Über Schlappohren

Wie man nicht hören kann
Wackeldackel

Bei Schlappohren denke ich als erstes an Hunde, an Dackel zum Beispiel. Die Vorstellung, Dackel-Ohren zu haben, ist für mich nicht gerade eine Wunschvorstellung. Auch andere Begriffe, die mit dem Wort schlapp zu tun haben, sind nicht schmeichelhaft: Schlapphut, Schlappschwanz, Schlappe. Ausgehend davon könnte man annehmen, dass es ziemlich unfair ist, Leute, die nicht gut hören können, Schlappohren zu nennen.

Wer jedoch nach Schlappohren googelt, der findet zwischen Inhalten von verschiedenen Hunde- und Kaninchenzüchtervereinen auch solche von Schwerhörigen-Gruppen, die sich selbst als Schlappohren bezeichnen. Und der sehr schwerhörige Blogger und Autor Alexander Görsdorf bezeichnet sich selbst als taube Nuss, Leute mit fittem Gehör nennt er Flotthörige. (Über sein Buch „Taube Nuss“ muss ich an anderer Stelle mal schreiben.)

Der Begriff Schlappohrigkeit

Man kann natürlich auch Schwerhörigkeit, Hörschädigung, Hörverlust, Hörminderung, Hörbeeinträchtigung oder noch anders sagen. Oder darüber diskutieren, welcher dieser Begriffe korrekt, angemessen bzw. abwegig, unangemessen, völlig daneben ist. Um am Ende vielleicht selbst nicht mehr sicher zu sein, wie man die Sache jetzt noch nennen darf. – Manchmal ist Political Correctness (früher hieß es „Anstand“) hilfreich und wichtig. Manchmal behindert sie die Verständigung aber auch mehr, als dass sie ihr nutzt.

Rettungshund

Die Hörgräte findet es jedenfalls cool, wenn schwerhörige Menschen kein Problem damit haben, sich selbst als Schlappohren oder taube Nüsse zu bezeichnen. Schließlich zeigen sie damit, dass sie mit ihrem Handicap offen und selbstbewusst umgehen, und sich nicht etwa verstecken, nur weil andere das von ihnen vielleicht erwarten könnten. Oder wie ich gerade in einem anderen Blog las: Zu Inklusion gehört auch, dass man mit dem eigenen Handicap in Witzen vorkommen kann. (Wenn dich das Thema interessiert, möchte ich dir diese Sendung mit dem Comedian Tan Çağlar auf KRAUTHAUSEN-TV empfehlen.)

Kommen wir also zur Schlappohrigkeit, die in diesem Beitrag die Bedeutung von Schwerhörigkeit, Hörschädigung und all den anderen Begriffen hat.

Arten von Schlappohrigkeit

Grundsätzlich unterscheidet man zwei bis drei Arten von Schlappohrigkeit. Diese richten sich danach, was Schlappohren mit den Schall-Wellen anders machen als andere Ohren.

Was mit einer Schall-Welle passiert, wenn sie in ein fittes Gehör kommt, das kannst du in den drei Beiträgen über die erste, die zweite und die dritte Expeditionen ins Ohr nachlesen. Bei einer Schlappohrigkeit werden die hier beschriebenen Vorgänge durch Folgendes gestört:

  1. Könnte der Weg, den zum Beispiel ein Wort durch das Ohr nehmen soll, gestört sein. Das Wort würde gerne bis in dein inneres Ohr kommen, um dort zu wirken. Aber es kommt dort gar nicht an, oder nur sehr schwach. Ob hohe oder tiefe Töne – man hört alles wie durch Watte. Denn mit der Leitung, durch die die Töne müssen, gibt es ein Problem. Es könnte zum Beispiel sein, dass etwas den Gehörgang verstopft und der Schall nicht bis zum Trommelfell kann. Es kann auch sein, dass mit der Übertragung im Mittelohr etwas nicht stimmt. Wenn du lange Worte magst, kannst du zu dieser Art von Problem auch Schallleitungsschwerhörigkeit sagen. (Alternativ geht natürlich auch Schallleitungsschlappohrigkeit; dieses Wort hätte sogar noch einen Buchstaben mehr.)
  2. Könnte es sein, dass der Weg ins Innere deines Ohrs völlig ok ist. Das Wort kommt ohne Schwierigkeiten bis in die Hörschnecke. Aber genau hier liegt das Problem. Das Wort kommt zwar an, aber es klingt dumpf oder wird gar nicht aufgenommenen bzw. empfunden. Oft sind vor allem hohe Töne betroffen. So was kann auftreten und wieder verschwinden. Es wurde vielleicht von Krach, von sehr viel Stress oder von einer Krankheit ausgelöst, und später erholt sich das Gehör wieder. Denkbar ist aber auch, dass das Problem dauerhaft bestehen bleibt. Weil z. B. die kleinen Härchen in der Schnecke so abgenutzt sind wie die Borsten einer alten Zahnbürste. Weil sie einfach schon etwas älter sind, oder weil sie so viel Lärm abbekommen haben, dass sie fertig sind. Offiziell heißt das dann Schallempfindungsschwerhörigkeit. Innenohrschlappohrigkeit würde im Prinzip aber auch passen.
  3. ist eigentlich nur eine Mischung aus 1. und 2. Es gibt sowohl ein Problem mit der Schall-Leitung als auch eines mit der Empfindung von Schall. Offiziell heißt das dann: kombinierte Schall-Leitungs-Schwerhörigkeit.
Hund und Ventilator

Wie man Schlappohrigkeit begegnen sollte

Grundsätzlich aufmerksam, offen und aktiv. Wobei die große Kunst oft schon darin besteht, überhaupt erst einmal zu merken, dass etwas mit den eigenen Ohren nicht stimmt. Denn meist ist es ja nicht so, dass man gar nichts mehr hört. Es fehlen nur bestimmte Bereiche, vor allem die hohen Töne. Das macht es zunehmend schwerer, Gesprächen zu folgen.

Ist das der Fall, sollte man zum Ohrenarzt oder zum Hörakustiker gehen. Und man sollte sich klarmachen, dass es absolut normal ist, dass das Gehör irgendwann nachlässt. Etwa jeder fünfte Deutsche lebt mit mehr oder weniger ausgeprägten Schlappohren. Und die allermeisten von ihnen haben ein Problem mit der Schallempfindung (also mit Nummer 2).

Stoffhunde

Jede der drei Arten von Schlappohrigkeit lässt sich behandeln – mit Hilfe von Ärzten und Hörakustikern, manchmal durch Medikamente oder Operationen, meist jedoch mit passender und gut eingestellter Technik. Zwar ersetzt diese Technik kein natürliches, flotthöriges Ohr. Aber mir begegnen immer wieder Menschen, die mit ihrer Hörtechnik zufrieden sind, oft sogar sehr zufrieden. Sie erzählen, dass sie mit der neuesten Hörtechnik besser hören als je zuvor. Oder sie erzählen, dass sie damit Dinge hören, die sie zuletzt vor vielen Jahren gehört haben.

Mir fällt eine Frau ein, die ich zu ihren Erfahrungen mit Hörgeräten interviewt habe. Sie erzählte von einem besonderen Erlebnis. Es ging um einen Spaziergang, auf dem sie plötzlich in einer ganz anderen Zeit war. Mit einem Mal war sie nicht mehr Mitte 40, sondern ungefähr zwölf. In diesem Alter hatte sie nämlich angefangen zu segeln. Sie hatte ein kleines Segelboot bekommen, in dem sie allein auf einem See unterwegs war. Und beim Spaziergang war es ihr plötzlich, als säße sie wieder in ihrem kleinen Boot. Dieser Eindruck war für sie viel stärker und gegenwärtiger als eine einfache Erinnerung.

Woher das kam, wurde ihr erst einige Tage später klar. Sie hatte den Wind in den Pappelblättern gehört. Es war ein Geräusch, das sie als 12-jährige gehört hatte und danach lange Zeit nicht mehr hören konnte. Die Hörgeräte hatten ihr das Rauschen der Blätter zurückgeholt – und ein bisschen Kindheit.

Deko-Schaf

PS: Für den Beitrag hab ich diesmal Bilder mit Schlappohren gesammelt: einen Schlappohr-Rettungshund vom Tag der offenen Tür bei der Berliner Feuerwehr, einen Schlappohr-Hund mit Ventilator auf einem Müllhäuschen in Berlin-Schöneberg, einen Wackel-Dackel aus dem Technischen Museum Wien, Schlappohr-Hunde in einem großen Köpenicker Spielzeugladen (Achtung: eventuell werblich, jedoch keine bezahlte Werbung, nur dokumentierte Schlappohren!!!) und ein cooles Schaf (mit Schlappohren).


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