Medizin hört mit KI

Über das Hören mit Künstlicher Intelligenz (Teil 3)
Gehörknöchelchen-Präparat – Illustration zur Artikel-Serie über das Hören mit Künstlicher Intelligenz

Bisher ging es in unserer Artikel-Serie zum Hören mit Künstlicher Intelligenz darum, was KI beim Hören bedeutet, und darum, wie Maschinen hören lernen. Bleibt die Frage, wozu das alles gut ist – oder auch nicht gut ist. Denn dass Maschinen das Gras wachsen hören oder jedes Wort auf die Goldwaage legen können, muss ja nicht zwangsläufig gut sein. Es könnte z. B. auch unheimlich sein.

Die Lösung, die audEERING für das Hören mit Künstlicher Intelligenz entwickelt hat, wird in vielen Bereichen eingesetzt; ein Feld sind Medizin und Gesundheit. – „Hier arbeiten wir an diversen Forschungsprojekten mit“, so Geschäftsführerin Dagmar Schuller. „Etwa zur Früherkennung von Depression, Alzheimer, Parkinson, die sich oft schon sehr früh in Sprache bzw. Sprechen niederschlagen – lange bevor sie auf andere Art wahrnehmbar werden.“

KI-Hören, Depression und Autismus

Beim Forschungsprojekt zum Thema Depression etwa geht es um Frühdiagnostik und um Therapie. – „Ansatz ist hier, dem Patienten ein Audio-Tagebuch an die Hand zu geben“, so Dagmar Schuller. „Jeden Tag spricht er in sein Handy, wie der Tag war und wie es ihm ging. Wenn der Patient es wünscht, könnte er das dann an seinen Arzt oder Therapeuten schicken; der erhält durch die Analyse ein deutlich komplexeres Bild als das, was er sich einmal in der Woche bei der unmittelbaren Begegnung mit dem Patienten machen kann. Beim Arzt dauern diese Begegnungen ja oft nur fünf bis zehn Minuten.“

Gehörknöchelchen-Präparat – Illustration zur Artikel-Serie über das Hören mit Künstlicher Intelligenz

In einem anderen Projekt geht es um autistische Kinder. – „Sie haben große Schwierigkeiten, Emotionen anderer richtig zu deuten oder auch eigene Emotionen zu zeigen. Hier haben wir einen Roboter entwickelt, der den Kindern spielerisch hilft, Emotionen zu erlernen – wie eine Art Fremdsprache: Das ist glücklich, traurig, wütend…“ – Mit einem Roboter fiele den Kindern dieser Lernprozess deutlich leichter als mit einem Menschen, so Dagmar Schuller. „Bei Menschen haben sie oft Barrieren. Mit einem Roboter, der wie ein Spielzeug aussieht, können sie viel leichter interagieren.“

Alzheimer hören mit Künstlicher Intelligenz

Auch an einem Projekt zur Alzheimer-Diagnostik arbeitet audEERING mit. Das steht allerdings noch relativ am Anfang. – „Alzheimer-Diagnostik ist auch für den Neurologen herausfordernd, da es mehrere Varianten gibt. Man diagnostiziert nicht einfach Alzheimer, sondern erkennt typische Marker.“

Gehörkochen - Präparat des dänischen Anatomen Ib Pedersen Ibsen

Mit diesen Markern sind Veränderungen in der Stimme gemeint, die sich im Zuge der Erkrankung einstellen. Betrachtet man diese Veränderungen, so gibt es laut Dagmar Schuller drei verschiedene Biomarker: „Zum einen geht es um klassische Emotionserkennung; Alzheimer-Patienten können von einem Moment auf den anderen emotional ausbrechen. Diese Wutausbrüche sind ganz typisch für Alzheimer. Ein zweiter Marker betrifft eher das Sprechen: Diese Patienten benutzen Worte oft nicht mehr im richtigen Kontext; in einem Satz tauchen plötzlich Worte auf, die da inhaltlich nicht hineinpassen. Dritter Marker ist die Aussprache. Die Färbung von Vokalen und auch von Konsonanten ändert sich. Man spricht langsamer, verzögert häufig. Das ist so eine klassische Anomalie.“

Damit durch Hören mit Künstlicher Intelligenz eine Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert werden kann, braucht die KI für alle drei Marker entsprechende Daten. – Idealer Weise müsste man die Daten von Menschen vor und nach der Erkrankung sammeln. Und genau darin besteht die Herausforderung.

Sprach-Analyse und Parkinson-Früherkennung

Beim Hören von Parkinson hingegen ist audEERING schon viel weiter. – „Hier haben wir bereits sehr valide Ergebnisse für zwei Klassen. Wir können anhand eines Sprachsamples von unter 15 Sekunden erkennen, ob jemand Parkinson hat oder nicht.“

Gehörknöchelchen-Präparat – Illustration zur Artikel-Serie über das Hören mit Künstlicher Intelligenz

Genutzt wird dabei ein klassischer Sprachtest, bei dem Vokale gefiltert werden. – „Das A hört sich bei diesen Menschen anders an. Bestimmte Testaufgaben können sie nicht lösen – etwa mehrmals kurz hinter einander ‚pataka pataka pataka‘ sagen. Wir sind auch hier noch nicht am Ende. Aber wenn man sich vorstellt, dass das eine Eigendiagnose ermöglicht, für die man nicht erst zu Arzt oder Neurologen muss, ist das schon ein guter Schritt.“

Beim Parkinson-Projekt, das audEERING zusammen mit einem britischen Unternehmen realisiert hat, liegt die Erkennungsrate heute bei 92 Prozent – wie gesagt, bei Verwendung einer Sprachprobe mit 15 Sekunden Länge. Und die Diagnose kann bereits gestellt werden, wenn es noch lange nicht zu den für Parkinson typischen motorischen Veränderungen kommt. Da die sprachlichen Veränderungen früher auftreten als die motorischen, wird eine frühzeitigere Erkennung möglich. Und um die Krankheit noch zuverlässiger hören zu können, braucht eine KI eigentlich nur eines: immer mehr und immer bessere Daten.

Gehörkochen - Präparat des dänischen Anatomen Ib Pedersen Ibsen

PS 1: Die Abbildungen zum dritten Teil unserer Artikel-Serie über das Hören mit Künstlicher Intelligenz zeigen Präparate von Gehörknochen, die der dänische Anatom Ib Pedersen Ibsen Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigt hat. Die Originale befinden sich im Medicinsk Museion in Kopenhagen.

PS 2: In diesem Blog werden keine aktuellen Produkte bestimmter Unternehmen vorgestellt; der Blog erhält keinerlei Geld oder andere geldwerte Unterstützung. Dass hier mit audEERING ein Unternehmen erwähnt wird, geschieht nur ausnahmsweise und nur, weil es um grundsätzlich neue Entwicklungen geht – und nicht um Werbung.


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