Dass in der Wortbildung „Ohrenschmalz“ so eine gewisse Freude am sich ekeln mitschwingt, hatten wir hier schon geschrieben. Mit der Wortbildung „Ohrenschmalzpfropf“ verhält es sich nicht anders. „Cerumenmanagement“ hingegen klingt nicht eklig, sondern businessmäßig modern: Funeral Manager, Facility Manager, Cerumen Manager. In Asien gibt es tatsächlich eine uralte Tradition professioneller Ohrreiniger; in Japan übernahmen das zum Beispiel Geishas. Auch heute gibt es dort Salons, in denen sich vorwiegend männliche Kunden von Ohrenputzerinnnen die Gehörgänge reinigen lassen. Aber das ist ein anderes Thema als das Cerumenmanagement, um das es hier geht.
Cerumenselfmanagement?
Wir hatten hier schon gesagt, dass Cerumen kein Dreck ist sondern wichtig. Und dass Gehörgänge sich ganz von alleine reinigen. Es gibt demnach eigentlich keinen Grund, sich regelmäßig Wattestäbchen in die Ohren zu schieben, um damit Ohrenschmalz zu entfernen.
Ohrenärzte und Hörakustiker erklären das bei jeder Gelegenheit. Wattestäbchen in Ohren sind nicht nur unnötig, sie schädigen auch die Haut des Gehörgangs, was zu Entzündungen und Eksemen führen kann. Auch das Trommelfell könnte verletzt werden. Außerdem kann Ohrenschmalz durch die Stäbchen noch tiefer in den Gehörgang geschoben werden. Der Mechanismus zur Selbstreinigung kommt nicht mehr nach. Das Cerumen kann eintrocknen und ein Pfropf entstehen, der vor dem Trommelfell sitzt. Dann hört man mit einem Mal sehr schlecht.
Die Natur hat sich was dabei gedacht, als sie Gehörgänge so eng machte, dass man nicht mal mit dem kleinen Finger in sie hineinkommt. Wattestäbchen sind zum Auftragen von Kosmetik oder Salben bestimmt. Putzt man Ohren mit ihnen, dann hängen sich Watteflusen an die kleinen Härchen im Gehörgang. Die Härchen sind weniger beweglich. Und wenn es vor dem Putzen ein wenig juckte, juckt es nun oft umso mehr. Heimisches Cerumenmanagement kannst du dir also sparen.
Von Ohrenschmalzpfropfen
Ob übertriebenes Gehörgangputzen oder kein Putzen – Ohrenschmalzpfropfen können gelegentlich entstehen. Jedes Ohr ist anders. Manches produziert besonders viel Cerumen. Oder es hat einen besonders engen Gehörgang. Mitunter lässt im fortgeschrittenen Alter der Mechanismus zur Selbstreinigung nach. Ist das Ohr plötzlich zu, ist das extrem unangenehm. Es tut zwar nicht weh, funktioniert aber dennoch ein bisschen wie Zahnschmerzen – man denkt nur noch daran, wie man das möglichst bald wieder weg bekommt.
Also doch: höchste Zeit für Cerumenmanagement… Man kann versuchen, sich das Zeug selbst aus dem Ohr zu holen. Apotheken verkaufen rezeptfrei Sprays auf Basis von Meer- oder Süßwasser oder auch chemische Produkte. Man kann versuchen, den Pfropf mit Ohrentropfen aufzuweichen. Man kann auch mit körperwarmem Kamillentee oder einfach mit Wasser spülen. Für solche Spülungen kann man ein sogenanntes Klistier nutzen – eine hohle Birne aus Gummi und mit spitzer Düse. Man füllt die Birne mit dem Wasser und spitzt es sich kraftvoll ins Ohr. Doch wie bei allen zuvor genannten Dingen: auch das funktioniert oft nicht.
Überhaupt keine gute Idee wäre es, nun ausnahmsweise doch zu Wattestäbchen oder ähnlichen Gerätschaften zu greifen, um das Ding endlich herauszubekommen. Besser gleich zum professionellen Cerumen Manager bzw. zum Ohrenarzt. Der hat drei Möglichkeiten, um einen Ohrenschmalzpfropf zu entfernen. Er nimmt ein dünnes Metallröhrchen und saugt den Pfropf aus dem Gehörgang. Oder er entfernt den Pfropf mit Hilfe eines kleinen Häkchens. Oder aber er spült ihn mit einem kräftigen Strahl körperwarmen Wassers heraus.
Die Ohrenschmalzleitlinie
Für Ohrenärzte ist Ohrenschmalz keine Kleinigkeit, sondern tägliches Geschäft. – „In den Ohren sollst du nicht bohren!“ „In die Ohren keine Dinger, die dünner sind als kleine Finger!“ – In einer Publikation zur Geschichte der HNO-Medizin fand ich die Vermutung, dass diese ärztlichen Faustregeln auch mit den finanziellen Einnahmen zu tun haben, die Ohrenschmalzpfropfen Generationen von Ohrenärzten sicherten.
Dass sich Ohrenärzte dem Cerumenmanagement nach wie vor mit Akribie und Leidenschaft widmen, zeigt die vor einigen Jahren von einem 14-köpfigen Expertengremium entwickelte Leitlinie zur Cerumen-Entfernung. Solche Leitlinien sind Schriftstücke, die von führenden Ärzten entwickelt werden, damit sich andere Ärzte, medizinisches Personal und Patienten bei Fragen zu einer Behandlung besser entscheiden können. Oft sind solche Leitlinien sehr hilfreich. Die zum Cerumenmanagement, die immerhin 29 Druckseiten inkl. 121 Literaturangaben umfasst, wirkt jedoch ein bisschen so, als wollte man einen Ohrenschmalzpfropf zu einem Ohrenschmalzpfropf-Elefanten aufblasen.
Da heißt es dann zum Beispiel: „Ein Ceruminalpfropf ist zu diagnostizieren, wenn er mit dem Otoskop (also über eine kleine Kamera im Gehöhrgang – Anm. d. Red.) zu sehen ist, das Ohr deswegen nicht untersucht werden kann und der Patient Symptome hat.“ Oder: „Empfohlene Therapien sind die Anwendung von auflösenden Substanzen (z. B. Wasserstoffperoxid, Natriumbicarbonat, Kochsalz, Olivenöl), eine Ohrspülung mit Wasser sowie der Einsatz von Instrumenten.“ Und natürlich: „Ärzte sollten von Wattestäbchen abraten.“ Sehr gut auch der Hinweis: „Gelingt die Erstbehandlung nicht, sollte man an einen Kollegen mit mehr Erfahrung überweisen.“ (Anders gesagt: „Wenn du das Zeug aus dem Ohr deines Patienten nicht rauskriegst, dann schick ihn zu jemanden, der mehr Ahnung davon hat.“)
Hörakustiker und Cerumenmanagement
Hast du einen Ohrenschmalzpfropf, dann sind (erfahrene) Ohrenärzte Cerumen Manager erster Wahl; doch in jüngster Vergangenheit wurden die strengen Regeln des Cerrumenmanagements ein wenig gelockert. Bis dahin war Ohrenschmalz sozusagen ausschließlich das Hoheitsgebiet der Ärzte. Während es für Hörakustiker, die ebenfalls täglich in Ohren gucken, sozusagen No-Go-Area blieb. Sie durften das Zeug nicht anrühren. Hatte jemand zu viel davon, so dass eine Hörmessung oder die Anpassung von Hörgeräten nicht möglich waren, hieß es erstmal: „Gehen Sie zur Reinigung zum Ohrenarzt und kommen sie anschließend wieder.“ Bis derjenige wirklich wiederkam, konnte viel Zeit vergehen.
Doch seit 2022 gibt es eine neue Meisterprüfungsverordnung für Hörakustiker; die alte Verordnung war schon 25 Jahre alt, und um die neue fertigzubekommen, hatten die Bundesinnung der Hörakustiker und der Zentralverband des Deutschen Handwerks mehrere Jahre lang diskutiert, formuliert und reformiert, bis der Bundestag das Ganze als Gesetz verabschiedet hat. Und seitdem ist klar: Auch Hörakustikmeisterinnen und -Meister dürfen Cerumen entfernen.
Dass es ausschließlich die Meister sind, ist wichtig. Die Hörakustik gilt als „gefahrengeneigtes Handwerk“; wer hier schlecht arbeitet, kann für andere zu einer ziemlichen Gefahr werden. Deshalb gibt es eine Meisterpflicht; in jedem Hörakustik-Geschäft muss ein Meister sein. Der ist nun auch Cerumen Manager. Das heißt, er kann entscheiden, ob er das Ohrenschmalz schnell entfernen darf, oder ob ein Problem vorliegt, das besser der Arzt angehen sollte – eine Entzündung zum Beispiel oder ein Fremdkörper.
In der Meisterausbildung für Hörakustiker ist Cerumenmanagement inzwischen fester Bestandteil. Wer bereits Meister ist, der kann in der Akademie für Hörakustik in Lübeck Fortbildungen zum Cerumenmanagement belegen. Man lernt verschiedene Verfahren und Geräte kennen und übt Cerumenentfernung. Dafür werden künstliche Köpfe mit Ohrsimulatoren – also mit anatomisch realistischen Ohren – genutzt. Eine Kamera im Inneren der Köpfe zeigt, ob das Cerumen richtig entfernt wurde. Ist das der Fall, erhält man am Ende ein Cerumenmanagement-Zertifikat. Geübt wird übrigens nicht mit Ohrenschmalz, sondern mit Knete.
PS 1: Die Abbildungen zum Beitrag über Cerumenmanangement zeigen einen Kunstkopf mit Ohrsimulator, an dem Cerumen-Entfernung geübt wird. Fotografiert habe ich den beim Kongress der Europäischen Union der Hörakustiker (EUHA) 2022 in Hannover – bei einer Presse-Präsentation zum Thema Cerumenmanagement.
PS 2: Für den Beitrag habe ich eine Ausgabe der Fachzeitschrift „HNO Nachrichten“ vom Mai 2021, einen Artikel auf springer.com sowie einen auf meinhoergeraet.de genutzt.
2 Kommentare. Leave new
Was bekommt der Hörakustiker von der gesetzlichen Krankenkasse für die Cerumenentfernung ?
Hallo Klasmeyer,
musste mich erstmal umhören, bevor ich dir etwas antworte, sorry. Inwieweit die Hörakustiker für die Cerumen-Entfernung auch etwas geltend machen, ist sicherlich individuell. Die Akustiker, mit denen ich mich dazu ausgetauscht habe, nehmen dafür kein extra Geld. Sie sind froh, dass sie ihre Kunden nicht erst wieder zum HNO-Arzt schicken müssen, damit sie sie dann weiter mit Hörgeräten versorgen können. Und die Kunden sind sicherlich auch froh, dass ihnen der zusätzliche Weg zum Ohrenarzt erspart bleibt.
Hoffe, ich konnte damit helfen.
Viele Grüße, Martin