Als PR-Berater und Fachjournalist beschäftige ich mich seit fast 25 Jahre immer mit ein- und demselben Thema: Hören. Immer wieder geht’s bei mir ums mehr oder weniger gutes Hören mit und ohne Technik. Dennoch wird es nie langweilig. Denn jeder ist anders, hört anders (gut oder schlecht) und will auch anders bzw. anderes hören und verstehen. Aus diesem „anders“ ergeben sich immer neue Geschichten. Themen, die ich niemals auf dem Schirm hatte, die mir fremd, unwichtig, belanglos oder langweilig erschienen, werden durch ihre Verbindung zum Hören auf einmal spannend. So ging es mir auch bei der Reportage über Tommi und Race Hearing (bzw. über das gute Hören in der „grünen Hölle“), die ich hier in zwei Teilen blogge.
Race Hearing – eine Presse-Einladung und keinerlei Ahnung
Das Ganze begann vor ein paar Jahren mit einer Presse-Einladung: „Herzlich Willkommen am Nürburgring. Das Team des ADAC Nordrhein freut sich, Sie bei der 42. Auflage des ADAC Zurich 24h Rennens als Medienvertreter zu begrüßen. Das Rennwochenende verspricht Hochspannung: 175 Teams gehen an den Start, von denen drei Dutzend in der Top-Klasse der GT3-Boliden antreten. Die Zeichen für ein spannendes Rennwochenende könnten nicht besser sein…“
Ich gestehe, ich habe keine Ahnung von Motorsport. Und als ich einer Einladung zum Nürburgring folge, verstehe ich von dem, was ich vorab im Pressetext lese, nicht viel: Ich weiß nicht, worin sich GT3-Boliden von der SP Pro oder der SP X Klasse unterscheiden. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob die Teams Abt und Phoenix auf Audi fahren oder vielleicht auf Mercedes-Benz.
Zum Glück habe ich Arne an meiner Seite. Der ist nicht nur Audiologie-Fachmann, sondern auch Stammgast beim 24-Stunden-Rennen. Auf der Fahrt von Köln Richtung Nürburgring erklärt er mir, warum dieses Rennen überhaupt nichts zu tun hat mit dem, was ich in Vorbereitung meiner Reise über DTM oder Formel 1 gelesen habe.
24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring – „Das ist Motorsport pur.“
„Das ist Motorsport pur“, so mein Begleiter. „Nur bei diesem Rennen wird nämlich die Grand Prix Strecke inklusive Nordschleife gefahren. 25 Kilometer. Die längste permanente Rennstrecke weltweit. Mehr als 80 Kurven. Wenn Du hier mit dem Auto liegen bleibst, kannst Du nicht mal schnell an die Box. Dazu kommen noch der unterschiedliche Straßenbelag, der Höhenunterschied von 600 Metern und das Eifel-Wetter. Der Ring hat es absolut in sich.“
Die 650 Rennfahrer beim 24-Stunden-Rennen starten in verschiedenen Klassen; es sind Profis und Amateure. – „Manchmal ist sogar ein Opel Manta dabei“, erzählt mir Arne. „Wer eine Lizenz hat, sich anmeldet, zahlt und gewisse Regeln einhält, darf mitfahren. Das Auto ist rund um die Uhr auf der Strecke. Die Fahrer – meist vier in einem Team – wechseln sich ab.“
Wir erreichen den Ring – an den drei Renntagen das Mekka der Autosportfans. In den umliegenden Supermärkten herrscht Hochbetrieb. Die Wiesen und Brachflächen rund um das Motorsport-Areal verwandeln sich in ausgedehnte Park- und Campingplätze. Vor den Zelten wird gegrillt und gechillt. Schon am ersten Trainingstag ziehen Heerschaaren von Besuchern in Richtung Rennstrecke; insgesamt kommen mehr als 200.000.
Unterwegs im Fahrerlager – eine mobile Stadt, die binnen Stunden entsteht
Wir werden erwartet. Tommi, von Beruf Hörakustiker-Meister, verschafft uns Zutritt zum Fahrerlager. Kurze Begrüßung. Dann muss er zurück in die Werkstatt: „Keine Zeit. Heute ist hier die Hölle los…“
Tommis Werkstatt ist das Wohnmobil, das inmitten des Fahrerlagers parkt, und in dem auch wir unsere Schlafsäcke ausrollen werden. RH Race Hearing steht auf der Außenwand des Fahrzeugs – und auf den Werbefahnen, die im rauen Eifelwind flattern.
Motorenlärm in der Luft. Immer neu schwillt er an, bis wieder einige Fahrzeuge den Streckenabschnitt vor uns passieren, um bald darauf hinter der nächsten Kurve zu verschwinden. Vor- und Trainingsläufe. Im Fahrerlager herrscht geschäftiges Treiben.
Das Lager ist wie eine kleine Stadt, die binnen weniger Stunden entstanden ist. Straßen führen durch die Reihen von Caravans und Zelten. Pavillons, in denen sich die Fahrer erholen, VIP-Lounges für Presse und Sponsoren, die Werkstätten der Reifenhersteller. – Auf Zentimeter geparkte Trucks mit den Aufschriften von Pirelli, Michelin oder Goodyear, bis unter die Dächer beladen mit den schwarzen Gummireifen, die in mobilen Werkstätten das gewünschte Profil erhalten – je nach Wetterlage und Team-Strategie.
Motorsport, so erfahre ich, ist nicht zuletzt eine Materialschlacht. In Garagen aus Zeltbahn arbeiten Mechaniker Tag und Nacht, um die Technik zu optimieren oder gar einen Crash-Wagen wieder flott zu bekommen. Wannen mit heißem Motoröl werden behutsam von A nach B getragen. Und die Piloten bereiten sich auf das Rennen vor – z. B. mit einem Besuch bei Race Hearing. Denn nur hier gibt es „die Ohrdinger“.
Tommi von Race Hearing: „Der Motorsport liegt mir im Blut.“
An den zwei Tagen vor dem Start ist für Tommi, den Hörakustiker-Meister, immer am meisten zu tun. Für viele Fahrer ist der Besuch im Wohnmobil von Race Hearing ein Muss. Beim Rennen tragen sie ein Kommunikationssystem, sind permanent in Kontakt mit Box, Teammanager und Rennleitung. Die kleinen Lautsprecher sitzen in Ohrstücken, die ihnen Tommi vor Ort fertigt. Er nimmt Ohrabdrücke, fräst die Schalen und repariert. Die Anpassung der Technik übernimmt eine Firma, die auf die Funksysteme spezialisiert ist. Ihr Caravan steht nebenan.
Endlich doch ein paar Minuten, in denen der Hörfachmann Zeit für meine Fragen hat: Wie wird man als Hörakustiker zu einem etablierten Spezialanbieter für Autorennen?
„Es begann damit“, erzählt er, „dass ich nach der Ausbildung in einem Kölner Fachgeschäft arbeitete, in das oft Rennfahrer kamen, die Ohrpass-Stücke brauchten. Ich fand das spannend. Motorsport hatte mich schon immer begeistert. Wahrscheinlich liegt mir das im Blut. Mein Vater war in seiner Jugend Werksfahrer bei einem Motorradhersteller, und als Kind bin ich mit meinen Eltern zu den Rennen.“
Aus der Faszination entstand eine Idee, die den Hörakustiker nicht mehr losließ: Warum sollte es nicht möglich sein, den Rennfahrern ihre Ohrstücke gleich an der Strecke zu fertigen? Der passionierte Motorsportfan versuchte es einfach.
„Als ich vor Jahren mit der Vor-Ort-Betreuung begann, war es ein Hobby, später ein Nebenjob, den ich neben meiner Arbeit als Filialleiter machte. Schließlich bin ich ganz aus der Hörakustik ausgestiegen. Ich bin selbständig, mache nur noch die Rennen und als zweites Standbein Industriegehörschutz. Einen Laden habe ich nicht. Ich bin immer mobil, auch wenn ich zu den Industrieunternehmen fahre. Die betreue ich u. a. in einem Verbund mit Arbeitssicherheitsfirmen.“
Ob Langstreckenmeisterschaft oder Procar-Serie – Race Hearing ist immer dabei
Mit seiner Spezialisierung auf Rennveranstaltungen ist der Hörfachmann der vermutlich einzige Anbieter in ganz Deutschland. VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring, ADAC GT Masters, 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps, ADAC-Procar-Serie… – bei etwa 30 Rennveranstaltungen ist Tommi mit Race Hearing pro Saison vor Ort. Seine Hauptklientel sind die Werksfahrer, Motorsportler der Teams von Porsche, Audi, Ferrari; viele klangvolle Namen. Die Fahrer vertrauen ihm. Um dieses Vertrauen zu bekommen, brauchte Tommi einen langen Atem.
„Als ich die ersten vier oder fünf Mal bei einer Rennveranstaltung war, hatte ich kaum was zu tun. So richtig gelaufen ist das erst nach einem Jahr. Die Leute brauchen das Gefühl, dass sie auf Dich zählen können. Also musst Du immer da sein – von Anfang März bis Mitte Oktober, die ganze Saison.“
Bei den großen Rennen in Deutschland und Österreich, in Belgien und den Niederlanden ist Race Hearing immer mit dabei. – „Meine Lieblingsstrecke ist der Nürburgring. Aber mein Lieblingsrennen ist Spa. Die Atmosphäre ist toll. In Spa kann man vom Fahrerlager aus die gesamte Strecke überschauen. Und nirgendwo sonst werden die Fahrer so gefordert.“
„Bei Otoplastiken für einen Rennhelm gibt es ganz andere Anforderungen.“
Wie ist es eigentlich mit dem handwerklichen Know-how? Gibt es Unterschiede zur Fertigung von Im-Ohr-Hörgeräten oder Pass-Stücken? – „Durchaus. Wenn man ein Ohrpassstück für ein Hörgerät fräst, dann muss das gut aussehen und komfortabel im Ohr sitzen. Bei einer Otoplastik, die unter einem Rennhelm getragen wird, sind die Anforderungen ganz andere. Der Helm sitzt extrem eng. Der Druck auf die Ohren ist deutlich größer als etwa bei einem normalen Motorradhelm. Die Art, wie man fräsen muss, ist deshalb eine völlig andere. Um herauszubekommen, wie das funktioniert, musste ich einiges Lehrgeld zahlen. Ich habe mir angehört, was die Fahrer wollen, habe die Fertigung Schritt für Schritt optimiert.“
Neben der Qualität ist Schnelligkeit entscheidend: „Natürlich könnte ich die Sachen auch im Labor machen. Aber das wäre viel zu umständlich. Hier kommen die Kunden morgens. Nach anderthalb Stunden haben sie ihre Systeme. Sie fahren damit ihre Trainingsrunden und merken, ob alles gut sitzt. Bei Problemen können sie sofort wiederkommen, und ich behebe das.“
PS 1: Teil 2 der Reportage über Tommi und Race Hearing gibt’s demnächst. Race Hearing findest du übrigens hier.
PS 2: Die Fotos zum Beitrag über Race Hearing habe ich im Museum der Rennstrecke von Spa-Francorchamps in der Abbaye de Stavelot in Belgien aufgenommen.