Einsteins Hörgerät? – Albert Einstein kennt natürlich jeder. Einstein war ein Genie. Und er hat herausgefunden, dass E = mc² ist. Was das bedeutet, versteht nicht jeder; ich auch nicht. Das E = mc² bedeutend ist, wissen wiederum alle.
Einstein hat eine Menge bedeutender Dinge entdeckt. Und er hat eine Menge Sachen gesagt, die ich besser verstehen kann als seine physikalischen Formeln. Er meinte zum Beispiel, dass Phantasie wichtiger ist als Wissen. Und dass es wahrscheinlich zwei Dinge gibt, die unendlich sind – das Universum und die menschliche Dummheit. (Beim Universum war er sich diesbezüglich nicht ganz sicher.)
Das mit der Dummheit klingt vielleicht überheblich. Aber Einstein hat in seinem Leben genug menschliche Dummheit erlebt, um so was sagen zu können. Andererseits war es ihm wichtig, dass Leute denken und versuchen, Dinge zu verstehen. Auf der IFA bzw. Internationalen Funkausstellung in Berlin – die damals noch Deutsche Funkausstellung hieß – hat er 1930 erklärt, dass sich jeder schämen sollte, der sich „gedankenlos der Wunder der Wissenschaft und Technik“ bedient und dabei nicht mehr von all dem kapiert als „die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst“.
Forscher, Erfinder und Hörtechnik
Ich denke zwar gelegentlich ganz gerne. Ich glaube jedoch nicht, dass ich jemals E = mc² verstehen werde. Dass ich keine große Ahnung von Technik habe, hatte ich an anderer Stelle schon angemerkt. Ich glaube auch nicht, dass Einstein von seinen Mitmenschen viel Technik-Ahnung erwartet hat. Dass er zum Beispiel erwartet hat, dass alle erst einmal verstehen müssen, wie ein Rundfunkempfänger funktioniert, bevor sie das Radio anschalten. Ich vermute, dass er lediglich wollte, dass sich die Leute überhaupt Gedanken machen – etwa darüber, wie sie mit Technik leben. (Bzw. wie sie mit Technik hören – was ja ein Grundanliegen dieses Blogs ist.)
Wie schon der Titel dieser Artikelserie nahelegt, hatte auch Einstein beim Hören mit Technik ein Wörtchen mitzureden. Und wie eine Reihe anderer Forscher und Erfinder vor ihm kam auch er auf das Thema Hörtechnik, weil es jemanden gab, dem bzw. der er ganz unmittelbar helfen wollte.
Meist denken Erfinder ja in größeren Zusammenhängen, wenn sie erfinden. (Zumindest scheint mir das so.) Sie suchen nach einer Lösung für die Menschheit, nach einer generellen Lösung für ein Problem, vielleicht auch nach einer Lösung, mit der man eine Menge Geld verdienen kann. Doch bei Hörtechnik gegen Schlappohrigkeit gab es immer wieder Erfinder, die mit dem Erfinden anfingen, um jemandem zu helfen, den sie persönlich kannten. (Mir fallen auf Anhieb mindestens vier oder fünf ein; etwa auch Thomas Alva Edison. Aber das ist eine andere Geschichte.) Und bei Einstein ging es um eine Opernsängerin – um Olga Eisner.
Tüftler und Wissenschaftler
Nun war Albert Einstein eigentlich gar kein Erfinder bzw. Ingenieur, der Dinge baut, die andere dann benutzen – also zum Beispiel Motorkutschen, Seifenblasen- oder Zeitreisemaschinen. Er hat in keiner Garage gehockt, jahrelang an irgendeinem Ding rumgeschraubt, und immer wieder gehofft, dass es endlich funktioniert – und ihm nicht schon wieder um die Ohren fliegt…
Einstein war Wissenschaftler. Und Wissenschaftler sind nicht wie der alte Pettersson, wie Daniel Düsentrieb oder „Doc“ Brown (der Typ mit den wirren Haaren aus „Zurück in die Zukunft I-III“). Wissenschaftler bauen nichts, sie erforschen eher die großen Zusammenhänge.
Schall-Tüftler Einstein und die Patente
Ein bisschen rumgetüftelt hat Einstein nur anfangs, als er noch in Berlin lebte. („Ein bisschen Technik dann und wann, manch Tüftler amüsieren kann“, hat er damals gereimt. Einstein hat öfter mal so einen Reim gemacht.) Und Schall hat ihn damals einige Zeit beschäftigt.
Bevor er 1932 in die USA ging, hatte er gemeinsam mit dem Elektroingenieur Rudolf Goldschmidt ein paar Hör-Dinge entwickelt. Es ging zum Beispiel um ein „Elektromagnetisches Antriebssystem“, das man für Lautsprecher nutzen konnte, und um eine spezielle „Vorrichtung für Schallwiedergabegeräte“. (Was das genau für Sachen waren, muss und will und kann ich hier gar nicht erklären.)
Einstein und Goldschmidt hatten mehrere dieser Erfindungen beim Deutschen Patentamt eingereicht, damit ihnen das Amt dafür Reichspatente ausstellt. Für die meisten Sachen gab es aber keine. Anfangs lag das wahrscheinlich daran, dass das deutsche Patentamt mit seiner Patentbearbeitung überlastet war und nicht hinterherkam. Und später gab es die Reichspatente dann auch nicht mehr, weil die unendliche Dummheit den Nazis an die Macht verholfen hatte, und das deutsche Patentamt Forschern und Ingenieuren aus jüdischen Familien keine mehr ausstellte. Ein Patent von Einstein und Goldschmidt verfiel zudem, weil die beiden die Gebühren nicht bezahlt hatten. Da war Einstein aber auch schon längst weg aus Deutschland.
Die schwerhörige Opernsängerin und Einsteins Geige
Nun aber zur Opernsängerin Olga Eisner: Sie und ihr Mann, der Pianist Bruno Eisner, gehörten zum Berliner Freundeskreis von Albert Einstein und dessen Familie. Einstein hatte eine Menge Freunde. Und er machte selbst gerne Musik. Er hat auch kluge Dinge über das Verhältnis von Forschung und Musik gesagt; und er spielte Geige. Manchmal musizierte er mit Physikern wie Max Planck und Max Born. Dann wieder musizierte er mit einem Buchhalter und einem Gefängniswärter, die gar nicht wussten, was Einstein außer Geige spielen noch so konnte.
Musikalisch mochte Einstein vor allem Mozart, Bach und Schubert. Beethoven fand er zu dramatisch und Wagner widerwärtig. Wie gut Einstein geigen konnte, darüber gibt es sehr unterschiedliche Aussagen. Er selbst hielt sich für einen Dilettanten; und er sagte, er könne sich ein Leben ohne Musizieren nicht vorstellen. Es gab einen Kritiker, der Einstein nur als Geiger kannte; nach einem kleinen Konzert hat dieser Kritiker geschrieben, Einstein spiele zwar ausgezeichnet, aber sein Weltruhm sei unbegründet, weil es viele ebenso gute Geiger gäbe wie ihn…
Zurück zu Olga Eisner, die immer schlechter hören konnte. Sie hatte nämlich Otosklerose. Das bedeutet, dass die winzigen Hörknöchelchen im Mittelohr teilweise verknöchern. Normaler Weise transportieren diese Knöchelchen die Schwingungen des Trommelfells weiter in Richtung Hörschnecke. Aber wenn die Knöchelchen verknöchern, bewegen sie sich nicht mehr gut. Dann kommt in der Hörschnecke immer weniger an.
Für eine Sängerin ist so etwas besonders furchtbar. (Zumindest ist das immer die allgemeine Vorstellung: Wenn jemand Sänger*in oder Musiker*in ist, dann muss es wohl besonders schlimm sein, nicht mehr zu hören. Natürlich ist es auch besonders furchtbar, wenn man sein Gehör verliert und nicht Sänger*in oder Musiker*in ist.)
Das Ehepaar Eisner kam jedenfalls auf die Idee, Albert Einstein zu fragen, ob er nicht etwas erfinden könnte, was das Hörproblem löst. Das führte dann zur Idee von Einsteins Hörgerät. Und ob das der Sängerin tatsächlich helfen konnte, erzähle ich im abschließenden dritten Teil der Artikel-Serie.
PS 1: Wie im Blog-Einstieg erklärt, mache ich Quellenangaben nur in Fällen, in denen ich ausführlicher aus einer Quelle geschöpft habe. Beim Artikel über Einsteins Hörgerät ist das der Artikel „Albert Einstein und die Akustik“ von Peter Költzsch, zu finden auf ResearchGate.
PS 2: Die meisten Fotos zu diesem Artikel-Teil über Einsteins Hörgerät habe ich am und im Einstein-Turm auf dem Telegrafenberg in Potsdam aufgenommen – ein berühmtes Bauwerk des Architekten Erich Mendelsohn. Der Bau wurde ursprünglich errichtet, um Einsteins Relativitätstheorie (also die mit E = mc²) zu überprüfen. Unter den Nazis hieß der Turm nicht mehr Einstein-Turm und Einsteins Büste, die zuvor in seinem Arbeitszimmer stand, sollte eingeschmolzen werden. Aber seine früheren Mitarbeiter haben sie versteckt. Den Schaukasten mit der Opernsängerin habe ich bei einem Spaziergang in Amsterdam gefunden.