Nein, es geht hier nicht um Bernhardiner-Hunde! (Auch wenn ich gerade feststelle, dass meine Headline diesen Schluss nahelegen könnte.) Sondern um ihn: Ludwig van, den Komponisten, das musikalische Genie und das berühmteste Schlappohr der Weltgeschichte bzw. um Beethovens Schwerhörigkeit.
Hörst du gern Beethoven? Es soll auch Leute geben, die seine Musik überhaupt nicht mögen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Muss man Beethovens Musik mögen? Auf jeden Fall nicht, um diesen Artikel lesen zu können. Beethovens Musik spielt hier nur mittelbar eine Rolle. Wie du vermutlich weißt: Diese Musik ist Kulturgut und voller Bedeutung, E-Musik, also ernst, Klassik, all das… Und sie stammt von diesem Mann mit der wilden Mähne und dem grimmigen Blick, der schon lange tot ist… (Beethoven = 1770 – 1827; mehr Jahreszahlen gibt es in diesem Beitrag definitiv nicht; versprochen!)
Beethoven und ich
Ich gehöre zu denen, die als Kind in den Klavierunterricht geschickt wurden, außerdem noch zur Notenlehre. Möglicher Weise träumten meine Eltern davon, dass ich später wie Beethoven werde; solche Eltern-Träume sollen auch heute noch vorkommen. Ich ging so lange in den Klavierunterricht, bis klar war, dass das nichts bringt. Beethoven konnte daran nichts ändern. Von den gelegentlichen Konzertbesuchen, die ich als Kind ebenfalls absolvierte, blieb eher die Erinnerung an Stillsitzen und kratzende Hemdkragen. Wirklich wichtig war mir später ganz andere Musik. Auch wenn Beethoven natürlich immer da blieb. Irgendwie ist seine Musik ja immer und überall – in Deutschland, in Wien, in der ganzen Welt. Heute würde ich übrigens gerne Klavier spielen können…
Während meines Studiums begegnete mir Beethoven erneut. Damals habe ich neben Lehrveranstaltungen über deutsche Literatur und Kunstgeschichte zur Abwechslung ein paar Vorlesungen über Musikgeschichte gehört. Eigentlich verstehe ich wenig davon. Grund für diese Abwechslung war auch eher eine Frau, die ebenfalls in der Vorlesung saß, weniger die Musikgeschichte, schon gar nicht Beethoven.
Aber dann faszinierte mich der alte Musik-Professor, der die Vorlesungen hielt. Er war so ein kauziger, knarziger Typ mit lichter Stirn und grauem Bart. (Er sah ungefähr aus wie einer dieser knarzigen Typen aus den Geschichten von E. T. A. Hoffmann. – Nur für den Fall, dass du mit dem was anfangen kannst. Hoffmann war auch Komponist und Dichter und lebte ungefähr zur gleichen Zeit wie Beethoven.)
Beethoven mit Besenstiel
Dieser Professor war ziemlich besessen von Musik. Er begleitete seine Ausführungen über Beethoven, Mozart oder Schubert mit wilden Gesten. Oft legte er mit seinen zitternden Fingern knacksende Schallplatten auf einen kleinen Plattenspieler. Er spielte die Passagen vor, über die er gerade gesprochen hatte, war ganz in dieser Musik, kommentierte die knacksenden Motive mit seiner knarzigen Stimme. Und dann griff er sich den wackligen Besen, der in einer Ecke lehnte. Wenn er ganz in der Musik war, stampfte er mit dem Besenstiel den Takt der Musik. Es störte ihn nicht, dass mit jedem seiner Besenstöße ein Gewölk aus Kreidestaub aus den Besenborsten aufstob. Vermutlich merkte er das nicht mal.
Es schien dann, als ob der Professor uns junge Zuhörer nicht mehr beachtete. Keine Ahnung, wer von den anderen in den Bankreihen tatsächlich verstand, was er erzählte. Bei mir war es mehr ein Gefühl: Dass jemand für diese Musik brannte, mit der ich selbst bis dahin nicht viel anfangen konnte. Und mir ist ein Satz des kauzigen Professors über Beethovens 9. Sinfonie hängen geblieben. Er meinte, sie sei die am meisten missbrauchte Musik der Welt.
Klassik-Konzerte und Handy-Töne
Inzwischen bin ich 50. Wenn ich irgendwo bin, gewinne ich nur selten den Eindruck, zu den Jüngeren zu gehören. Mit 50 ist man ja auch nicht mehr jung; mal abgesehen davon, wie man sich fühlt. Wenn ich jedoch zu einem Klassik-Konzert gehe, dann habe ich häufiger den Eindruck, zu den Jüngeren zu gehören. Ich gehe nicht oft zu Klassik-Konzerten. Manchmal frage ich mich dort schon, wer da in zehn oder 20 Jahren noch hingeht (also außer mir vielleicht).
Wenn ich in meinem Hirn nach Beethoven-Musik suche, kommen mir schnell komische Sachen in den Sinn. Bei “Für Elise“ muss ich an alte Handys oder Telefon-Warteschleifen denken. Bei „Freude schöner Götterfunken“ an Fernseh-Werbung. Ich grüble dann, ob in dem Werbespot ein Pilsner Bier, ein neuer Mittelklasse-Wagen oder herzhafter Kartoffelsalat Anlass zu göttlicher Freude sein sollte. Zur Zeit Beethovens konnte man Musik nur dann hören, wenn jemand sie spielte oder sang. Die Sonaten zum Beispiel, die Beethoven komponiert hat, hat man sich damals vor allem selbst vorgespielt, wenn man Musik hören wollte. Im Konzertsaal wurden die nie aufgeführt.
Zu Besuch bei Beethovens
Klar ist Beethoven bedeutend. Wenn du am Bonner Hauptbahnhof aussteigst und vorbei am Beethoven-Platz mit dem Beethoven-Denkmal in Richtung Beethoven-Haus gehst, siehst du überall Ludwig van. Beethoven-Hotel, Beethoven-Kneipe, Beethoven-Apotheke. Beethoven steht zwischen Pumps im Schuhhaus und zwischen Werbung für Kompressionsstrümpfe im Sanitätshaus. Und die asiatischen Touristen vor dir folgen einem Regenschirm mit Beethoven drauf. Du musst ihnen also nur nachlaufen, um dahin zu kommen, wo du hinwillst.
Beethovens Geburtshaus in der Bonngasse ist ein eher nicht großes, rosa angestrichenes Bürgerhaus mit dunkelgrünen Fensterläden und der goldenen Nummer 20. Durch die Fenster sieht man einen Teil der Auslage vom Museumsshop, in dem es jede Menge Beethoven gibt, Musik Bücher und Krimskrams, auch Beethoven-Quietsche-Entchen.
In dem Haus selbst habe ich mich nicht lang aufgehalten. In aller Regel finde ich solche Häuser langweilig. Es gibt irgendwelche Sachen und dazu Schrifttafeln, die man selten lesen möchte. Oder man nimmt einen Audio-Guide und bekommt die Schrifttafeln vorgelesen. Dazu hatte ich auch keine Lust. Außerdem hätte ich dann nicht gehört, wie schön die Dielen in Beethovens Geburtshaus knarzen. Und wie in einem verschlossenen Raum ein Klavier gestimmt wurde.
Das einzige, was ich mir länger angeschaut habe, waren Beethovens Hörrohre. (Dazu noch in einem späteren Teil des Artikels.) Dann bin ich ins Nebenhaus zum Beethoven-Archiv, wo ich schon erwartet wurde.
Mit Hörgräte im Beethoven-Archiv
Archive haben eine besondere Atmosphäre – Bücher und Papiere bis unter die Decke, ein paar Mitarbeiter*innen, die einem sagen, was man wo findet und was man darf oder nicht darf. (Also zum Beispiel, was man kopieren darf und was nicht.) Und die einem den Platz zeigen, an dem man sitzen, raussuchen und arbeiten darf. (Ich habe keine Ahnung, ob ich ein Foto mit der Hörgräte vor dem Archiv-Rechner des Beethoven-Archivs machen durfte. Möglicher Weise ist nachfolgendes Bild illegal…)
Ich finde, es ist ein Luxus, in einem Archiv zu sitzen und die Zeit zu haben, nach einer Sache zu suchen, die einen auch tatsächlich interessiert. Mich interessierte der aktuelle Forschungsstand zu Beethovens Schwerhörigkeit. Und auch, wenn ich sicher nicht die Zeit hatte, diesen Forschungsstand abschließend zu klären, hab ich doch eine Menge gefunden. Deshalb folgen diesem Artikel in den kommenden Wochen noch ganze vier weitere Artikel-Teile über das berühmteste Schlappohr der Welt.
PS: Die Fotos zum Teil 1 der Artikel-Serie über Beethovens Schwerhörigkeit habe ich am Beethoven-Haus in Bonn sowie vor den Geschäften drum herum gemacht. (Und es handelt sich ausdrücklich nicht um Werbung für darauf abgebildete Produkte bzw. Marken…). Außerdem gibt es ein Foto mit Hörgräte im Beethoven-Archiv. – Im Beethoven-Haus darf man nicht fotografieren. Aber ich durfte für euch das Knarzen der Beethoven-Dielen aufnehmen. Bitteschön: