Hörapparate-Wettbewerb

Über Original und „Fälschung“, Technik-Geschichte Teil 8
Abbildung aus einer Gebrauchsanweisung für den „Original-Akustik“ der Deutschen Akustik Gesellschaft

Hörapparate? Einen völlig neuen Hörapparat zu bauen, ist das eine; ihn erfolgreich zu vermarkten und weiterzuentwickeln, was andres. – Vielleicht kommt jemand und baut einen ähnlichen Hörapparat noch besser. Oder jemand hat einen besseren Dreh, um Kunden für seinen Hörapparat zu gewinnen. Den ersten Hörgeräte-Hersteller Europas, die Deutsche Akustik Gesellschaft, muss das ebenfalls beschäftigt haben. Das Unternehmen begann kurz nach 1900, seinen völlig neuen AKUSTIK zu vermarkten. Schon bald gab es etliche Wettbewerber.

Elektrisch besser hören – mit Abstrichen

Auf lange Sicht ist es schwer, mit einem Hörapparat erfolgreich zu sein, das Wünsche offenlässt. Der AKUSTIK ließ viele Wünsche offen. Auf dem Kästchen von meinem AKUSTIK steht so eine Art Warnhinweis:

„Sie werden nicht sofort in der Lage sein, mit dem ‚AKUSTIK‘ vollkommen zu hören. Genauso wie eine unerfahrene Person Klavierspielen oder Autofahren lernen muß, so müssen sie selbst sich daran gewöhnen, die Töne und Laute so zu hören, wie Sie diese zu hören wünschen. Üben sie mit dem ‚AKUSTIK‘. Tragen sie ihn zunächst eine Stunde täglich. Besonders im Anfang machen sie keinen Versuch, mit dem ‚AKUSTIK‘ im Theater, in der Kirche oder bei Vorträgen zu hören…“

Illustration zum Artikel „Hörapparate-Wettbewerb“ auf die-hörgrätde.de

Die Verwendbarkeit des Hörapparats wurde also schon vom Hersteller beschränkt: „Erwarten Sie bloß nicht gleich zu viel…“ Auf längere Sicht konnte man wohl kaum mehr erwarten: Will man eine Schwerhörigkeit mit Technik ausgleichen, braucht das Gehirn Zeit, um sich an den neuen akustischen Input zu gewöhnen. Hat man lange schlecht gehört, braucht das Gehirn mehr Zeit. Doch in jedem Fall ist es dann wichtig, die Technik den ganzen Tag zu nutzen. Eine Stunde wird kaum helfen. Zumal man dann den Rest des Tages weiter schlecht hört…

Vom feinen Zirpen der Mikrofone und leichten Schüttelbewegungen

Auch sonst war beim AKUSTIK viel zu beachten: Nur wer die „10 Gebote“ der Gebrauchsanweisung „sorgfältig befolgt“, wird auch imstande sein, in kurzer Zeit besser zu hören.“

Beispiele: Nach jedem Gebrauch muss man den Schalter zurückstellen, weil man sonst sinnlos die Batterie verbraucht. Und „zuweilen kommt es vor, daß man im Hörer ein feines Singen oder Zirpen hört, wenn das Instrument arbeitet. Es bedarf alsdann nur einer leichten Schüttelbewegung des Mikrophons, und das Zirpen hört sofort auf.“ Und Voraussetzung „für ein gutes, klares Arbeiten eines jeden Apparates ist immer die ruhige und vor allen Dingen die senkrechte Lage des Schallempfängers während des Hörens.“

Abbildung aus einer Gebrauchsanweisung für den „Original-Akustik“ der Deutschen Akustik Gesellschaft

Es gibt also einerseits die ganz einfache Technik, andererseits viele Regeln, die der Nutzer befolgen soll. Man kann vermuten, dass die vielen Regeln auch viele Gründe liefern konnten, um dem Nutzer zu erklären, warum es mit dem elektrischen Besserhören bei ihm noch nicht recht klappt: „Das liegt bestimmt nicht an der Technik. Hand aufs Herz; haben Sie wirklich immer unsere 10 Gebote befolgt?!“

Hörapparate: „klein, unauffällig, lautstark, klangrein und preiswert“

Auf lange Sicht ist es zudem schwer, mit einem Hörapparat erfolgreich zu sein, der sich ziemlich leicht nachbauen lässt. Die Hörapparate-Hersteller scheinen damals wie die Pilze aus dem Boden geschossen zu sein. In Zeitungen aus den 1920er und 1930er Jahren findet man etliche Anzeigen: den elektrischen Hörapparat „IDEAL“ von G. R. Schulze aus Berlin-Wilmersdorf, das Hörgerät „Overhage“ der Firma Overhage aus Düsseldorf, den Hörapparate-Händler Friedrich Behrend aus Hannover, den Acutus vom Hörapparate-Vertrieb Ludwig Sudicatis & Co. in Berlin-Schöneberg, den Exophon-Hörapparat für Schwerhörige der Expugnator GmbH aus Duderstadt und den „Phonophor“ der Siemens & Halske AG (um den es hier noch gehen wird).

Auch in anderen europäischen Ländern kam man auf die Idee, Hörapparate zu bauen – etwa in England und Dänemark. Wobei Produkte damals längst nicht so schnell über Grenzen hinaus vermarktet wurden wie heute.

Illustration zum Artikel „Hörapparate-Wettbewerb“ auf die-hörgrätde.de

Expugnator“ heißt übrigens „Eroberer“. Beim Wettbewerb der Hörapparate ging es schon damals darum, Marktanteile zu erobern und Zielgruppen zu kapern. Geworben wurde dafür mit Leistung, Expertise, Preis und Unsichtbarkeit: „klein, unauffällig, lautstark, klangrein und preiswert“.

Das „Original“ unter den Hörapparaten

Die Deutsche Akustik Gesellschaft begegnete ihrer Konkurrenz mit einem Argument, das nur sie in die Waagschale legen konnte (was man heute ein Alleinstellungsmerkmal nennt): Ihr AKUSTIK ist das „Original“. Die „älteste und führende Spezialfabrik“ mit dem „Original-Akustik-Apparat“. Der „Original-Akustik“ ließ alle anderen Hörapparate ein wenig wie Nachahmungen oder Fälschungen aussehen – was auch immer die anderen sonst so zu bieten hatten.

Die Empfehlung, zum Original zu greifen, beschränkte sich übrigens nicht nur auf den AKUSTIK selbst, sondern galt ebenso für seine Batterie. Die Deutsche Akustik bot eine „Spezialbatterie“ für den „ORIGINAL AKUSTIK HÖRAPPARAT“ und vermerkte in der Gebrauchsanweisung: „Es ist dringend anzuraten, nur unsere Spezialbatterien zu verwenden…“ Und: „Man weise andere Batterien, die als ebenso gut angepriesen werden, entschieden zurück…“

Abbildung aus einer Gebrauchsanweisung für den „Original-Akustik“ der Deutschen Akustik Gesellschaft

PS: Die Fotos zum Artikel über Hörapparate zeigen Abbildungen aus der Gebrauchsanweisung für den „Original-Akustik“.


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