Über die Ausbreitung von Schall, über das Hören mit zwei Ohren, über räumliches Hören und die Unterstützung, die Hörgeräte dabei bieten, hatte ich hier schon geschrieben. Ein Punkt fehlt aber noch: der Raum, in dem gehört wird. Jeder Raum hat eine eigene Raumakustik. Seine Größe und seine Beschaffenheit beeinflussen die Ausbreitung von Schallwellen. Und es gibt räumliche Faktoren, die auch außerhalb von geschlossenen Räumen auf Schallwellen wirken.
Bergnymphe und Schallgeschwindigkeit
Was ein Echo ist, weiß fast jeder. Man ist irgendwo unterwegs, wo Berge sind, steht vor einer Felswand und ruft etwas wie: „Was essen die Studenten?“. Einen Augenblick später schallt es von der Wand zurück: „Enten.“ Oder man jodelt was, wenn man jodeln kann, und die Felswand jodelt zurück. Im alten Griechenland dachte man, dass irgendwo in der Wand eine kleine Bergnymphe sitzt, die zurückjodelt. Man nannte die Bergnymphe Echo, was Altgriechisch „Schall“ heißt. (Übrigens konnte die Bergnymphe Echo nichts anderes von sich geben als das, was andere ihr zuriefen. Das war eine göttliche Strafe, die sie bekam, weil sie sehr geschwätzig war…)
Die kleine Bergnymphe ist aber nur Physik: Der Schall des Rufers (oder Jodlers) breitet sich in Wellen aus, trifft auf die Felswand und wird von ihr zurückgeworfen. Wie Meereswellen, die auf eine Steilküste klatschen. Oder wie Lichtwellen, die auf einen Spiegel treffen. Am besten funktioniert dieses „Zurückschallen“ bei glatten, festen Wänden. Es müssen keine Felswände sein. Mit sehr breiten, hohen Häuserwänden funktioniert es auch; nur dass sich da selten jemand davorstellt und jodelt. Außerdem ist es vor Häuserwänden meist laut.
Nimmt man die Schallgeschwindigkeit und die Zeit, die ein Ruf oder Jodler braucht, um von der Wand zurückzukommen, so kann man berechnen, wie weit die Wand entfernt ist. (Schall legt in 20 Grad warmer Luft pro Sekunde etwa 170 Meter zurück. Rufst du „Studenten“ und hörst darauf nach vier Sekunden „Enten“, ist die Wand etwa 680 Meter von dir entfernt: zwei Sekunden hin und zwei zurück.)
Raumakustik und Nachhall
In geschlossenen Räumen ist der Abstand von Schall und zurückgeworfenem Schall nicht so groß, dass es ein Echo gibt. Doch in großen Räumen, in Kirchen zum Beispiel, hört man deutlich, wie der Schall hallt. Das ist dann kein Echo, sondern Nachhall. Diesen Nachhall gibt es im Prinzip in jedem Raum. Frage ist nur, wie groß er ist bzw. wie lange es nachhallt.
Der Nachhall (bzw. die Nachhallzeit) ist für Raumakustiker ein entscheidender Wert. (Raumakustiker sind diejenigen, die sich um die Raumakustik kümmern.) Es geht darum, Lärm (bzw. störende Geräusche) in Räumen gering zu halten, dadurch für gutes Sprachverstehen und ein gutes Hörempfinden zu sorgen. Das ist keinesfalls nur so ein „Nice to have“, auch wenn man sowas mitunter hört. Was nutzt zum Beispiel ein schickes, neues Schulgebäude, wenn die Akustik darin so schlecht ist, dass sich die Kinder kaum konzentrieren können?! Oder ein Großraumbüro, in dem man sich zwar prima austauschen aber kaum konzentriert arbeiten kann?! – Genau das hat mich ein Raumakustiker gefragt, als ich ihn zu seiner Arbeit interviewte.
Was gute Raumakustik ist, hängt immer davon ab, wofür ein Raum bestimmt ist. Ist die Nachhallzeit zu hoch, versteht man schlechter. Die Lärmbelastung ist höher. Man kann sich schlechter konzentrieren und krank werden. Das Lärm krank macht, ist belegt. Und weil es heute so viel Lärm gibt wie nie zuvor, steigt auch die krankmachende Wirkung. – „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.“ Das hat Robert Koch 1910 in einer Rede vorausgesagt.
Raumakustik und Absorption: den Lärm aufsaugen
Auch über Lärmbelastung im Beruf hatte ich hier schon geschrieben. Für Arbeitsplätze in der Industrie und in Handwerksberufen gibt es gesetzliche Richtwerte, die man einhalten muss. Aber was ist mit anderen Berufen? In Großraumbüros sollte die Lärmbelastung höchstens 55 Dezibel betragen. Häufig liegt der Wert jedoch deutlich darüber. Den Lärm machen die Mitarbeiter selbst, wenn sie reden, tippen, telefonieren; hinzu kommen die Technik oder auch Lärmquellen außerhalb des Büros. Wenn der Raum dann noch kräftig nachhallt… – Nur verständlich, dass viele im Corona-Homeoffice viel besser arbeiten konnten.
Am besten ist es, wenn Raumakustiker schon beim Bau eines Büro- oder sonstigen Hauses dabei sind. Wenn so konstruiert und Materialien so ausgewählt werden, dass die Raumakustik passt. Da gibt es Normen und Richtwerte. Aber die sind nicht bindend, solange sie nicht in einem Gesetz stehen. Außerdem stammen die meisten Gebäude noch aus Zeiten, in denen sich kaum jemand Gedanken über Raumakustik machte.
Hier bleibt nur, Räumen im Nachhinein zu besserer Akustik zu verhelfen. Das kostet was, ist jedoch oft keine große Sache. Das Zauberwort heißt: Absorption. – Die Schallwellen bzw. die Schallenergien werden in andere Energie umgewandelt. (Nämlich in Wärmeenergie.) Das geht, indem man in den Raum Oberflächen einbaut, die den Schall regelrecht aufsaugen (und ihn nicht wie eine Echo-Wand zurückwerfen). Harte Oberflächen wie Betonwände oder Fensterfronten werfen den Schall zurück, anstatt ihn aufzunehmen. Entsprechend hoch ist der Nachhall; insbesondere, wenn die Räume groß sind. Da muss man sich nur eine Schwimmhalle oder eine Kirche vorstellen. Poröse Oberflächen hingegen können den Schall aufnehmen. Somit sinkt die Nachhallzeit.
Bessere Raumakustik – dank Schallabsorbern
Als Schallabsorber können ganz verschiedene Dinge herhalten. Dass ein möblierter, voll eingerichteter Raum anders klingt als derselbe, leergeräumte Raum, weiß jeder, der hören kann. Vorhänge, Teppiche, bespannte Möbel – alles absorbiert Schall. Menschen, die in einem Raum sind, können Schall nicht nur verursachen, sie sind auch Schallabsorber. Raumakustiker greifen jedoch zu anderen Lösungen, um die Nachhallzeit in einem Raum zu reduzieren. Man kann sogenannte Akustikdecken einbauen, schallabsorbierende Wandelemente, Teppiche oder andere Fußböden. Und Vorhänge oder Lamellen für die Fenster. Je mehr absorbierende Flächen vorhanden sind, umso mehr verkürzt sich die Nachhallzeit.
Wie phantastisch das funktioniert, hat mir neulich eine Hörakustikerin vorgeführt, die in ihrem Geschäft auch spezielle Schallabsorber anbietet – riesengroße, stoffbezogene Blöcke aus einem speziellen Material. Wie so eine Art Säulen. Oder wie quaderförmige Bänke, wenn man die Blöcke längs in den Raum legt. Um die Wirkung der Absorber zu erleben, gingen wir in einen Raum und unterhielten uns. Erst blieben die Absorber-Teile vor der Tür und dann schleppten wir sie rein. Der Unterschied in der Raumakustik war derart frappierend; ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht selbst gehört hätte.
PS: Die Bilder zum Beitrag über Raumakustik zeigen sächsische Berggeister aus dem Elbsandsteingebirge. Kann sein, dass sie ebenfalls antworten, wenn man ihre Bergwand anruft.