Akustische Gewalt (6)

Über den Kriegssound in Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“
Illustration zu einem Artikel über den Sound von „Apokalypse Now“ auf die-hörgräte.de

In der Ukraine ist immer noch Krieg. Gehofft hatte ich, der würde spätestens mit dieser Artikel-Serie zum Thema Kriegslärm vorbei sein. Doch Kriegen sind Blog-Artikel egal. Also werde ich demnächst das Thema wechseln, als ob mir der Krieg egal wäre. Wie im vorhergehenden Beitrag schon angedeutet, geht es heute um Walter Murch und um Francis Ford Coppolas Anti-Kriegsfilm „Apocalypse Now“, der 1979 erstmals gezeigt wurde.

Vietnamkrieg und fliegende Pferde

Der Einstieg in die erste Szene eines Films ist ungefähr wie der erste Satz in einem Roman. Mit welchem ersten Satz bringt man den Leser dazu, auch noch den zweiten zu lesen? Welches Bild ist das erste? “Apocalypse Now“ beginnt nicht mit einem Bild, sondern mit Finsternis und einem Geräusch: dem Schlagen der Rotorblätter eines Helikopters.

Durch die ständige Weiterentwicklung der Kriegstechnik klingt jeder Krieg anders. Walter Murch, der den Ton von “Apocalypse Now” verantwortete, erzählte, dass er schon mit George Lucas (dem ursprünglichen Regisseur des Films) lange Diskussionen darüber geführt habe, was das Typische (und damit das typisch Klingende) am Vietnamkrieg gewesen sei. Sie kamen auf die Helikopter.

Illustration zu einem Artikel über den Sound von „Apokalypse Now“ auf die-hörgräte.de

„Helikopter nahmen in diesem Krieg denselben Platz ein wie früher die Kavallerie“, so Murch. „Das letzte Mal, dass die Kavallerie eingesetzt wurde, war im Ersten Weltkrieg, der gezeigt hat, dass sie nicht mehr funktioniert. Im Zweiten Weltkrieg gab es keine Kavallerie. Dann haben wir die Kavallerie zurückbekommen, mit Helikoptern, bis zu einem gewissen Grad im Koreakrieg, und wirklich zurückbekommen haben wir sie im Vietnamkrieg. Die Helikopter waren die Pferde des Himmels.“

Helikopterflügel und ein Ventilator

In „Apocalypse Now“ wird der Klang der Helikopter nicht nur zum alles beherrschenden Sound einer modernen Kriegsmaschine. Der Klang der Rotorblätter ist von Anfang an mehr:

Man hört diesen Klang, sieht die Palmen, leichter Rauch weht, der flüchtige Umriss eines vorbeiziehenden Helikopters. Dann das Gitarren-Intro von „The End“, der Rauch vor den Palmen verdichtet sich und scheint nun orange. Als die Napalm-Flammen lautlos aufschlagen, setzt Jim Morrisons Stimme ein („This is the end / Beautiful friend / This is the end“ usw.). Die Helikopter fliegen lautlos, die Palmen brennen. Dann taucht aus dem Rauch das auf den Kopf gestellte Gesicht eines Mannes auf, wieder der Umriss eines Helikopters, brennende Palmen, das allmähliche Überblenden vom brennenden Dschungel in ein Zimmer, in dem der Mann schlaflos auf dem Bett liegt, raucht, zur Decke mit dem sich drehenden Ventilator starrt. Schließlich wieder das Geräusch der Helikopterrotoren. Dazu der Ventilator, der kreisende Schatten an die Decke wirft. Der Gesang ist verstummt. Es bleibt nur das nächtliche Zimmer und das Geräusch der Helikopter, das sich im Kopf dreht – im Kopf des Mannes auf dem Bett und im Kopf des Betrachters. Es ist, als hörte man den alles beherrschenden Klang nun mit seinen Ohren. (Du findest die Eingangsszene hier.)

Detail aus Jean Bellegambes „Triptychon mit dem Jüngsten Gericht“, ca. 1520/25

Die Geschichte, die jetzt folgt (und je nach Schnitt-Version 2 ½ bis 3 Stunden dauert) ist „ein alptraumhafter Trip durch die Abgründe der menschlichen Seele“. Captain Willard (der Mann auf dem Bett bzw. Martin Sheen) begibt sich auf eine Bootsfahrt tief in den Dschungel von Kambodscha. Dort soll er Colonel Kurz (Marlon Brando) liquidieren, der sich der Kontrolle der Armee entzogen und im Dschungel sein eigenes Terrorreich erschaffen hat. Die Logik des Krieges führt geradewegs in den Wahnsinn. Die Geschichte ist angelehnt an die Novelle „Das Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad, die jedoch in einer anderen Zeit und in Zentralafrika spielt.

Den Krieg spüren mit quadrofonem Sound

Es sei kein Film über Vietnam, es sei Vietnam, hat Francis Ford Coppola über „Apocalypse Now“ gesagt. Die Arbeit am Film hat zehn Jahre gedauert. Um ihn fertigzustellen, hat sich Coppola hoch verschuldet. Es gab immer wieder Rückschläge und Katastrophen, die das ganze Projekt über den Haufen warfen: einen Herzinfarkt des Hauptdarstellers, eine Revolution auf den Philippinen, wo anfangs gedreht wurde, dann ein Tsunami usw. Coppola soll wie ein Besessener gearbeitet und dabei selbst fast wahnsinnig geworden sein.

Die eigentlichen Dreharbeiten liefen mehr als ein Jahr. Danach gab es über 200 Stunden Filmmaterial, aber noch keinen Ton. Um den kümmerte sich Walter Murch. Coppola wollte passend zu den Bildern einen völlig neuartigen Kinosound – quadrofon, also räumlich, mit Lautsprechern in allen vier Ecken des Saals. Die Dichte der Klänge sollte die Zuschauer so tief wie möglich in den Film hineinziehen. Es ging nicht einfach darum, die Waffen und den Krieg hörbar zu machen. Es ging um eine Stimmung, die mit realen Klängen wenig zu tun hat, vielmehr mit einem Gefühl für diesen Krieg, mit Rock’n’Roll und Drogen, die den US-Soldaten in den Köpfen saßen.

Detail aus Jean Bellegambes „Triptychon mit dem Jüngsten Gericht“, ca. 1520/25

Walter Murch war skeptisch. Er selbst hatte vorher nur mit Mono-Sound gearbeitet. Später meinte er, er hätte Coppolas Intention erst nicht verstanden. In großen Kinosälen würde das mit den vier Lautsprechern ohnehin nicht mehr funktionieren… Dennoch mischte er das erste Mal einen Film in Stereo, weil Coppola es so wollte. Und er wandte sich an Dolby, um ein Stereo-Surround-System mit verstärkten superbreiten Frequenzen zu bekommen.

Apocalypse Now: Kriegssound und Raumgestaltung

Tatsächlich war „Apocalypse Now“ einer der ersten Filme, die mit Stereo-Surround-Sound erschienen – zudem noch einer, in dem der räumliche Klang sehr überlegt genutzt wurde. Das damals verwendete Dolby Stereo 70mm Six Track System ist ein Vorläufer des heutigen Dolby Digital 5.1. (Und Ioan Allen, Vizepräsident von Dolby, hat „Apocalypse Now“ deshalb sogar mal den “Großvater von 5.1” genannt.)

Murch und sein Team planten den Sound des gesamten Films am Reißbrett. Es gab ein Master-Diagramm auf großen Bögen, darin Diagramme für alle sechs Kanäle. Es wurde genau festgelegt, wie und wann jeder der sechs Soundkanäle genutzt werden soll. Mal lief der Film in Mono, mal in Stereo und mal in vollem Surround-Sound.

Illustration zu einem Artikel über den Sound von „Apokalypse Now“ auf die-hörgräte.de

Das Master-Diagramm war ein riesiger, akribisch erarbeiteter Plan, eine kreative Ordnung, um eine Ahnung von Chaos und Grauen hörbar zu machen. Murch verglich seine Arbeit mit der eines Innenarchitekten. Als würde er einen Raum mit Klängen dekorieren. – „Drei Kanäle vorne, zwei Kanäle hinten und dann Subwoofer“, so Walter Murch über das Mischen des neuen 5.1 Sounds. „Helikopter sind dafür ideal geeignet, weil sie fliegen, sich bewegen und schweben.“ Der neue Sound sei sozusagen „das perfekte Format“ für einen Helikopter-Film gewesen. „Helikopter können sich in Position bringen und im Sturzflug und im Kreis fliegen; sie sind eine Art kreisförmige Wesen.“ Genau das kann man im Kino hören.

Richard Wagner und apokalyptische Hubschrauber

Die Helikoptergeräusche wurden in einer Station der Küstenwache in Washington aufgenommen. Im Film wurden die Aufnahmen mal realistisch eingesetzt. Dann wiederum hört man synthetische Klänge – wie in der Eröffnungsszene, wenn das Rotorgeräusch mit dem des Ventilators verschmilzt und der Klang eher wie eine Art akustische Halluzination erscheint.

Detail aus Jean Bellegambes „Triptychon mit dem Jüngsten Gericht“, ca. 1520/25

Auch die Musik verschmilzt mit Geräusch. Realistische Klänge werden auf dem Synthesizer zerlegt und mit der Musik gemischt. Klanglich gipfelt das in der „Walkürenritt-Szene“, in der die Helikopter als fliegende Kavallerie zum Angriff „reiten“ und zu den bombastischen Klängen von Richard Wagner ein kambodschanisches Dorf in Schutt und Asche legen. – „Natürlich dachten wir an die vier Reiter der Apokalypse. Die Sache mit der Kavallerie, den Reitern und der Apokalypse wurde dem Projekt in die Wiege gelegt“, so Walter Murch.

Der Begriff Sounddesigner geht auf Murch zurück. Er prägte ihn, um zu beschreiben, was er bei „Apocalypse Now“ getan hat. Der Film ist bis heute ein außergewöhnlicher Film, der durch seinen Sound eine Ahnung von dem vermittelt, was Krieg bedeutet. Aber er bleibt ein Film.

Detail aus Jean Bellegambes „Triptychon mit dem Jüngsten Gericht“, ca. 1520/25

PS 1: Die Bilder zum Beitrag über den Sound von „Apocalypse Now“ zeigen Details aus Jean Bellegambes „Triptychon mit dem Jüngsten Gericht“, das um 1520/25 entstand.

PS 2: Wer sich einen Eindruck vom Sounddesign für „Apocalypse Now“ machen will: Hier diskutieren Tonmeister Richard Beggs und Postproduktions-Tonmeister Randy Thom den Klang der Helikopterflüge in der Eröffnungssequenz.

PS 3: Was macht einen Kriegsfilm eigentlich zu einem Anti-Kriegsfilm? Um Krieg geht es ja sowohl im einen als auch im anderen. Da ich mir für diese Artikel-Serie neben „Apocalypse Now“ noch mehrere weitere Kriegsfilme angeschaut habe, komme ich auf diese Frage im nächsten Teil noch zurück.


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