Der Nachtigall Lied

Über den Gesang der Nachtigall, Liebe, Schmerz usw.
Wald am Müggelsee in Berlin Köpenick

Vor langer Zeit habe ich hier über Hören und Nichthören von Vogelgesang und über eine Zwitscher-App gebloggt. Jetzt ist gerade Corona-Zeit. Das ganze Leben läuft ruhiger, und man kommt eher auf Hör-Themen, die in der Nähe liegen bzw. sitzen. Das heutige Thema sitzt – und zwar zwei Straßen weiter versteckt in einem Gebüsch. Ich konnte es noch nicht mal sehen. Aber hören kann man das Thema: es geht um den Gesang der Nachtigall.

Nacht und Nachtigall

Früher kannten sich die Leute mit vielen unmittelbaren Dingen besser aus. Sie wussten zum Beispiel, welcher Vogel wie aussieht und welcher Gesang zu ihm gehört. Überhaupt konnten sie ihre Welt hörend besser erfassen, weil jedes Geräusch etwas bedeutete. Shakespeare zum Beispiel war das völlig klar: „Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang; Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort…“ Für Romeo und Julia funktioniert Vogelgesang wie eine Uhr (an die man sich hält oder die man zurückdrehen möchte). Wenn die Nachtigall singt, dann muss es mitten in der Nacht sein. Nachts singt eben nur die Nachtigall.

Hörgräte mit Nachtigall

Der Gesang der Nachtigall beginnt etwa abends um elf. Und er hält an bis in die Morgendämmerung. Die beste Nachtigallenphase ist zwischen zwei und vier. Es singen nur die Nachtigallen-Männchen, es geht natürlich um Weibchen, und Nachtigallen singen so vielfältig, wie kein anderer Singvogel in Europa – mit 120 bis 260 verschiedenen Strophen, von denen in einer Stunde bis zu 400 gesungen werden.

Nachtigallen-Strophen beginnen meist leise. Jede ist zwei bis vier Sekunden lang. Oft wird dabei der Gesang anderer Vögel nachgeahmt. Vieles klingt schön und melodiös, manches auch ratternd und knatternd bzw. schlagend.

Wald am Müggelsee in Berlin Köpenick

Singender, fliegender Schokoriegel

Besonders spektakulär sehen Nachtigallen nicht gerade aus. Sie sind etwa so groß wie Spatzen. Mit denen sind sie auch verwandt. Brauner Rücken, Bauch grau, um die Augen gelbe Ringe, auch der Schnabel hat innen einen Rand, der gelb leuchtet. Wenn sie am Boden unterwegs sind, dann hüpfen sie, und dabei hebt und senkt sich ihr Schwanz. Sie wiegen so viel wie ein kleiner Schokoriegel (also diese Sorte, in der manchmal Fußballspieler zum Aufkleben drin sind…).

Wenn ich mir vorstelle, dass etwas, was so groß ist wie ein Schokoriegel, 260 Strophen singen kann und jährlich einmal ca. 5.500 Kilometer ganz allein über das Mittelmeer und die Sahara und dann die ganze Strecke wieder zurück fliegt… Natur ist schon großartig.

Waldstück mit Nachtigallen

Die Nachtigall muss bis nach Ghana, Nigeria, zur Elfenbeinküste usw. Sie fliegt nachts und orientiert sich am Polarstern, der immer hinter ihr sein muss. Ihre Augen sind so, dass sie den Stern auch beim Fliegen sehen kann.

Lange Zeit war überhaupt nicht klar, wie der Weg der Nachtigallen genau verläuft. Das wird erst jetzt mit kleinen Sendern erforscht.

Den Gesang der Nachtigall erforschen

Der Gesang wird ebenfalls erforscht – in der Bioakustik und mit Peilsendern. So wurde zum Beispiel herausgefunden, dass die Nachtigallen ihren Gesang üben, wenn sie in Afrika sind. Wenn die ganz jungen Nachtigall-Männchen üben, sollen die alten immer wegfliegen, weil das so schauerlich klingt. Und am Schnarren können die Nachtigall-Weibchen erkennen, wie alt, schwer und gesund das Männchen ist. Sie sollen dann anders hüpfen und den Schwanz anders heben. Und sie entscheiden sich eher für ältere, erfahrene Männchen – sagen die Forscher.

Wald am Müggelsee in Berlin Köpenick

Die Untersuchungen mit den Peilsendern zeigen aber auch, dass ein Nachtigall-Weibchen erstmal mehrere Männchen besucht, bevor es sich entscheidet. Hat es sich entschieden, singt das auserwählte Männchen nachts nicht mehr. Das ist meist etwa Mitte Juni der Fall. Gesungen wird dann eher am Morgen oder auch am Tag – und zwar um das eigene Revier zu verteidigen. Das haben die Forscher herausgefunden, indem sie den Nachtigallen andere Nachtigallgesänge vorgespielt haben.

Nachtigallen brüten übrigens nicht in Bäumen, sondern dicht über dem Boden, in Geäst, Laub, Brennnesseln usw. Deshalb mögen sie Waldränder, verlassene Grundstücke, Friedhöfe, Büsche in Parks…

Gesang der Nachtigall und die Künstler

Dass Künstler*innen, vor allem Dichter und Komponisten, schon immer verrückt nach Nachtigallen waren, hat natürlich mit deren Gesang zu tun. In dem kommt ja auch eine Menge zusammen: Frühling, Liebe, Sehnsucht, Schmerz, Nacht… Wenn Nachtigallen wüssten, was sich Menschen so über ihren Gesang zusammenreimen…

Wald am Müggelsee in Berlin Köpenick

„Dir flüsterts leise – Nachtigall! dir allein, Dir, süße Tränenweckerin!“ – Das hat Friedrich Hölderlin gedichtet. Es gibt zich Nachtigallen-Gedichte von allen möglichen Dichtern und Dichterinnen. Ludwig van Beethoven hat bei seiner 6. Sinfonie an Nachtigallen gedacht. Johann Strauß hat eine „Nachtigallen-Polka“ komponiert. Von Igor Strawinsky gibt es die Oper „Die Nachtigall“ nach dem Märchen „Des Kaisers Nachtigall“ von Hans Christian Andersen: Der Kaiser von China findet eine Nachtigall und liebt ihren Gesang. Dann jedoch schenkt ihm der Kaiser von Japan eine künstliche Nachtigall, die ihm noch besser gefällt. Also fliegt die echte Nachtigall weg. Und dann geht die künstliche Nachtigall kaputt, während die echte dem Kaiser das Leben rettet…

Waldstück mit Nachtigallen

Im Märchen „Jorinde und Joringel“ bei den Brüdern Grimm wird Jorinde in eine Nachtigall verwandelt. Ein anderes berühmtes Nachtigallen-Märchen ist von Oscar Wild: Die Nachtigall und die Rose. Das Märchen handelt von einem unglücklich verliebten Studenten, dem eine Nachtigall helfen will – und zwar mit ihrem Herzblut, das eine Rose rot färbt, während sie singt. Sie gibt ihr Leben für die Liebe, aber das Mädchen, das der Student liebt, will lieber einen anderen, der ihr Schmuck schenkt, und der Student wirft die Rose schließlich weg und studiert weiter…

Nachtigallen in Berlin

In Deutschland brüten ungefähr 95.000 Nachtigallen-Paare – das ist ein Viertel bis ein Zehntel der Nachtigallen in Europa. Besonders viele Nachtigallen gibt es in Ostdeutschland und Berlin soll wie die heimliche Hauptstadt der Nachtigallen sein. Das nicht nur wegen „Nachtigall, ick hör dir trapsen“ (was auch auf ein Gedicht zurückgehen soll – aus „Des Knaben Wunderhorn“).

Waldstück mit Nachtigallen

Es gibt sogar ein Berliner Forschungsprojekt Forschungsfall Nachtigall am Naturkundemuseum. Bei dem werden Tonaufnahmen vom Gesang der Nachtigall aus Deutschland und aller Welt gesammelt – auf einer Nachtigallenkarte. Die Nachtigall, die bei mir um die Ecke singt, ist inzwischen auch dabei. Und in nachfolgendem Video kannst du sie hören.

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PS: Die Fotos zum Beitrag über den Gesang der Nachtigall zeigen die Hörgräte mit einer Nachtigall sowie den Wald am Müggelsee in Berlin-Köpenick. Dort leben etliche Nachtigallen, die jetzt früh am Morgen singen. Ich habe immer fotografiert, wenn ich eine gehört haben. Sie zu sehen, ist so eine Sache…


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