Ich bin PR-Berater für Hörgeräte; außerdem für Hörimplantate und einige andere Dinge, die mit dem Hören zu tun haben. Ich bin gerne PR-Berater für Hörgeräte. So was wird ja nicht jeder. Ehrlich gesagt, kenne ich kaum jemanden, der diese Arbeit ebenfalls macht. Deshalb, und weil das hier mein Blog über das Hören mit und ohne Technik ist, scheint es mir sinnvoll, einmal zu erzählen, wie ich zu meinem Job gekommen bin.
Amt für deutsche Romantik
Mein Einstieg in die PR (bzw. Public Relations oder Öffentlichkeitsarbeit) war klassisch: Ich hatte an der Humboldt-Universität zu Berlin (man sagt nicht „in“ sondern „zu“) Germanistik studiert; und wenn man Jahre lang deutsche Literatur studiert, kommt es häufiger vor, dass man später als PR-Berater endet. Zumindest bin ich schon einigen begegnet, denen es auch so ging.
Ganz genau genommen war mein Einstieg in die PR aber weniger klassisch, sondern eher – um bei der Literatur zu bleiben – romantisch: Als ich mich 1994 nach meinem Studium im Arbeitsamt einer kleinen Stadt am östlichen Rand von Berlin vorstellte, um mich arbeitsuchend zu melden, fragte mich die Frau hinterm Schreibtisch nach eventuellen Spezialisierungen. Ich nannte ihr daraufhin die Literatur der deutschen Romantik. Sie vermerkte das auf einer Kartei-Karte, weil Computer vermutlich gerade erst eingeführt wurden. Und danach sind wir uns nie wieder begegnet.
Gründe dafür gab es wohl mehrere. Zum einen vermute ich, dass sie in diesem Amt (jetzt heißt das „Agentur“, glaube ich) bis heute keinen suchen, der Germanistik studiert und sich auf die Literatur der deutschen Romantik spezialisiert hat. Außerdem hatte auch ich anderes zu tun, als die Frau in dem Amt ein zweites Mal zu besuchen. Zuerst schrieb ich an einer Doktor-Arbeit über den Dichter Ludwig Achim von Arnim. Da die nie fertig geworden ist, kann ich sagen, dass es im Ansatz eine ziemlich grundlegende Arbeit über Achim von Arnim war. Ich bekam sogar Stipendien dafür, also Geld, damit ich weiterarbeiten konnte. Meine Arbeit war jedoch so grundlegend, dass sie noch längst nicht fertig war, als das Geld alle war. Also habe ich anderswo Geld rangeschafft, und nebenbei weitergeschrieben. Irgendwann habe ich nur noch Geld rangeschafft und nicht mehr weitergeschrieben.
(Zum Foto: Hier siehst du den Dichter Ludwig Achim von Arnim sowie die Kopie eines Aufsatzes, den er geschrieben hat, als er zehn Jahre alt war. Es war ziemlich schwierig, herauszubekommen, was er da geschrieben hatte. Unter Romantik-Forschern gilt Arnims Handschrift als besonders unleserlich. Und er hatte offensichtlich schon sehr früh damit begonnen, unleserlich zu schreiben.)
Vier-Ohren-Maßnahmen
Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch noch kein PR-Berater, sondern alles Mögliche – freier Deutschlehrer, freier Dozent, freier Bewerbungstrainer, freier Journalist… (Frei war ich immer.) Und ich bin dabei jeder Menge Menschen begegnet. Ich habe z. B. Leuten aus allen möglichen Ländern Deutschunterreicht gegeben – Aussiedlerfamilien aus Kasachstan, „abgewickelten“ Industrie-Arbeitern aus dem Wedding, die man vor Jahrzehnten aus der Türkei geholt, jedoch nie deutsche Grammatik gelehrt hatte, Kindern aus Bosnien, die mit ihren Familien vor dem Krieg geflohen waren… Ich habe auch Kommunikations-, Präsentations- oder Verkaufsschulungen abgehalten – für angehende Immobilienverkäufer*innen, Autoverkäufer*innen, Wurstverkäuferinnen, Systemelektroniker*innen, Wachschutzleute. Ich habe ehemalige Textilarbeiterinnen, ehemalige Zerspanungsfacharbeiter, ehemalige Piloten, ehemalige Konsum-Verkäuferinnen und ehemalige NVA-Offiziere geschult. Ich bin sehr vielen Menschen begegnet, die – wie ich – in der DDR gelebt hatten und – wie ich – in den Jahren nach dem Mauerfall nach einem Anfang, einer zweiten Chance oder einfach einer Arbeit suchten.
Zu meinen Schulungsangeboten gehörte auch, Leuten zu helfen, ihre Bewerbungsunterlagen zusammenzustellen. Ich habe damals unzählige Lebensläufe zusammengestellt – für ganz normale Leute, die zuvor irgendwas gelernt und gearbeitet hatten, und auch für Leute, die nichts gelernt oder gearbeitet hatten, auch für Skinheads, Spinner, Trinker, für Frauen, die als Prostituierte gearbeitet hatten, einmal sogar für den Ex-Gitarristen einer ostdeutschen Punkband, von der ich eine Platte hatte…
Im Grunde genommen habe ich von all diesen Arbeiten schon einiges für meine spätere Tätigkeit als PR-Berater mitgenommen: Sich vom Leben anderer erzählen zu lassen, um anschließend gemeinsam Lebensläufe und Bewerbungsbriefe zu verfassen, ist im Prinzip auch PR. Und wenn man sich mit Themen wie Kommunikation beschäftigt, ist man ja dicht am Hören dran. Ich habe zum Beispiel unzählige Male das Vier-Ohren-Modell des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun erklärt und mit dem Overhead-Projektor an die Wand geworfen. (Beamer kamen gerade erst auf.) Im Allgemeinen halte ich nicht viel von Kommunikationsmodellen, aber dieses Modell ist wirklich brauchbar.
(Zum Foto: Zu sehen ist einer der wenigen Aktenordner mit Schulungsmaterial, die ich noch nicht entsorgt habe, außerdem das Modell von Friedemann Schulz von Thun, nach dem wir alle mit vier Ohren hören.)
Nach fünf, sechs Jahren hatte ich hunderte Overhead-Folien zu zich Themen, die in Aktenordnern lagerten, damit ich für zich Bildungsfirmen in Berlin und Brandenburg arbeitsamtsgeförderte Maßnahmen abhalten konnte. Ich hatte viel zu tun. Aber schön war diese Arbeit selten. Oft war sie frustrierend. Einmal habe ich ein dreiviertel Jahr Frauen in einer Stadt in Nordbrandenburg als Call-Center-Agentinnen geschult. Wir hatten ein Übungs-Call-Center mit vielen Telefonen. Die Frauen waren sehr freundlich und interessiert. Und sie kannten sich alle. – Von der Arbeit in einer Textilfabrik, die es nicht mehr gab, und aus vorherigen Arbeitsamtsmaßnahmen, in denen sie schon zu Floristinnen, Hauswirtschafterinnen oder sonst was geschult worden waren, für die es dort in der Gegend aber auch keine Stellen gab. Bei mir lernten sie Call-Center-Telefonieren. Das nächste Call-Center war zwei Stunden Busfahrt entfernt. Und als wir dort hinfuhren, empfing uns ein Herr, dem sehr an einer jugendlich-dynamischen Ausstrahlung zu liegen schien, und der den Frauen gleich erklärte, dass sie für sein Call-Center viel zu alt wären…
Kommunikationsmanagement mit Faxen
Also ließ ich diese Art Maßnahmen und ging in die PR. Ich habe am Berliner PR Kolleg die Prüfung der Deutschen Akademie für Public Relations gemacht, vorab ein paar interessante Seminare beim PR-Professor Eberhard Knödler-Bunte besucht, Bücher gelesen, an Projekten mitgearbeitet… – und dann einen Bürostuhl und einen Computer in einer Werbe- und PR-Agentur gefunden. Ich habe gelernt, was der Unterschied zwischen PR und Journalismus ist. Dass Journalismus immer nach der Wirklichkeit sucht, um sie abzubilden. Während PR eine Wirklichkeit konstruiert, die jedoch niet- und nagelfest sein muss, damit sie der Wirklichkeit standhält. – Was PR sonst noch ist und tut, darüber schreibe ich vielleicht mal an anderer Stelle. In jedem Fall ist PR Management von Kommunikation zwischen einer Organisation – also einem Unternehmen oder so etwas – und ihren Öffentlichkeiten – also den verschiedenen Zielgruppen. Das ist die PR-Definition von James E. Grunig und Todd Hunt. In der PR-Prüfung muss man so was vermutlich auch heute noch aufsagen können.
Ich konnte das und saß nun als PR-Berater auf dem Bürostuhl. Ich hatte einen Ausblick auf das Axel-Springer-Hochhaus. Und ich tippte Pressemeldungen in den Computer, um sie anschließend abzustimmen und zu verbreiten. Das war kurz nach der Jahrtausendwende. Kommunikativ lief vieles noch anders als heute. Wir schrieben uns zwar schon E-Mails. Aber niemand kam auf die Idee, Pressemitteilungen per Mail zu schicken. So was verschickte man immer per Fax. Und wenn die Fax-Software wieder nicht mitspielte, musste man seine Mitteilung für jeden Redakteur einzeln durchs Fax-Gerät schieben. Bei ein paar hundert Fax-Nummern konnte man sehr lange damit zubringen…
(Zum Foto: Das sind jetzt keine Fax-Rollen, sondern Hülsen der Berliner Rohrpost. Unter dem Pflaster der Stadt arbeitete von 1865 bis 1963 (Berlin West) bzw. 1976 (Berlin Ost) eine pneumatische Rohrpostanlage. Als ich begann, Pressemitteilungen zu versenden, gab es statt der Rohrpost schon Fax-Geräte.)
Kurz nachdem ich PR-Berater geworden war, kam ich an die Hörgeräte. Das ergab sich einfach. Ich bekam die Aufgabe, ein PR-Konzept für einen großen Hörgeräte-Hersteller zu schreiben. Dann setzte ich die Dinge, die ich in diesem Konzept vorgeschlagen hatte, um. Und dann bekam ich die Aufgabe, ein PR-Konzept für ein international führendes Forschungsunternehmen im Bereich der Hörtechnik zu schreiben, und immer so weiter.
Hören oder nicht hören…
Ich war Anfang 30, und Hörgeräte waren mir bislang nur sehr selten begegnet. Hätte mich vorher jemand gefragt, für was ich PR machen will, hätte ich sicherlich nicht „Hörgeräte“ gerufen. Aber ich merkte schnell, dass das passte. Ich lernte, was Hörgeräte können und was ein Hörakustiker ist. Ich traf Leute, die Hörgeräte entwickelten, vertrieben, anpassten oder trugen. Und ich erfuhr, dass es allein in Deutschland Millionen Menschen gibt, die Hörgeräte brauchen und doch keine tragen. Weil sie Angst davor haben, was andere von ihnen denken könnten. Weil sie zu wenig über Hörgeräte wissen. Oder weil sie noch gar nicht mitbekommen haben, dass sie schlecht hören…
Ich fand es von Anfang an spannend, PR für etwas zu machen, das viele Leute brauchen, und das eigentlich niemand haben will. Über Hörgeräte gibt es viel zu erzählen. Hören oder nicht hören – das ist schließlich nicht irgendwas. Weil man ja eigentlich immer und überall hört – oder eben nicht hört.
(Zum Foto: Das bin ich, als ich noch nicht so lange PR-Berater war. Ich hatte ein Werkstatt-Projekt organisiert, bei dem schwerhörige Jugendliche eigene Hörgeräte designt haben. Das Ding in meinem Ohr ist also keinesfalls ein richtiges Hörgerät; schon dieser lange rote Schlauch ist Quatsch. Es handelt sich vielmehr um ein spezielles, gebasteltes Politiker-Hörgerät, das damals in unserer Werkstatt entstanden ist, und mit dem Politiker ihr Volk besser verstehen sollen. Das Ohrpassstück – also das Ding im Ohr – stellt einen kleinen Politiker dar, der mit verschränkten Armen auf einem roten Sessel sitzt. Damals kam der Kanzler nämlich noch von der SPD. Das Bild ist also schon ziemlich alt.)
Als Berater in der Agentur habe ich auch PR für Schuhmode, für ein Möbelkaufhaus oder für Einkaufscenter gemacht. Aber das fand ich todlangweilig, weil es da eigentlich nicht viel zu sagen gab. Bei Schuhen gab es die Frühjahrs- und die Herbstkollektion. Im Möbelkaufhaus gab es hin und wieder ehrliche 10 Prozent Rabatt und im Einkaufcenter manchmal einen verkaufsoffenen Sonntag mit großem Glücksrad und Kinderschminken…
Ich war immer froh, wenn ich wieder ganz bei den Hörgeräten sein durfte und von den anderen Sachen verschont blieb. Andererseits hatte ich immer das Gefühl, von meinen Kollegen etwas bemitleidet zu werden. Sie durften sich mit den schicken Sachen wie Mode oder Lifestyle beschäftigen. Und ich war der mit diesen Hörgeräte, die ja eigentlich niemand haben wollte… – Wie gesagt, es passte einfach.
PR-Büro in maisgelb
Ungefähr sieben Jahre, nachdem ich zum ersten Mal auf meinem Bürostuhl in der Agentur Platz genommen hatte, war dann ein gewisser Punkt erreicht. Ich hatte inzwischen jede Menge PR für Hörgeräte gemacht. Sie waren mein Thema, für das ich nach wie vor brannte. Dennoch schien es die Zeit, um etwas zu verändern. Mir ging ständig ein Spruch durch den Kopf, von dem ich glaube, dass er vom PR-Professor Knödler-Bunte stammte: ‚Agenturen sind Durchlauferhitzer. Entweder du übernimmst sie irgendwann. Oder du verlässt sie.‘
Es gehörte nie zu meinen Träumen, Chef einer PR-Agentur zu sein. Ich finde es spannend, mich mit einem Thema wie den Hörgeräten zu beschäftigen, Leuten zu begegnen, sie zu interviewen, zu schreiben, Projekte zu entwickeln und umzusetzen. (Es muss auch Leute geben, die gerne Chef sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht zu ihnen gehöre.)
Also habe ich die Agentur nicht übernommen – sondern verlassen. Ich nahm mir ein kleines Zimmer in einem alten Büroblock und nannte das Zimmer PR-Büro. Es gab eine Heizung, eine Telefonbuchse, eine Alarmanlage, die man zum Feierabend einschalten musste, und einen Wachschutzdienst. Es gab graue Raufasertapete, die ich mit einer Farbrolle maisgelb übertünchte. Und es gab schwere Fenster, in denen nicht mehr das Springer-Hochhaus, sondern die blinkenden Girlanden und Fähnchen eines Autohändlers zu sehen waren. Um PR für Hörgeräte zu machen, war das alles völlig ok. Ich hatte mein eigenes Büro. Und ich habe es bis heute. Obwohl es inzwischen nicht mehr das kleine, maisgelbe Zimmer ist.
(Zum Foto: Hätte nie gedacht, dass ich für dieses Bild noch eine Verwendung habe… Es dokumentiert, wie ich im Frühjahr 2008 mein kleines Büro maisgelb gestrichen habe. Man sieht außerdem auch die Heizung und die Telefondose.)
Das ist eigentlich schon alles. Ich beschäftige mich nach wie vor damit, Medien, Zielgruppen, Öffentlichkeiten etwas über Hörtechnik zu vermitteln. Auf dem Tisch steht immer noch ein Fax-Gerät, das ich jedoch nur noch sehr selten brauche. Vor dem Fenster ist kein Autohändler mehr. Und ich bin jetzt so alt, dass es Sinn macht, sich hin und wieder zu fragen, ob man Hörgeräte braucht.
(Zum Foto am Anfang des Beitrags: Das ist erst vor ein paar Wochen auf einer Presseveranstaltung entstanden. Ich sollte ein Hörgerät in die Kamera halten – und ich habe mir dabei vorgestellt, ich wäre Klementine aus der Waschmittel-Werbung… – Um eventuelle Schleichwerbung zu vermeiden, sind Bildausschnitt und Fokus so gewählt, dass keinerlei Marke zu sehen ist – nicht einmal auf dem Hörgerät.)
2 Kommentare. Leave new
Ich trage selbst auch Hörgeräte. Seit ungefähr vier Jahren sind die Hörgeräte mein täglicher Begleiter. Ich bin sehr dankbar dafür, auch wenn sie nach langer Zeit des Tragens im Ohr weh tun. https://www.rempe.de/
Hallo Olli,
danke für den Beitrag. Freut mich, dass du mit deinen Hörgeräten soweit klar kommst. Was meint denn dein Akustiker dazu, wenn dir die Ohren nach längerem Tragen wehtun?
Beste Grüße
M.