Beethoven??? – Wie die Leser des ersten, zweiten und dritten Teils unserer Artikel-Serie bereits wissen, geht es hier nicht um Bernhardiner-Hunde, sondern um ihn: Ludwig van, den Komponisten, das musikalische Genie und das berühmteste Schlappohr der Weltgeschichte. – Der vorherige Beitrag ging der Frage nach, was diese Schwerhörigkeit mit Beethoven gemacht hat – also mit dem Menschen Ludwig van und mit Beethoven, dem Musiker und Genie. Hier folgt nun etwas zu Beethovens Hörhilfen.
Hollywood-Stoff
Oberflächlich betrachtet ist die Geschichte von Ludwig van schon so eine Art Hollywood-Story. Das musikalische Genie, das nicht mehr hören kann. Das ist so eine Geschichte, die man immer neu erzählen, inszenieren, ausschmücken, verfilmen kann, und die es immer wieder bringt. Die Herzen rührt. Weil ja beim Happy End – also wenn die 9. Sinfonie aufgeführt wird – alle jubeln. Weil trotz der Taubheit alles noch gut ausgeht. – Nur das Beethoven nichts vom Jubel gemerkt hat. (Als man ihn zum Publikum drehte, hat er es dann doch gemerkt…)
Ein Film mit Happy End müsste mit „der Neunten“ enden. Oder mit Beethovens Begräbnis, zu dem zehntausende Leute kamen. Aber man dürfte nicht zu genau hinsehen. Weil es genau genommen nicht mal Beethovens Begräbnis war – jedenfalls nicht so ganz.
Beethovens Schädel
Gleich nach seinem Tod wurde Beethoven obduziert. Die Ärzte haben sich nicht nur Gehirn und Brusthöhle, Leber, Milz und Nieren angeschaut. Sie nahmen sich auch sein Gehör vor.
Beim Obduktionsbericht ist u. a. vermerkt: „Zur genaueren Untersuchung der seit so lange schon verödeten Gehörorgane des Titanen im Reiche der Töne wurden beiderseits die Felsenteile der Schläfenknochen ausgesägt und mitgenommen.“ – Man hatte Beethoven also sozusagen das Gehör (oder genauer: das Gehörorgan) aus dem Schädel rausgesägt. Es soll dann lange in einem zugebundenen Glas bei einem Sektionsdiener gestanden haben. Später ist das Glas verschollen.
Überhaupt ist so einiges von Beethoven verschollen. Sein Schädel ist vor einigen Jahren in Kalifornien aufgetaucht – während der Schädel im Beethoven-Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof falsch sein soll. Man geht davon aus, dass der echte Beethoven-Schädel schon vor der Beerdigung ausgetauscht wurde. Und derjenige, der den echten Schädel unter der Hand gekauft hat, soll ihn wie eine Reliquie verehrt und dann innerhalb der Familie weitergereicht haben. (Armer Ludwig van!)
Medikamente und Ärzte
Aber kommen wir zu den Ärzten, die sich zu Lebzeiten um Beethoven gekümmert haben. Und zu den Therapien, die es damals für seine Schwerhörigkeit gab.
Beethoven hatte jede Menge Ärzte, einen nach dem anderen, manche auch gleichzeitig. Und das Verhältnis zu ihnen war immer schwierig. Ärzte leben vom Glauben ihrer Patienten. Beethoven hat gehofft und vertraut, und dann Vertrauen und Hoffnung verloren, immer wieder.
Gegen seine Schwerhörigkeit bekam er anfangs Ohrentropfen aus Mandelöl, Meerrettich, Nussschalenmilch, dann Tees. Dann setzt man ihm so genannte Vesikatorien auf die Arme. (Ich habe leider nirgendwo eine Abbildung von Vesikatorien gefunden. Aber es muss ziemlich weh getan haben.) Die Vesikatorien machten Blasen auf der Haut; und mit den Blasen sollte später die Schwerhörigkeit verschwinden. Tat sie aber nicht. Deshalb bekam Beethoven dann lauwarme Bäder in der Donau… – Heute klingt das alles ziemlich schräg. An Medikamenten, die gegen Schwerhörigkeit helfen, wird immer noch geforscht; aber es gibt noch keine. Die Methoden von damals entsprachen eben dem damaligen Wissensstand.
Beethoven war kein leichter Patient: Angeblich dosierte er Tinkturen, Mixturen, Pulver, Pillen, Kräuter und Tees seiner Ärzte so, wie es ihm selbst richtig schien. Und er soll Ärzte in „vernünftige“ und „unvernünftige“ Ärzte eingeteilt haben. Vernünftig waren die, deren Therapie Erfolge brachte, und die seine sonstigen Gewohnheiten nicht zu sehr einschränkten. Ein Arzt konnte den Status als „vernünftiger Arzt“ aber auch verlieren, wenn Beethoven unzufrieden wurde. War er mit einem Arzt zufrieden, dann widmete er diesem auch mal eine kleine Komposition.
Beethovens Hörrohre
Ziemlich bekannt sind Beethovens Hörrohre. Er hatte mehrere in unterschiedlichen Größen; solche, die mit Bügel am Kopf getragen wurden, und andere, die man sich ans Ohr halten musste. Aber er soll nur das eine Hörrohr tatsächlich benutzt haben. Und als er sein erstes Hörrohr bekam, war er schon über 15 Jahre schwerhörig.
(An dieser Stelle: Die Fotos von Beethovens Hörrohren hab ich im Beethoven-Haus in Bonn gemacht. Eigentlich darf man dort nicht fotografieren. Aber die Hörgräte bekam eine Sonder-Erlaubnis. – Danke, Beethoven-Haus!)
Gebaut hat die Hörrohre der Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel. Der hat übrigens auch das Metronom erfunden (also die Maschine, die den Takt beim Musikmachen vorgeben kann). Beethovens Hörrohre können Schall um etwa 15 bis 20 Dezibel verstärken. Das ist schon ein bisschen was. Aber nicht allzu viel. Beethoven war zeitweise immerhin so zufrieden, dass er dem Mechaniker auch eine kleine Komposition widmete.
Holzstab und Gehörmaschine
Mit einem Hörrohr am Ohr Klavier zu spielen – auf die Idee wird Beethoven vermutlich nicht gekommen sein. Eine Hör-Unterstützung, die er zeitweise beim Spielen nutzte, war ein Holzstab, der am Flügel befestigt wurde. Diesen Holzstab nahm Beethoven zwischen die Zähne. Er bekam dadurch die Schallschwingungen besser mit. Er hörte sozusagen auch mit den Zähnen. (Dass das grundsätzlich geht, hatte ich schon in einem anderen Beitrag geschrieben. In diesem Beitrag steht aber auch, warum die Wirkung bei Beethoven eher begrenzt war.)
Bei Beethoven war das Innenohr defekt, so dass auch Knochenschall hier nicht mehr ankam. Und nicht nur das. Als die Ärzte Beethoven obduzierten, zerlegten sie wie gesagt sein Gehör. Dass die kleinen Haarzellen im Innenohr defekt waren, konnten sie noch nicht sehen. Diese Haarzellen hatte man damals noch gar nicht entdeckt. Es gab noch kein Mikroskop, das gut genug gewesen wäre, um sie zu entdecken. Aber die Ärzte konnten teststellen, dass Beethovens Hörnerv zu dünn und zusammengeschrumpft war.
Um Musik noch wahrnehmen zu können, nutzte Ludwig van jedoch noch etwas: seine Gehörmaschine. Man weiß nicht genau, wie diese Maschine aussah. Bekannt sind nur die Form und das Material, aus dem sie gebaut war. Es gibt kein Bild von ihr.
In eine Klanghöhle eingesogen werden
Stell dir so was wie einen Klavierflügel vor, der keinen Deckel hat. Stattessen erhebt sich vor dem Klavierspieler ein riesiger, halbkreisförmiger Trichter, der ins Innere des Flügels führt. Wie der Eingang in eine schwarze Klanghöhle. Oder so, als würde eine riesige Trompete aus dem Klavierkasten auftauchen.
Tom Beghin, ein Pianist und Wissenschaftler aus Belgien, hat Beethovens Gehörmaschine nachgebaut. Er selbst ist nicht schwerhörig. Und er beschreibt, dass sich das Spiel mit diesem Trichter sehr speziell anhört. Als wäre man eine Raupe in einem Kokon aus Klängen. Ober so, als würde einen das Instrument in sich hineinziehen.
Übrigens: Kein Mensch weiß, wo Beethovens Gehörmaschine geblieben ist. Das finde ich bemerkenswert. Die Leute haben alles von ihm behalten. Sie haben ihm die Locken abgeschnitten. Sie haben sogar seinen Schädel geklaut. Seine Instrumente wurden nicht einfach irgendwo hingegeben. Eins von seinen Klavieren hat später Franz Liszt besessen. Dieses Klavier war eine Art Heiligtum. Aber die absolut einzigartige Gehörmaschine???
Beethoven und die moderne Technik
Ich vermute, die Leute wollten das einfach nicht. Die wollten ihren Beethoven als Genie. Und die Schwerhörigkeit war für sie so ein Ding, das das Genie irgendwie noch genialer machte. Ein Komponist, der nichts mehr hört, und gerade deshalb die großartigste Musik komponiert. – „Das ist doch göttlich!“ – „Das kommt irgendwie von ganz oben…“ – So, wie ein blinder Seher, der die Zukunft sieht. Also, so ein göttliches Ding war ok. Aber ein waschechtes Schlappohr, das seine eigene Komposition nicht einmal dirigieren kann, war nicht ok. Man wollte das Genie, nicht das Schlappohr. Also brauchte auch keiner diese Maschine… (Natürlich ist auch das nur eine Theorie. Beethovens Hörrohre gibt es immerhin bis heute.)
Ob Beethoven mit modernen Hörgeräten besser gehört hätte? In den ersten Jahren seiner Schwerhörigkeit bestimmt. Und später hätten ihm vermutlich Hörimplantate helfen können – Cochlea– oder sogar Hirnstamm-Implantate. Auf die Verständigung mit Konversationsheftchen hätte er dann wahrscheinlich verzichten können. Hätte er wieder Musik hören können? Sicherlich nicht so, wie er sie gewohnt war – und schon gar nicht von heute auf morgen.
Wäre er ein anderer Mensch gewesen? Wissen wir nicht. Aber wie ich schon im vorangegangenen Artikel schrieb: Es ist nicht so selten, dass sich Menschen sowohl durch Hörverlust als auch durch wiedererlangte Hörfähigkeit in ihrem Wesen sehr verändern können.
PS: Wie schon angemerkt, zeigen die Fotos zu diesem Beitrag über Beethovens Hörhilfen seine Hörrohre. Die sind im Beethoven-Haus in Bonn zu sehen, wo ich sie fotografieren durfte – mit freundlicher Genehmigung des Beethoven-Hauses und bestem Dank dafür.
4 Kommentare. Leave new
ccol
Danke!
Ich habe Ihren Artikel und Ihre Fotos mit Interesse und Bewunderung angesehen. Ich gratuliere Ihnen zu diesem schönen Artikel und danke Ihnen für die Informationen, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben. Mit freundlichen Grüßen. Adnan Atalay
Vielen Dank Annan Atalay, das freut mich sehr. Viele Grüße, Martin Schaarschmidt