Mit dem Cochlea-Implantat (CI) können gehörlos geborene Kinder in der Welt des Hörens und der Lautsprache aufwachsen und ertaubte Menschen jeden Alters in diese Welt zurückkehren. Wie gut das gelingt und wie man mit dem CI hört, ist sehr individuell; das CI ist kein Allheilmittel. Doch taub zu sein und trotzdem hören zu können, ist möglich – und nicht erst seit gestern. In Deutschland gibt es die CI-Versorgung seit Mitte der 80er Jahre. Falls dich interessiert, wie das damals begann, empfehle ich dir mein Buch „Hör-Pioniere. Wie das Cochlea-Implantat (CI) nach Deutschland kam“, für das ich zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen geführt habe. In Deutschland leben heute mehr als 55.000 Menschen mit dem CI. Vermutlich sind es noch mehr. Doch genau weiß es niemand. Das führt zum Thema dieses Artikels: zum CI-Register.
Qualitätsstandards für die CI-Versorgung
Im Mai war ich beim HNO-Kongress, der jedes Jahr um den Himmelfahrtstag herum stattfindet und eigentlich nicht Kongress heißt, sondern Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO-KHC). Das ist ein beeindruckend langer Name. Und es ist das Jahrestreffen für die HNO-Chirurgen, also auch für diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die Menschen Cochlea-Implantate implantieren. Auf der Veranstaltung gibt es Vorträge, Symposien, Diskussionsrunden, eine Fachausstellung mit Medizintechnik, Feier-Abende… Ein wichtiges Thema war diesmal, wie man absichern kann, dass die Cochlea-Implantat-Therapie überall in Deutschland in bester Qualität erfolgt. Das ist nämlich noch nicht der Fall. Es hat unter anderem auch damit zu tun, dass es nicht damit getan ist, so ein Implantat in den Kopf zu bekommen. Wenn man ein Leben lang mit dieser Technik hören will, gehört viel mehr dazu. Darüber habe ich hier schon mehrmals geschrieben.
Ganz exakt haben es die Ärzte selbst beschrieben. Es gibt eine sogenannte Leitlinie, die alle Standards beschreibt; die ist sozusagen die Verfassung für die CI-Chirurgen. Außerdem gibt es ein sogenanntes Weißbuch, in dem jeder nachlesen kann, wie er die Verfassung umsetzen kann. Hinzu kommt eine Zertifizierung: Kliniken, in denen das CI implantiert wird, können sich um diese Zertifizierung bewerben. Dann müssen sie nachweisen, dass sie alle Standards erfüllen. Nur wenn ihnen das gelingt, gibt es das Zertifikat und ein Siegel. Zum Zeitpunkt des Kongresses hatten das 50 deutsche Kliniken. Das CI bekommt man jedoch an über 100, vielleicht sind es noch mehr. Auch das weiß man nicht genau. Und das führt uns erneut zum Thema: CI-Register.
Und was ist nun das CI-Register?
Auf jeden Fall etwas, was es in Deutschland jahrzehntelang nicht gab. Es gab (und gibt) zwar viele tausend Menschen, die mit der Innenohrprothese leben, jährlich kommen ungefähr 4.000 dazu. Aber auch diese Zahl ist nur eine Schätzung. Weil keine zentrale Stelle (bzw. kein CI-Register) existierte, in dem die Daten aller Patienten aus allen Kliniken gesammelt wurden.
Das lag keinesfalls am Datenschutz. (Solche Daten müssen natürlich anonymisiert gesammelt werden.) Es lag vielmehr daran, dass jede Klinik für sich allein gewerkelt und ihr eigenes Süppchen gekocht hat. Eine Vorschrift, diese Daten zu melden, gab es ja nicht. In der Schweiz wurde schon Anfang der 1990er Jahre so ein CI-Register geschaffen, aber nicht in Deutschland. Also sagte sich manch eine Klinik: Warum sollte ich mir freiwillig in die Karten gucken lassen? Warum sollte ich die eigene Arbeit mit der in anderen Kliniken vergleichbar machen? – Zumal, wenn man sich vielleicht schon denken kann, dass man bei diesem Vergleich nicht gut dasteht. Dazu muss man wissen, dass in den einen CI-Kliniken jedes Jahr 50 oder 100 oder noch viel mehr Patienten ein CI bekommen. In manchen anderen sind es vielleicht 2 oder 3. Das macht einen großen Unterschied – an gesammelten Erfahrungen, an Routine, an spezialisiertem Personal usw.
Und damit noch nicht genug: Die Daten in einem CI-Register zeigen ja nicht allein, ob eine Klinik gut gearbeitet hat. So ein CI-Register liefert auch wichtige Hinweise, wie gut jeder einzelne mit dem CI hört und versteht. Dass das CI ganz vielen hilft, steht außer Frage. Aber wie gut hilft es? Wo sind die Reserven? Warum funktioniert es hier besser als dort? – Diese Informationen sind wichtig für die Forschung. Nicht, dass es da keine Forschung gäbe; zum CI wurde ganz viel geforscht. Mit Daten aus einzelnen Kliniken, aber eben nicht mit den Daten aller Kliniken, Daten, die dann auch alle Kliniken nutzen können. Um zum Beispiel zu überlegen, warum es woanders besser läuft, und um selbst noch besser zu werden.
Endlich da: das Deutsche CI-Register
So viel zum Thema, warum es nicht gut war, dass Deutschland kein CI-Register hatte. Die gute Nachricht ist, dass sich das jetzt ändert. In der HNO-Gesellschaft (der mit dem langen Namen) haben CI-Ärzte und -Ärztinnen lange dafür gekämpft, dass es endlich auch hierzulande ein CI-Register gibt. Und seit Anfang 2022 gibt es tatsächlich eins. Es heißt: Deutsches CI-Register, kurz DCIR.
Das CI-Register ist seitdem mit Daten gefüttert worden: Ergebnisse der Behandlungen mit dem CI und Faktoren, die die Behandlung vielleicht beeinflussen. Ob Angaben aus den Untersuchungen vor der Operation, zur Operation selbst, zur sich anschließenden Reha oder zur späteren Zeit, der sogenannten lebenslangen Nachsorge – alles wird erfasst, schon jetzt und von den allermeisten Kliniken. Es wird erfasst, ob es bei einer CI-Behandlung eventuell Komplikationen gab. Es wird beurteilt, wie die Ergebnisse der Behandlung langfristig sind. Auch technische Faktoren werden erfasst. Und die Daten können für die Forschung genutzt werden.
Wie geht‘s weiter mit dem CI-Register?
In den nächsten Jahren soll sogar ein Gesetz regeln, dass alle Kliniken mitmachen müssen – und zwar nicht nur bei Cochlea-Implantaten, sondern auch bei vielen anderen Implantationen. (Das soll dann Implantateregistergesetz heißen, kurz IRegG. Darauf sind die CI-Ärzte nun sozusagen schon vorbereitet.)
Das neue CI-Register ist ein fester Teil in diesem ausgeklügelten System, das ich anfangs beschrieben hatte: also mit Leitlinie, Weißbuch und Zertifizierungssiegel. Wenn eine Klinik das Siegel haben will, muss sie beim CI-Register mitmachen und immer Daten abliefern. Wenn man mit den Daten herausfindet, was man bei der CI-Therapie noch besser machen kann, schreibt man das in die Leitlinie und ins Weißbuch usw. Eines greift ins andere. Das ist clever, denn so wird die Qualität nicht nur abgesichert, sondern weiter vorangetrieben.
Wie viele Menschen in Deutschland mit dem Cochlea-Implantat hören, wird man auch weiterhin nur schätzen können. Im CI-Register erfasst werden nämlich nur die neuen Daten und keine der letzten Jahrzehnte. Ein großer Erfolg ist das Register dennoch, auch weil schon viele Kliniken dabei sind.
PS: Die Fotos zum Artikel über das CI-Register zeigen kein Register, sondern sogenannte CLONGs, Klangwesen, die Schall visualisieren. Fotografiert habe ich die im Haus der Musik in Wien.