraktiver; nicht nur weil sie größer sind, eine ganz andere Haptik haben. Sie haben auch einen Sammlerwert, während eine CD mittlerweile kaum noch Sammlerwert hat. Manche Vinyls gibt es nur ein halbes Jahr oder ein Jahr lang offiziell zu kaufen. Was selten ist, ist auch gefragt. Andererseits bekommt man die großen Klassiker der Rock- und Pop-Geschichte heute zu 70 bis 80 Prozent auch als Neupressungen in gut sortierten Plattenläden.“

Von tastenden Nadeln und knisternden Scheiben

Man hört Vinyl auch anders. Mein Interview-Partner verglich das damals mit Convenience Food einerseits, einem guten Restaurant andererseits: „Man will nicht immer nur Convenience. Man will auch mal was Besonderes, etwas zelebrieren. Wenn ich im Laden Musik höre, läuft eher eine CD, die ich nicht so oft umdrehen muss. Aber wenn ich zu Hause konzentriert etwas hören will, dann lege ich mir Vinyl auf. Dort hab ich auch fast nur Vinyl.“

Man sucht eine Platte im Regal, lässt sie aus dem Cover gleiten, legt sie auf den Plattenteller, lässt sie unter der Reinigungsbürste kreisen und betätigt den kleinen Hebel, um die Nadel sinken zu lassen, bis sie aufsetzt und abtastet, was man die kommenden Minuten hört. Keine Ahnung, ob man so alt wie ich sein muss, um das wunderbar zu finden – in Zeiten, in denen man so ziemlich jede Musik überall und jederzeit abrufen und abwählen kann.

Teil eines Schallplattenspielers und Ausschnitt aus einem Plattencover

Übrigens stimmt es nicht, dass man beim Aufsetzen der Nadel auf altes Vinyl zuerst Knistern und Knacken wie bei einem Lagerfeuer hört. – Das Knacken muss nicht sein“, meinte auch Volker Quante. „Das passiert nur, wenn sie dreckig werden. Wenn man seine Platten pfleglich behandelt, halten die ewig. In der Regel hört man eine Platte ja nicht öfter als vielleicht 100mal, und das halten die ohne weiteres aus. Viele Platten sind sogar extrem gut haltbar. Gepflegte Originale aus den 50er oder den 60er Jahren klingen heute noch wie vor einem halben Jahrhundert. Mitunter klingen sie besser als die aus den 70ern. Durch neue technische Möglichkeiten konnten die Leute zwar mehr ausprobieren. Das hat aber nicht unbedingt zu einem besseren Klang geführt, sondern eher zu einer Art Klangbrei. Das Soundbild ist halt nicht so gut gealtert wie die frühen Aufnahmen. Und wenn es doch mal einen Kratzer gibt, dann hört man’s eben Knacken, aber man kann die Platte immer noch abspielen.“

Vinyl-Sammlungen als Wertanlage?

Für seinen Plattenladen, den es schon längst nicht mehr gibt, unterhielt Volker Quante damals ein weit verzweigtes Netzwerk. Platten aus UK fanden als Import über Holland bis nach Berlin, sie kamen über alle möglichen größeren und kleineren nationalen Vertriebe.

Bands waren damals dazu übergegangen, noch mehr Konzerte zu geben und viel auf Tour zu gehen, weil sie damit mehr verdienten als mit konzentrierter Arbeit am nächsten Album. Andererseits gab es auch damals Künstler, denen die nächste Platte gar nicht gut genug sein konnte: „Es gibt ganz extreme Fälle wie zum Beispiel Neil Young. Der will immer nur das Beste und lässt seine Platten deshalb bei Classics Records produzieren, beim teuersten Vinyl-Label der Welt. Mastering, Schneiden, Pressen – da ist alles vom Feinsten, und ein Einfachalbum kostet dann 40 Euro. Bei Neil Young, der oft Doppel- oder Dreifachalben macht, wird es noch teurer.“

Illustration zum Artikel „Nadel auf Vinyl“ auf die-hörgräte.de über Schallplatten und ein Interview mit Volker Quante von „Mr Dead & Mrs Free“

Ob sich Vinyl-Sammlungen auch als Wertanlage eignen? Volker Quante war skeptisch: „Das ist sicherlich ein schwieriges Geschäft. Beim Second Hand bekommt man heute für Platten oft mehr als für CDs. Letztere sind beim Wiederverkauf selbst brandneu kaum noch was wert. Aber eigentlich sollte es bei Platten darum gehen, etwas zu erwerben, was man liebt, für das man Zeit und Gefühle aufbringt. Für Leute, die Geldanlagen suchen, ist ein Plattenladen sicher nicht die beste Adresse. Ich fände das ungefähr so absurd, wie es absurd ist, Wein zu horten und darauf zu spekulieren, dass der immer teurer wird. Aber natürlich gibt es auch Platten, die preislich total durch die Decke gehen.“

Von den teuersten Platten und wirklicher Liebe

Je weniger Stückzahlen es von einer Platte gibt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sowas passiert: „Die teuersten Platten der Welt sind meist von Künstlern, die erst in der Folge richtig groß wurden. Aus irgendwelchen obskuren Gründen gab es von einer bestimmten Platte nur ganz wenige Exemplare, die kaum jemand hat.“

Volker Quante nannte da zum Beispiel eine Modern-Soul-Single von Frank Wilson: „Der kam aus dem Motown-Umfeld und hatte einen Song mit dem Titel ‚Do I Love You‘ aufgenommen. Davon gibt es weltweit genau zwei Originale; beide nur Acetate, also Anpressungen. Und als die zweite irgendwann auftauchte, hat sie über 20.000 Pfund gebracht.“

Weiteres Beispiel ist eine einmalige Anpressung vom ersten Album von Velvet Underground – teilweise mit anderen Treks und anderen Mixes als die offizielle Platte: „Dieses Acetat hatte jemand gefunden und dann bei eBay eingestellt. Bei der ersten Versteigerung kam sie auf 100.000 Dollar; aber dieses Gebot kam von einem Fan, der das gar nicht bezahlen konnte und einfach nur fand, dass es ein angemessener Preis wäre. Ein halbes Jahr später kam es erneut zur Versteigerung, und der Preis, der dann auch tatsächlich bezahlt wurde, lag in ganz ähnlichen Regionen. – Es gibt also schon Möglichkeiten, wertvolle Schätzchen ausfindig zu machen. Das Gros der Platten wird sicherlich kaum teurer werden als zu dem Zeitpunkt, als man sie gekauft hat.“

Aber – so Volker Quante zum Schluss – wer einen Künstler wirklich liebe, der wolle auch irgendwas von ihm besitzen: „Sicher, man kann auch zu einem Konzert gehen und dort ein T-Shirt kaufen. Aber das hat nicht wirklich mit Musik zu tun. Eine lieb gewordene Platte hingegen begleitet einen wie ein lieb gewordenes Buch. Man spürt schon, dass den Fans dieser Aspekt des Musik-Kaufens immer wichtiger wird.“

Teil eines Schallplattenspielers und Ausschnitt aus einem Plattencover

PS 1: Die Fotos zum Beitrag „Nadel auf Vinyl“ zeigen Teile eines Plattenspielers, gemixt mit Ausschnitten aus Platten-Covers.

PS 2: Die Zitate von Volker Quante entstammen dem Interview-Artikel „Besser Vinyl?“, den ich 2009 für die Hörakustik-Fachzeitschrift Audio Infos geschrieben hatte.

Illustration zum Artikel „Nadel auf Vinyl“ auf die-hörgräte.de über Schallplatten und ein Interview mit Volker Quante von „Mr Dead & Mrs Free“

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Von Platten-Schätzen

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