Der Ruf der Ohrtrompete

Noch mehr über Hörrohre, Technik-Geschichte Teil 2
Abbildung einer Hörpfanne

Im letzten Artikel ging’s um Hörrohre, in diesem geht’s noch weiter. Hörrohre dienen zum einen dazu, mehr Schall einzufangen. Und man hat durch das Rohr am Ohr eine Richtwirkung. D. h. man hört mit Hörrohren in die Richtung, aus der man was hören will. Zugleich schützen die Hörrohre ein bisschen vor störenden Geräuschen aus allen anderen Richtungen; es ist eigentlich das gleiche Prinzip wie bei Hörgeräten. Und es funktioniert am besten, wenn der andere direkt ins Hörrohr spricht. Man kann Hörrohre zwar auch nutzen, um über größere Entfernung zu hören. Nur gibt es dann das Problem mit den störenden Geräuschen aus der Umgebung, die von weit her gleichfalls in die Hörrohre finden.

Hörrohre oder Hand auflegen

Natürlich waren die Leute mit dem, was Hörrohre gegen Hörverlust halfen, nicht besonders zufrieden. Und natürlich wollten sie am liebsten wieder natürlich hören – möglichst ohne was am Ohr. In der Bibel hatte das schließlich auch funktioniert:

„Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.“ (Markus 7:31-37)

Illustration zum Artikel „Der Ruf der Ohrtrompete: Noch mehr über Hörrohre“ auf die-hörgräte.de

Finger in die Ohren, ausspucken, die Zunge antippen, seufzen und „Hefata!“ rufen… Dass das helfen könnte, hatte sich schon herumgesprochen, als die Bibel noch gar nicht geschrieben war… Später gingen Leute auf Pilgerfahrt, um das eigene Gehör oder das eines Verwandten wiederzuerlangen. Sie beteten zu Gott und zu Heiligen wie der Heiligen Oranna, von der es hieß, sie könnte Ohrenleiden heilen. Die Leute baten mit Votivgaben, mit Ohren aus Wachs oder Zinn, um Heilung. Und sie vertrauten ihre Ohren Ärzten, Naturheilern, Quacksalbern an…

„Frauwenmilch“ gegen „Harthörigkeit“

Der Arzt Adamus Lonicerus, der eigentlich Adam Lonitzer hieß, veröffentlichte 1577 ein “Kreuterbuch”, in dem sich ein Rezept gegen “Harthörigkeit” findet:  „Wer taub were der nemme Frauwenmilch, die ein Knäblein säugt, auff zehn oder zwölff Wochen vergangen nach deß Kinds Geburt, und tu darzu Hauswurtzsafft, tropf drei oder vier tropffen in die Ohren, und thus offt, das Gehör kompt wiederumpt.“ – Adamus Lonicerus hatte in Marburg neben Philosophie auf Medizin studiert, später war er Stadtphysikus in Frankfurt. Der Übergang zwischen Ärzten, Naturheilern, Quacksalbern war fließend.

Abbildung einer Hörpfanne

Dass man an Wunder glaubt, wenn man eins braucht, gibt’s ja auch heute: Sind die Möglichkeiten der Medizin ausgeschöpft, hofft man auf Alternativen, glaubt an Homöopathie, an Hokuspokus usw. Als es das Cochlea-Implantat noch nicht gab, fuhren Eltern mit ihren tauben Kindern zu Wunder- oder Gebetsheilern nach sonst wo. Und hin und wieder passieren ja tatsächlich „Wunder“. Bei Kindern, die durch eine Meningitis ertauben, soll in sehr, sehr wenigen Fällen das Gehör irgendwann zurückkehren…

Die Pille gegen Schwerhörigkeit gibt’s bis heute nicht. Und damals blieben nur Hörrohre. Der erste, der Hörrohre nicht als „Superlauscher“, sondern als Hilfe bei Schwerhörigkeit beschrieb, soll Francis Bacon gewesen sein (der Philosoph, nicht der Maler). Er nennt die Hörrohre auch Ohrtrompeten.

Zur Hilfe des Gehörs: Hörrohre

Francis Bacon schreibt 1627: „Es soll versucht werden, zur Hilfe des Gehörs (und ich halte es für wahrscheinlich, dass es gelingt), ein Instrument wie einen Tunnel zu machen, dessen schmaler Teil die Größe des Ohrlochs haben mag, und dessen breiteres Ende viel größer ist, wie eine Glocke an den Rändern, und dessen Länge einen halben Fuß oder mehr beträgt. Das schmale Ende soll dicht an das Ohr gehalten werden, und man prüfe, ob ein Geräusch, das man draußen in der Luft hört, nicht deutlicher aus größerer Entfernung gehört wird als ohne dieses Instrument.“

Illustration zum Artikel „Der Ruf der Ohrtrompete: Noch mehr über Hörrohre“ auf die-hörgräte.de

Außerdem notiert er: „Ich habe gehört, dass in Spanien ein Instrument in Gebrauch ist, das man ans Ohr setzt und das den Schwerhörigen etwas hilft.“ – Also war Bacon nicht der erste, der sich Hörrohre als Hörhilfen ausdachte. Irgendwann im 17. Jahrhundert wurden diese ersten mechanischen Hörhilfen erfunden. Etwa ab Anfang des 19. Jahrhundert wurden sie serienmäßig gefertigt.

Hörrohre in Serienfertigung

Ein bekannter Londoner Hörrohrbauer war Frederick Charles Rein, der eigentlich aus Leipzig stammte und dort 1812/13 vermutlich als Friedrich Carl Rein auf die Welt kam. Man weiß nicht viel über ihn. Ab Mitte der 1830er Jahre war er Instrumentenbauer in London. Auf der allerersten Weltausstellung 1851 hat er nicht nur Ohrtrompeten bzw. Hörrohre ausgestellt, sondern auch Klistiere und Aperitifvasen, Milchpumpen hat er auch gebaut; und einen „akustischen Stuhl“ mit Schalltrichtern in den Armlehnen. Manchmal heißt es, dass sei kein akustischer Stuhl gewesen, sondern ein akustischer Thron für König João VI. von Portugal und Brasilien; der König war angeblich schwerhörig. Aber das muss wohl eine Legende sein, weil König João VI. schon tot war, ehe Frederick Charles Rein nach London kam. Aber Rein hat immerhin Hörrohre für den Onkel von Königin Victoria gebaut und mit dem Onkel sogar für sein Geschäft geworben. (Allerdings nicht lange, weil der Onkel kurz darauf ebenfalls starb.)

Frederick Charles Rein hatte später zusammen mit seinem Sohn (Frederick Charles junior) ein Geschäft am Strand. Die Zeitungen nannten sein Geschäft „ein Paradies für Gehörlose“. Und auch Ohrenärzte schätzten Reins Instrumente. Einer schrieb: „Das Nützlichste dieser Klasse von Instrumenten sind die kleinen Hörnchen von Mr. Rein, die durch eine über den Kopf geführte Feder verbunden sind, die dazu dient, sie in den Ohren zu halten.“ (Damit hatte man also Hörrohre für beide Ohren.)

Abbildung einer Hörpfanne

PS 1: Die Fotos für den Beitrag über Hörrohre zeigen eine Hörpfanne, die man auch zusammenschieben kann. Gefunden hab ich die Hörpfanne auf einem Flohmarkt in Amsterdam.

PS 2: Das Hörrohrwissen habe ich quer Beet zusammengesammelt. Einen sehr detaillierten Text zu Frederick Charles Rein, seinen Hörrohren und weiteren Londoner Hörrohrbauern gibt’s hier.


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