Gehirne sind schwierig. Man braucht sie, um die Welt zu verstehen, und das gelingt mehr oder weniger. Dass man auch die Gehirne selbst nur mittels Gehirn verstehen kann (und das nur mehr oder weniger), macht es irgendwie noch komplizierter. (Was, wenn sich unsere Gehirne weigern, von sich selbst verstanden zu werden?) Welcher Zusammenhang zwischen Hören und Gehirnen besteht, hatten wir hier schon erklärt. Nun kommt noch Musik dazu. Denn in dieser Artikel-Serie geht es um Musik im Kopf (oder um die neuronale Verarbeitung von Musik, aber das erkläre ich noch).
Musik und Gehirn
Professor Dr. Eckart Altenmüller aus Hannover ist Arzt und Musiker, und er forscht seit Jahren zu diesem Thema. Er sagt: „Musik hören, sich zur Musik zu synchronisieren und Musik zu machen, gehören mit zu den kompliziertesten menschlichen Leistungen … vielleicht sind es sogar die einzigen Aktivitäten, bei denen das gesamte Gehirn beteiligt werden kann.“
Musik im Kopf ist also ganz besonders kompliziert. Wie kompliziert, hängt vom einzelnen ab. Ein musikalisches Gehirn hat nämlich jeder. Doch wie erfahren es im Umgang mit Musik ist, ist sehr verschieden. Die eine hört schon als Kind gerne Mozart und spielt gerne Geige. Der andere musste als Kind immer Beethoven hören und Klavier üben – und hat es gehasst. Die eine hört gerne viel Rhythmus, der andere hört gerne Melodie und der dritte kann gar keine Melodie hören, aber den Rhythmus spüren (zum Beispiel im Bauch).
Natürlich hört man eher die Musik, die man mag. Und man mag, was man kennt bzw. kennenlernen kann. (In der Schule lernt man das Musikhören nicht unbedingt. Oft lernt man dort nur, dass Beethoven von 1770 bis 1827 gelebt hat und taub war…) Jedes Gehirn verarbeitet Musik anders. Ist Musik im Kopf, stellen sich unterschiedliche Vernetzungen her – zwischen den kleinen Gehirnzellen, den Neuronen, und zwischen den verschiedenen Gehirnteilen.
Hinzu kommt, dass Musik so verschieden ist. Und dass wir sie zum ersten Mal hören oder schon kennen. Ganz besonders kompliziert ist es nämlich zu erklären, warum eine Musik, die wir zum ersten Mal hören, im Gehirn extrem stark wirken kann.
Sprache und Musik im Kopf
Man sagt, dass Musik eine universelle Sprache ohne Worte sein kann. Deshalb gibt es überall auf der Welt Leute, die gerne Mozart hören. Andererseits gibt es auch Sprachen, die viele Leute gerne hören, obwohl sie sie gar nicht verstehen. Die hören sie dann auch wie Musik.
Musik ist nämlich nicht so verschieden von Sprache bzw. ist Sprache so ähnlich wie Musik. Beide haben einen gemeinsamen Ursprung: in den Lauten.
Können Tiere sprechen? Oder singen sie? Der Gesang einer Nachtigall ist zugleich ihre Sprache. In der wird alles gesagt, was im Leben von Nachtigallen wichtig ist. In vielen Gegenden der Welt sprechen Menschen tonale Sprachen (bzw. Tonsprachen). Hier geht die Änderung der Tonhöhe oder des Tonverlaufs in einer Silbe meist mit der Änderung der Bedeutung des Wortes einher. (Solche Sprachen z. B. mit einem Cochlea-Implantat zu verstehen, ist eine besondere Herausforderung.)
Reptiliengehirn und Säugetiergehirn
Die Verbindung von Sprache und Musik reicht weit in die Entstehungsgeschichte von Menschen (und Gehirnen) zurück. Und sie hängt deshalb auch mit einem Teil des Gehirns zusammen, der (entwicklungsgeschichtlich gesehen) sehr früh da war – mit dem Limbischen System.
Älter als das Limbische System ist nur noch der Hirnstamm, der auch Reptiliengehirn genannt wird. Das Reptiliengehirn sorgt dafür, dass wir überhaupt leben – also dass wir atmen, dass unser Herz schlägt, dass wir essen und ausscheiden.
Das Limbische System heißt auch Säugetiergehirn. Auch in dem geht es noch nicht um Denken. Aber es geht um Empfindungen, die offensichtlich nicht nur Menschen haben: Angst, Liebe, Lust, Sorge um die Kinder, Lernen durch Lust am Spielen und am Nachmachen. Im Limbischen System werden die Emotionen verarbeitet.
Musik im Kopf mit Technik
In Bezug auf Hörtechnik hört man oft, dass man Sprache mit einem Hörgerät oder mit einem Hörimplantat leichter verstehen kann als Musik – auch, weil diese Technik ja vor allem für Sprache entwickelt wurde. Aber vielleicht stimmt das nur zum Teil.
Erwachsene Menschen, die ihr Gehör verlieren und das Hören dann mit einem Hörimplantat neu lernen, hören häufig (aber keinesfalls immer) nicht so gerne Musik. Vor allem, wenn sie früher sehr melodische Musik (z. B. Klassik) gehört haben, kann es schwierig sein; wobei CI-Träger auch berichten, wie sie ihr Musikhören durch Training verbessern konnten. Kinder, die von Anfang an mit einem CI hören, haben meist keine Schwierigkeiten, Freude an Musik zu erleben. Viele singen, tanzen oder spielen ein Instrument.
Wenn getestet wird, wie jemand mit Technik hört, dann wird vor allem getestet, wie man Worte oder Sätze versteht – in Ruhe oder wenn es laut ist. Die Technik konzentriert sich auf die Bereiche (bzw. Frequenzen) des Schalls, in denen man Worte versteht. Frage ist aber vielleicht, inwieweit die Technik auch schon das erfasst, was nicht pure Bedeutung eines Wortes ist. Man sagt ja: „Der Ton macht die Musik.“ Und man meint damit eigentlich, dass es nicht so entscheidend ist, was man sagt, sondern wie man es sagt. Wie schon an anderer Stelle beschrieben, wird das in den üblichen Hörtests jedoch nicht betrachtet.
PS: Die Fotos zum Beitrag über Musik im Kopf zeigen Gehirne: eines von der Brick Lane in London, drei aus dem medizinhistorischen Museum in Kopenhagen und eines von einem Schallplatten-Laden in Amsterdam.