Lernen in Lübeck

Zu Besuch auf dem Campus Hörakustik, Ausbildungsserie Teil 4
Illustration zum vierten Teil einer Artikelserie über die Ausbildung zum Hörakustiker

Campus Hörakustik? – Im vorangegangenen dritten Teil unserer Artikel-Serie zum Thema „Hörakustiker werden“ hatten wir die Akademie für Hörakustik in Lübeck vorgestellt – und damit jenen Ort, an dem vermutlich jeder deutsche Hörakustiker und jede deutsche Hörakustikerin mal gelernt hat. Bleiben wir noch ein bisschen auf dem Campus Hörakustik. Was lernt man dort? Wie ist es dort sonst so? Darum geht es jetzt.

Von der Theorie zur Praxis

Um das hier berichten zu können, war ich selbst zu Besuch auf dem Campus Hörakustik. Und ich habe Tessa und Max gefragt, die ihre Ausbildung bei „Hörakustik Mustermann“ sowie im Blockunterricht in Lübeck machen. Diesmal beginnt Max:

„Also, die Ausbildung dauert ja drei Jahre. Und in dieser Zeit ist man insgesamt acht Mal in Lübeck, jedes Mal ungefähr vier Wochen lang, manchmal sind es auch drei oder fünf Wochen. In dieser Zeit ist man in einer Klasse mit 25 bis 30 Leuten. Man lebt auf dem Campus im Internat und man bekommt dort alles beigebracht, was man im Geschäft eher nicht lernt – den genauen Aufbau des Ohres, wie das Ohr funktioniert, was bei einer Schwerhörigkeit vielleicht nicht mehr funktionstüchtig ist, Audiologie, Akustik, Grundlagen für die Anpassung der Hörgeräte, Hör-Messungen, Hörgeräte-Technik, Psychologie, Marketing…“

„Eigenlicht bekommt man die ganze Theorie zu dem, was man praktisch im Fachgeschäft lernt“, ergänzt Tessa. „Und es gibt auch die so genannte überbetriebliche Lehrlingsunterweisung. Das ist dann wieder ganz praktisch.“

Handwerk von der Pike auf

In der Unterweisung wird das trainiert, was jeder Hörakustiker können soll – selbst wenn es im einen oder anderen Hörakustikgeschäft nicht so oft geübt wird.

Foto vom Campus Hörakustik in Lübeck

Man lernt zum Beispiel, wie man die winzigen Ohrpass-Stücke so mit einer Fräse bearbeitet, dass sie perfekt im Ohr sitzen. Oder man lernt, wie sich die Ohrstücke neuerdings mit 3-D-Drucker fertigen lassen. So einen Drucker gibt es noch nicht in jedem Geschäft. Aber auf dem Campus Hörakustik gibt es ihn natürlich. Die Ausstattung ist hier immer vom Feinsten. Und beigebracht bekommt man Vieles von erfahrenen Hörakustiker-Meistern und -Meisterinnen, die sonst selbst im Geschäft arbeiten. Die Handwerker-Profis verraten dem Nachwuchs ihre Tricks und Kniffe.

Tests mit Hörgeräte-Test-Senioren

Ein wichtiger Bereich sind die Hör-Messung (oder auch Audiometrie) sowie die Anpassung der Hörgeräte. Ganz am Anfang messen die Azubis ihre Ohren noch gegenseitig. Weil die meisten Azubis jedoch gut hören, wird das schnell langweilig. Es kommt eben immer nur raus, dass sie gut hören… Viel interessanter ist es, wenn jemand nicht gut hört. Denn jeder schwerhörige Mensch hört auf seine ganz persönliche Art nicht gut. Bei Messungen gibt es somit ganz unterschiedliche Ergebnisse.

Illustration zum vierten Teil einer Artikelserie über die Ausbildung zum Hörakustiker

Beim Campus Hörakustik gibt es deshalb etwa 80 „Hörgeräte-Test-Senioren“ bzw. Probandinnen und Probanden, die wirklich schwerhörig sind und regelmäßig kommen, um sich von Azubis ihre Ohren messen, sich beraten und Hörgeräte anpassen lassen. Das üben die Azubis dann zu zweit oder zu dritt, immer mit einem Probanden und in einer eigenen Anpass-Kabine.

Die Probanden machen das sehr gerne, weil es den jungen Hörakustikern hilft; außerdem gibt es in den Pausen Kaffee und belegte Brötchen und noch ein bisschen Geld. Zum Üben stehen jede Menge Kabinen bereit, jede hat einen anderen Namen und ist passend gestaltet. Kabine „Sonnenblume“ (die ich hier mal fotografiert habe) ist zum Beispiel gelb-orange, Kabine „Provence“ violett, Kabine „Rouge“ lasziv rot usw. Und in jeder Kabine stehen zum Üben zwei Audiometer, zwei Messboxen, Kopfhörer, Free-Fit, ACAM, Computer, Flachbildschirm… – Was das alles ist bzw. wozu man das braucht, ist hier nicht so wichtig. Auf jeden Fall ist die Ausstattung top. Man hat alle Möglichkeit, genau zu messen, wie schwerhörig ein Scherhöriger ist.

Foto vom Campus Hörakustik in Lübeck

Anschließend müssen die Azubis ihren Test-Kunden dann beraten – passend zu dem, was sie gemessen haben und was er sich sonst noch so wünscht. Es ist ein bisschen wie Kaufmannsladen spielen, nur dass die Kunden Vollprofis sind und genau Bescheid wissen, und dass die Produkte, die man empfehlen soll, höchst komplex sind. Insgesamt gibt es nämlich um die 1.000 Hörgeräte zur Auswahl. Und wo, wenn nicht auf dem Campus Hörakustik, gäbe es die 1.000 Hörgeräte auch tatsächlich, damit man üben kann, sich zwischen ihnen zu entscheiden?!

Die Azubis können also aus einer riesigen Zahl Hörgeräte eins (bzw. ein Paar) auswählen, um es für den Testkunden zu programmieren. Auch für diese Auswahl muss man sich auskennen. Zum Üben werden meist teurere oder ganz teure Hörgeräte genommen, weil man bei denen am meisten einstellen kann. Wieder kommt jede Menge Technik zum Einsatz. Über eine Anlage wird dem Testkunden zum Beispiel vorgespielt, er wäre im Restaurant oder auf einer lauten Straße. Der Kunden soll sagen, wie dies oder jenes klingt, was er versteht oder nicht usw. Alles wird genauso eingestellt wie im Geschäft. Nur dass der Kunde die Hörgeräte am Ende nicht mitnehmen darf.

Kaputte Hörgeräte verstehen

Ein weiteres wichtiges Training ist Hörgeräte reparieren bzw. herausfinden, warum ein Hörgerät kaputt ist. Dieses Fehlerbestimmen wird auf dem Campus Hörakustik vor allem im Multifunktionsraum geübt. Man hört in die winzigen Hörgeräte rein, hört, wo es rauscht, raschelt, …, und muss herausfinden, woran das liegen könnte. Damit das geübt werden kann, werden zuerst einmal ungefähr hundert Hörgeräte bestellt und anschließend kaputt gemacht. Die dürfen natürlich nicht so aussehen, als hätte der Hund draufgebissen. Wenn das passiert – und es passiert gar nicht so selten, dann lässt sich nämlich nichts mehr reparieren…

Illustration zum vierten Teil einer Artikelserie über die Ausbildung zum Hörakustiker

Viel schwieriger sind natürlich versteckte Fehler. Die suchen die Azubis dann gemeinsam. Als Hilfestellung bekommen sie immer ein Hörgerät dazu, das nicht kaputt ist – damit sie vergleichen können. Sie müssen natürlich auch wissen, was zu tun ist, wenn sie den Fehler gefunden haben. Manchmal muss nur was ausgetauscht werden, manchmal muss man das Hörgerät erst an den Hersteller schicken usw.

Campus Hörakustik – nicht nur lernen

Die meisten Leute lernen aber nicht nur auf dem Campusgelände, sie wohnen auch da. Und die meisten sind sehr jung. Ein paar Ältere gibt es auch, die den Beruf in einer Umschulung lernen. Aber das durchschnittliche Alter der Azubis liegt bei 20 Jahren. 61 Prozent der Azubis ist weiblich; und 50 Prozent haben Abitur oder Fachhochschulreife. In den Unterkünften gibt es meist Zimmer für zwei Azubis. Die Zimmer sehen so aus wie auf dem Foto. Und man darf sich auch wünschen, mit wem man sein Zimmer teilen will.

Foto vom Campus Hörakustik in Lübeck

„Wenn so viele junge Leute zusammen sind, lernt man natürlich nicht immer“, meint Max. „Es ist auch locker. Man macht was zusammen, abends oder am Wochenende. Man hat auch eine Menge Spaß. Und Lübeck ist auch eine tolle Stadt. Es heißt immer, in Lübeck lernt man da, wo andere Urlaub machen.“

„Das stimmt wirklich“, bestätigt Tessa. „Man ist nicht weit vom Meer. Es gibt Freizeitangebote, Sport usw. Die Atmosphäre ist cool. Und man lernt auch sonst viele Leute kennen, die aus allen möglichen Teilen Deutschlands kommen, und tauscht sich viel aus. Es gibt so ein Gefühl, dass alle irgendwie zusammengehören.“

Illustration zum vierten Teil einer Artikelserie über die Ausbildung zum Hörakustiker

PS1: Einen Eindruck vom Beruf des Hörakustikers und vom Campus Hörakustik bekommst du in einem kleinen YouTube-Film.

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PS2: Die Fotos zum Beitrag über dem Campus Hörakustik habe ich bei meinem Besuch in Lübeck gemacht. Sie zeigen: den Anpassraum „Sonnenblume“, den Multifunktionsraum, einen Zettel mit Warnhinweis, einen Schrank für die vielen Hörgeräte, eine Azubi-Unterkunft und ein Bett.


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