Alt genug für Hörgeräte?

Warum es die Generation 50plus gar nicht gibt…
Deko-Artikel zum 50. Geburtstag

Generation 50plus??? Wie würdest du Leute nennen, die so alt sind, dass sie nicht mehr jung sind? Also wenn sie 50 und noch älter sind? Das ist ja definitiv nicht mehr jung. Auch wenn man sich vielleicht noch fit fühlt. (Und es ja immer heißt, dass man so alt ist, wie man sich fühlt…) – Also, wie würdest du zu solchen Leuten sagen? Senioren? (Im Ernst?! Ab 50?!) Oder Best Ager? Golden Ager? Silver Generation? Die neuen bzw. jungen Alten? Oder eben: Generation 50plus?

Ich bin gerade 50 geworden. Und ich kann mit all diesen Bezeichnungen nichts anfangen. Die gab es schon, als ich 40 war und kein Mensch auf die Idee gekommen wäre, sie könnten irgendwas mit mir zu tun haben – ich selbst schon gar nicht. (Mit 40 ist man ja noch ein bisschen jung, irgendwie…) Aber nun bin ich 50 und diese Begriffe stehen da, als hätten sie die ganze Zeit auf mich gewartet. Sie kommen mir vor wie alte Kleider oder Schuhe, die schon sonst wer getragen hat, und die ab jetzt meine sein sollen. Und das ist ehrlich gesagt: … zumindest irritierend…

Best-Golden-Ager-Silver-50plus-Generation-Typen

Es gibt Marketing- und PR-Bücher speziell über „die Zielgruppe“ jenseits der 50. In ein paar von denen habe ich auch mal gelesen. Schließlich geht es da um Leute, die die weitaus größte Käuferschicht für Hörgeräte bilden. Und schließlich ist Hörgeräte-PR meine Spezialstrecke

In den Büchern heißt es dann z. B., dass man im modernen Senioren-Marketing den Begriff „Senior“ unbedingt vermeiden soll, weil das bei Leuten jenseits der 50 eine Art allergische Reaktion auslöst. Und dann erfährt man, wie man die aktive, junggebliebene, Genuss-orientierte, informiert-kritische und kaufkräftige Zielgruppe stattdessen ansprechen sollte – also diese Best-Golden-Ager-Jungalten-Silver-50plus-Generation-Typen, von denen ich jetzt auch einer bin.

Bildausschnitt Womacka, Wenn Kommunisten träumen

Ganz ehrlich: Ich versteh mich zwar nicht als Senior (weil mir da gefühlt noch ein paar Jahre fehlen), doch vor all den anderen Betitelungen finde ich „Senior“ noch am ehrlichsten. „Senior“ hat ja auch was. Zumindest, wenn man es im Singular benutzt – und nicht gleich an Worte wie „Senioren-Residenz“ oder „Senioren-Teller“ denkt, sondern das Wort englisch oder auch spanisch ausspricht. Senior-Manager, Senior-Consultant… – im Englischen steht „senior“ nicht nur für den Älteren, sondern auch für den Vorrangigen. Und „el señor“ steht im Spanischen für Mann und Herr („señora“ entsprechend für Frau und Dame). Das spricht für Bedeutung und Erfahrung – auf jeden Fall für Würde.

Bei „Golden Ager“ hingegen denke ich an Goldkettchen, an Goldy-Hundefutter, an Zeitschriften, die das Adjektiv „golden“ im Titel haben, und die ich schon deshalb nur unter Zwang lesen würde. Ebenso ungern lasse ich mich zum Mitglied einer Silver-Generation versilbern. (Das erinnert mich an Autos mit Silber-Metallic-Lackierung.) Meine Haare sind nämlich nicht silbern – sondern grau. Mir würde nicht im Traum einfallen, das zu ändern. Ich finde grau verdammt cool. Mir fallen jede Menge cooler Frauen und Männer mit grauen Haaren ein. (Ich hab sogar mal Graue Panther gewählt, schon weil ich den Namen so cool fand.) Im Übrigen habe ich Zweifel, ob man mit 50, 60, 70 immer seine besten Jahre erlebt – wie die Bezeichnung „Best Ager“ so schön vorgaukelt…

Wie ich über die Generation 50plus stolperte

Noch unpassender, absurder, unsinniger als all diese anderen Marketing-Worthülsen finde ich jedoch: Generation 50plus (in den Marketing-Büchern mitunter auch: „Zielgruppe 50plus“ oder auch „50+“). Und das kam so:

Vor etwas mehr als zehn Jahren startete ich mein eigenes PR-Büro. Ich war ungefähr 40. Ich hatte mir einen kleinen Raum in einem recht schlichten Büro-Block gemietet. Immerhin hatte ich für mein Büro ein eigenes Logo, Visitenkarten und Briefpapier, einen Stempel und vor allem eine Homepage. Auf der konnten alle lesen, was ich so anbiete und mache: PR-Beratung und Betreuung, PR-Konzepte, Texte aller Art usw. – mit den Themenschwerpunkten Hörtechnik, Hörforschung, Hörrehabilitation und – das schien mir damals ok – für die Generation 50plus.

Schaufenster Trödelladen

Zum Büro-Start schickte ich Werbemails – an ein paar hundert Leute, mit denen ich über die Jahre durch meinen Job zu tun gehabt hatte. Ich lud sie alle auf meine Homepage ein. Etliche folgten der Einladung. Es gab nette Reaktionen. Man wünschte mir Glück und Erfolg… – Mit einer Ausnahme:

Diese Ausnahme war eine Bekannte. Sie ist Grafik-Designerin, war damals gerade 50 geworden und regte sich tierisch auf. Sie rief mich an und schimpfte wie ein Rohrspatz; und ich brauchte ein bisschen, bis ich verstand, was ihr Problem war. Es ging ihr um diesen Begriff „Generation 50plus“, den ich mir – in Anlehnung an die Bücher – auf meine kleine PR-Büro-Fahne geschrieben hatte. Sie fand diesen Begriff: „völlig daneben“.

Ich hab das erst für so was wie Midlife-Krise gehalten. Ich dachte, ihr sei ihr 50. Geburtstag auf den Magen geschlagen; eine Art 50plus-Blues. Ich habe Tage gebraucht, bis ich verstand, was sie eigentlich störte. Von da an störte es mich auch – und heute stört es mich umso mehr.

X, Y, Z – über Generationen und Zielgruppen

Was heißt überhaupt Generation? – Eigentlich ist eine Generation eine Altersgruppe; eine Gruppe aus Menschen mit ähnlicher Prägung, ähnlichen Erfahrungen. Es sind Menschen, die sich dadurch von den früheren Generationen ihrer Eltern und Großeltern unterscheiden; ebenso von den späteren Generationen ihrer Kinder und Enkelkinder. Man spricht dann z. B. von den Baby-Boomern (die steigende Geburtenrate nach dem Zweiten Weltkrieg), von der Generation X (zwischen 1965 und 1980 geboren), von der Generation Y bzw. den Millenials (zwischen 1980 und 2000), der Generation Z (allen, die danach geboren wurden).

Galerie der Lebensalter

Auch im Marketing nutzt man so was – zur Segmentierung. D. h. man legt sich Gruppen für ein Produkt A oder B zurecht, indem man mögliche Käufer nach ihrem Alter einteilt: die Zielgruppe der 20- bis 30-jährigen, die Käuferschicht der 30- bis 40-jährigen usw.

Diese Einteilungen sind hilfreich. Denn die Menschen einer solchen Gruppe – so unterschiedlich sie auch sind – haben eine Menge gemeinsam. Es macht eine Menge aus, welche Zeit dich geprägt hat. Ob du z. B. den Fall der Mauer und die Zeit davor noch bewusst erlebt hast (auf welcher Seite der Mauer auch immer). Und es macht eine Menge aus, ob du den Krieg bewusst (oder auch nicht so bewusst) erlebt hast.

Meine Oma und ich – alles 50plus?

Zwischen dem Krieg und dem Mauerfall liegen ungefähr 45 Jahre… – Was genau ist die Generation 50plus?

Kuckucksuhr

Meine Oma ist tot. Sie wäre jetzt Ende 90. Ich mochte meine Oma. Es wäre schön, wenn sie heute da draußen in der Sonne sitzen würde. Aber ich frage mich, wie sinnvoll es wäre, mit ihr in einer Zielgruppe, in einem Segment 50plus oder gar in einer Generation zu hocken…

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland ging in den letzten 100 Jahren immer weiter nach oben. Anfang des 20. Jahrhunderts lag das noch daran, dass die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern deutlich abnahm. Inzwischen liegt es daran, dass wir immer älter werden. Eine Frau, die heute 65 ist, kann davon ausgehen, dass sie im Schnitt noch 20 Jahre leben wird. Wer 2010 in Deutschland geboren wurde, kann sogar davon ausgehen, dass er oder sie zu 50 Prozent 100 Jahre alt wird usw.

Altes Kino

Der Begriff 50plus sagt gar nicht, wie alt du bist und welchen Teil der Geschichte du miterlebt hast. Er sagt nicht mehr, als dass du älter als 50 bist. „Generation 50plus“ sind alle Leute jenseits der 50 – nach oben hin offen. 55, 65, 70, 80, 100 – alle eine „die Zielgruppe“ oder eine „die Generation“. Ab 50 ist egal, was bis 49 noch einen Unterschied machte. Was du erlebt hast, als du jung warst und danach. Ob du Frank Sinatra oder Rudi Schuricke, Elvis, die Stones, ABBA, Bowie, Punk oder Michael Jackson gehört hast. Was du gut fandest und was nicht. Welche Klamotten du getragen hast. Wie du die Haare hattest…

Alles 50plus. Du bist jetzt eine Generation – zusammen mit denen, die damals deine Haare und deine Klamotten nicht mochten (was ja ok war) und die deine Musik nur „Hottentotten-Musik“ genannt haben (was natürlich gar nicht ok war).

Wie digital lebt ein 50-, 70- oder 95-jähriger?

Segmentieren heißt, Leute in Schubladen packen. Und in Schubladen denken, ist nicht immer schlecht. Es kann helfen, Dinge zu ordnen, um sich ein geordnetes Bild zu machen, um Zusammenhänge zu verstehen und dann planvoll vorgehen zu können. Zum Beispiel, wenn man Menschen jenseits der 50 was verkaufen will. Zum Beispiel, wenn man ihnen Hörgeräte verkaufen will.

Aber warum muss ich mit meinen Eltern und meinen Großeltern in einer Schublade sitzen?! Wie strategisch sinnvoll ist das?! Beispielsweise wenn es um den Umgang mit Hörtechnik geht?

Deutsches Technikmuseum

Neueste Hörgeräte können enorm viel (s. meinen Blog-Artikel „Der Fluch der Fleischbanane“). Sie sind smart. Sie sind tolle Medizinprodukte, die vom Hörakustiker an dein Gehör angepasst werden müssen. Und du kannst diese Geräte mit deinem Mobilgerät koppeln. Sie sind dann eine Art Schnittstelle zur digitalen Welt. Du kannst mit ihnen nicht nur besser hören, sondern alles Mögliche machen; mobil telefonieren, skypen, navigieren, E-Mails checken, Podcasts lauschen, mit Musik durch den Wald joggen oder entspannen, dir von Apps was vorsagen oder übersetzen lassen usw.

Wieder fällt mir meine Oma ein… – Wie digital ist das Leben eines 50-jährigen? Wie digital hat ein 70-jähriger bislang gelebt? Und wie ist das bei einem 95-jährigen? In welchem Alter hatten die ihren ersten Computer? In welchem Alter waren sie das erste Mal online? Wie alt waren sie, als sie ihr erstes Handy bzw. Smartphone bekamen? Und wie nutzen Sie das heute?

50plus = ungefähr drei Generationen

Es gibt keine Generation 50plus. Denn das, was „Zielgruppe 50+“ bzw. „Generation 50plus“ genannt wird, besteht aus ungefähr drei Generationen. Deren Prägungen und Erfahrungen sind sehr verschieden – etwa auch, was den Umgang mit Technik betrifft. Die Menschen werden immer älter. Die Technik-Welt dreht sich immer schneller. Strategisch ist es ziemlich unsinnig, all die Menschen jenseits der 50 in etwas zu stecken, was man Zielgruppe 50plus oder wie auch immer nennt. Außerdem ist es ignorant und kränkend. Weil es die Verschiedenheit älterer Generationen ausblendet.

Graffiti Frau

Warum muss man überhaupt so was werden, also 50plus zum Beispiel? Warum darf man nicht einfach bleiben, was man bislang war? Ich zum Beispiel verstehe mich als Kind der 80er. Das ist die Zeit, in der ich definitiv jung war, und die mich deshalb am meisten geprägt hat. Und ich finde es gut, wenn man sich treu bleibt, so gut es geht, egal, wie alt man ist – smart und gelassen. Und wenn man dabei möglichst gut hört. Mit Hörgeräten zum Beispiel. Damit man mitreden kann. Und damit man sich jung fühlt; weil man die Musik, die einen geprägt hat, immer noch hört.

Jimi Hendrix Graffiti

PS: Die Bilder zeigen diesmal der Reihenfolge nach: einen Blick in ein Regal mit Deko-Artikeln, einen Ausschnitt aus einem Gemälde des Malers Walter Womacka (das früher im Palast der Republik in Berlin hing, jetzt im Museum Barberini in Potsdam), einen Blick durch das Schaufenster eines Trödel-Ladens in Groß Bieberau (Hessen), hinter dem eine junge Frau von einem alten Gemälde blickt, eine „Galerie der Lebensalter“ aus der Kinderausstellung „Erzähl mir was vom Tod“, eine Kuckucksuhr, Reste eines alten Kinos in Lübeck, eine Vitrine mit Technik-Nutzern im Deutschen Technikmuseum Berlin, ein Graffiti aus Halle an der Saale mit dem Titel „Es ist zu spät, um deinen Eltern die Schuld zu geben“ und ein Graffiti aus Berlin-Friedrichshain, das Jimi Hendrix zeigt.


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