Ohrenschmalz ist nur allzu menschlich, Ekel auch. Überall auf der Welt haben Menschen Zeugs in den Ohren (wobei es da genetisch bedingte Unterschiede zwischen einerseits Europäern und Afrikanern, andererseits Ostasiaten gibt, die hier aber zu weit führen). Und überall auf der Welt ekeln sich Menschen – insbesondere vor diversen Substanzen, die menschliche oder tierische Körper von sich geben, außerdem vor Lebensmitteln, denen man nicht über den Weg traut, vor irgendwelchem schmierig-schmatzenden Schleim und Schnodder, der nicht gut aussieht, sonderbar riecht, sich komisch anfühlt, merkwürdig schmeckt, falls man ihn überhaupt in den Mund… Schon geht da etwas im Gehirn los; ein Alarmsignal: „Iss das bloß nicht!“ – „Fass das lieber nicht an!“ – „Stell es dir besser gar nicht erst vor!“ – Mitunter schüttelt man sich schon, wenn man nur an etwas Ekelerregendes denkt.
Ekel und Ekelfreuden
Ekelhaft kann natürlich auch sein, wie sich Menschen zu anderen verhalten. Wer ein richtiges Ekel bzw. was ekelerregend ist, lernt man mit der Zeit. Ekel an sich ist jedoch angeboren. Schon kleine Kinder ekeln sich. Ekel ist ein Schutzmechanismus, der uns zum Beispiel daran hindern kann, Dinge zu essen, die uns nicht bekommen würden. Allerdings funktioniert dieser Schutz nicht ganz zuverlässig. Ekel kann täuschen. Man kann sich auch vor gesunden Dingen ekeln; vor eingelegter Roter Beete zum Beispiel. Andererseits kann uns das, was uns ekelt, zugleich faszinieren, unterhalten, thrillen. Sonst gäbe es keine erfolgreichen Filme, die uns klaffende Wunden und vorquellende Gedärme zeigen, keine Trash-TV-Formate, in denen C-Promis Ziegen-Ani und Bullen-Hoden schlucken, und auch keine „Bertie Bott’s Beans“ in den Geschmacksrichtungen Nasenpopel, Erbrochenes oder eben: Ohrenschmalz.
Auch die Wortbildung „Ohrenschmalz“ scheint der „Freude am Ekel“ entsprungen zu sein. Schließlich ist Schmalz was zum Essen, und Ohrenschmalz – allen Ähnlichkeiten in Aussehen und Beschaffenheit zum Trotz – eher das Gegenteil. Manch einen schüttelt es schon, wenn er sich nur das Wort auf der Zunge zergehen lässt. Die Fachwelt nimmt Ohrenschmalz gar nicht erst in den Mund. Sie sagt stattdessen: Cerumen (bzw. Zerumen).
Ohrenschmalz – alt und wirkungsvoll
Die Ekelfreude am Ohrenschmalz scheint sehr alt zu sein. Das frühneuhochdeutsche Wort „örsmalz“ gab es schon im 15. Jahrhundert. Unter „smalz“ verstand man schon damals ausgelassenes tierisches Fett. Dass sich die Menschheit schon lange an Dingen erfreut, die sie zugleich ekelt, lässt sich an den blutrünstigen Stücken zeigen, für die Shakespeare von seinen Zeitgenossen gefeiert wurde. Die Vorstellung vom Schmalz im Ohr ist eher eine deutsche Erfindung. Die Niederländer nennen das Zeug „oorsmeer“ (Ohrenschmiere) und die Engländer „earwax“ (Ohrenwachs), was nicht nur nicht an Essen erinnert, sondern auch dem eigentlichen Wortsinn von Cerumen entspricht. Denn Cerumen stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Wachssalbe. Die alten Griechen erinnerte das Zeug im Ohr also eher an eine Salbe aus Wachs, mit der man verheilende Wunden vor Feuchtigkeit und Schmutz schützt, und nicht an Fett von Schwein oder Gans, das man aufs Brot schmiert. Und Cerumen gegenüber war das irgendwie auch ganz fair.
Denn genau genommen tut man Cerumen unrecht, wenn man es als ekelerregenden Dreck abtut, den man möglichst nicht haben sollte. Ohrenschmalz ist kein Dreck. Es besteht aus einem Sekret, das von den Schweißdrüsen der Haut produziert wird, außerdem Talg, also Hautfett, und winzigen Schmutzpartikeln. Und es ist gut für uns. Denn es überzieht die Haut des Gehörgangs und sorgt dafür, dass sie geschmeidig bleibt. Es bildet einen Schutzmantel, der verhindert, dass Krankheitserreger ins Ohr eindringen. Es wirkt desinfizierend, denn es enthält Lysozym – ein Enzym, das auch in Speichel, Schweiß und Tränen, Schleimhäuten und Blutplasma vorkommt, und das Bakterien abtötet. Es sorgt dafür, dass Schmutz und Staub aus dem hinteren Teil des Gehörgangs bis ins Außenohr transportiert werden.
Ohrenschmalz versucht auch größere Fremdkörper aus dem Ohr heraus zu schwemmen; solche Fremdkörper können bewirken, dass es verstärkt produziert wird. Außerdem hält Ohrenschmalz Insekten davon ab, in unsere Gehörgänge zu kriechen. Für Käfer soll Ohrenschmalz stinken. (Wie auch immer man das ermittelt hat.) Für Menschen hingegen ist Ohrenschmalz geruchlos. (Wenn es aus einem Ohr riecht, ist das wahrscheinlich ein Hinweis auf eine Infektion, mit Ohrenschmalz hat es also nichts zu tun.)
Ohrenschmalz vs. Dreck
Abgesehen von diesen naturgegebenen Funktionen, die Ohrenschmalz für den Gehörgang hat, findet man online weitere Verwendungsmöglichkeiten. Leute nutzen es, um quietschende Scharniere einzufetten oder Antikmöbel zu polieren. Abenteurer sollen es verwendet haben, um ihre Gewehrkugeln vor Rost zu schützen. Es soll früher sogar mal als Lippenbalsam genutzt worden sein, hätte sich jedoch aufgrund des Geschmacks nicht durchgesetzt. Ob da mehr dran ist als an Harry Potters „Bertie Botts Bohnen“, lassen wir mal dahingestellt. Wer noch andere Anwendungen kennt, der kann sie gerne ins Kommentarfeld schreiben.
Wasch dir die Ohren? (When did you last wash your ears?) – Es stimmt schon, dass Ohrenschmalz auch bewirken kann, dass man weniger hört; dazu kommen wir noch. An dreckigen Ohren und mangelnder Wäsche liegt es jedoch nicht. Natur hat Ohren in vielerlei Hinsicht perfekt durchdacht. Ohren sind selbstreinigend. Auf der Haut im Gehörgang sitzen feine Härchen, die ständig in Bewegung sind und so das Ohrenschmalz aus dem Gehörgang schieben – zusammen mit all dem, was das Ohrenschmalz bindet, weil es im Ohr nichts verloren hat. Beim Waschen reicht es deshalb aus, sich in und hinter der Ohrmuschel zu säubern.
PS: Die Fotos zum Beitrag über Ohrenschmalz und Ekel zeigen keine Ohren und kein Cerumen, sondern Löcher, die mit Regenwasser und sonst was gefüllt sind. Fotografiert habe ich die Löcher in der Sächsischen Schweiz. Ist alles Natur…