Elektrisch leben

Von Körpern und Elektrizität, Technik-Geschichte Teil 3
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Elektrizität ist heute so selbstverständlich, dass einem jeder Stromausfall wie eine Reise in eine fremde, sehr entfernte Welt erscheint: Plötzlich ist das halbe Leben abgeschaltet; W-Lan ist weg, Licht auch usw.

Dabei gibt es Häuser mit Strom nicht so viel länger als es W-Lan gibt. Besseres Hören mit Strom gibt es auch nicht viel länger. Vorher gab es Hörrohre, Hörpfannen, Hörsessel und all die anderen Hilfen, über die ich hier schon geschrieben hatte. Und man hatte schon früh entdeckt, dass Schall nicht nur durch die Luft (im Gehörgang) in den menschlichen Körper kommt, sondern auch über den Knochen. Dass Schall etwa über die Zähne bis ins Innenohr kommt, hatte der italienische Arzt Girolamo Cardano bereits 1550 entdeckt. (Darüber hatte ich im Artikel über Einsteins Hörgerät geschrieben.) Auch Beethoven nutzte Schallleitung über die Zähne: Er klemmte seinen Taktstock an den Flügel und biss auf den Stock.

Wer sich’s leisten konnte: Elektrizität

Lassen wir Hörrohre und Taktstöcke links liegen. Hier geht’s um die Frage, wie Elektrizität und Körper zusammenkamen. Auch darüber hatte ich hier schon geschrieben: Alessandro Volta, der Erfinder der Batterie, setzte sein Gehör unter Strom und vernahm eine „blubbernde Suppe“; das gilt heute als die Sternstunde für das Cochlea-Implantat.

Bilder aus der Anfangszeit der Elektrizität, die Menschen vor Strom im Körper warnen

Abgesehen von Volta mussten die allermeisten Leute noch 100 Jahre warten, um – abgesehen von Blitzeinschlägen – in Kontakt mit Elektrizität zu kommen. In Deutschland begann die Elektrifizierung Ende des 19. Jahrhunderts in Städten wie München, Hamburg und Berlin. Um 1890 gab es die ersten Elektrizitätswerke. Elektrizität wurde zum Inbegriff von Modernität und Fortschritt. Doch Strom hatte anfangs nur, wer es sich leisten konnte: reiche Leute, Fabriken, Geschäfte. Dann gabs elektrische Straßenbeleuchtung.

Elektrisches Licht war damals nicht normal, sondern phantastisch. (Darüber habe ich hier geschrieben.) Bei Weltausstellungen und Gewerbeschauen feierte man das neue Licht. Die Leute standen Schlange, um es zu sehen. Und in Kunstwerken wurde Strom – den man ja eigentlich nicht sehen kann – durch Fackeln oder Blitze dargestellt. (Blitze nimmt man ja heute noch, um zu warnen, dass irgendwo Strom drin ist.) Doch wie alles Neue wurde auch die Elektrizität nicht nur positiv gesehen. Die einen waren euphorisch, andere waren skeptisch oder machten sich lustig. Es war längst nicht klar, ob Elektrizität ein Erfolg wird. Gasleitungen hingegen gab es in den Großstädten überall.

Frankenstein und Stromunfälle

Erst nach und nach, im Laufe von 40 bis 50 Jahren, bekamen auch normale Leute Strom ab. In Berlin erhielten die meisten bis Ende der 1920er Jahre Zugang zu Elektrizität. 100 Jahre früher hatte man noch geglaubt, mit Strom Krankheiten heilen zu können. Strom schien anfangs gleichbedeutend mit Nerven- bzw. Lebenskraft. Es gab aufsehenerregende und auch grauenvolle Versuche. Man hat zum Beispiel versucht, taube Menschen mit Elektrizität „zu heilen“. Und Mary Shelley dachte sich Victor Frankenstein aus, der einen künstlichen Menschen mit Elektrizität zum Leben erweckt…

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Als die normalen (natürlichen) Menschen die Elektrizität bekamen, hatten sich der Strom-Wunderglaube und gewisse Heilsversprechen schon erledigt. Strom brachte Licht, das man nicht anzünden musste. Statt Gas- oder Öllampen gab es nun Glühbirnen. Später kamen Bügeleisen, Staubsauger, Radios… Es begann die Zeit der elektrischen Haushaltsgeräte. Und Ärzte bekamen Patienten mit neuartigen Verletzungen – verursacht durch Stromunfälle. Anfangs wussten auch Ärzte noch nicht, was man da machen soll.

Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft

In Berlin, Deutschland und überhaupt spielte die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) eine entscheidende Rolle. Gegründet worden war sie ein paar Jahre vor Anfang der Elektrifizierung (1883). Strom erzeugen, übertragen, nutzen – damit kannte sich die AEG aus. Man baute Elektrizitätswerke und Stromnetze, Elektroinstallationen, Elektrogeräte, Fabriken. Man elektrifizierte die Industrie, den Transport und dann auch die Haushalte. Die AEG war schon bald eines der weltweit führenden Elektrotechnikunternehmen.

Bilder aus der Anfangszeit der Elektrizität, die Menschen vor Strom im Körper warnen

Ihren Hauptsitz hatte die AEG in Berlin. Es gab verschiedene Standorte, die wechselten oder im Krieg zerstört wurden – Hohenzollerndamm, Gesundbrunnen, Moabit, Mitte. Und es gab die AEG in Oberschöneweide (was bei mir um die Ecke ist). Dort wurden vor hundert Jahren auch Elektroautos gebaut, außerdem viele weitere Elektrogeräte. Oberschöneweide wurde damals „Elektropolis“ genannt. Später hieß Oberschöneweide auch Oberschweineöde, weil die Gegend ziemlich trostlos war. Aber das ist eine andere Geschichte. Und hier ging es nur darum, einen Übergang zu schaffen: vom mechanischen Besserhören in den letzten Artikeln hin zum nun folgenden besseren Hören mit Elektrizität.

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PS: Die Bilder aus der Anfangszeit der Elektrizität, die ich im Wiener Technikmuseum gefunden habe, warnen Menschen vor Strom im Körper.

Bilder aus der Anfangszeit der Elektrizität, die Menschen vor Strom im Körper warnen

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