Im ersten Teil des Artikels über die Wirkung von Sprechen hatte ich geschrieben, dass die Art, wie wir Dinge sagen, auch eine Menge sagt – oft sogar mehr als das, was wir (wortwörtlich) von uns geben. Und es ging um Sprechwirkungsforschung, die genau solche (nichtsprachlichen) Aspekte des Sprechens untersucht. Im zweiten Teil des Beitrags geht es nun um Sprechwirkung, die die Welt – also deine und meine – tagtäglich prägt und verändert. Es geht um Politikerinnen bzw. Politiker und Sprechen.
Vom Politiker*innen-Sein
Wer Politiker*in ist, ist das wahrscheinlich nur, weil er bzw. sie das will. Ich vermute, die meisten Menschen möchten es nicht sein. Nach allem, was man hört, verdient man in der Politik zwar ganz gut. Dafür muss man jedoch eine Menge in Kauf nehmen. Keine geregelten Arbeitszeiten. Man muss sich ständig zu allen möglichen Dingen äußern, steht ständig unter Beobachtung. Jeder unüberlegte Satz kann einen Shitstorm auslösen. Jedes unfreiwillig komische Foto macht die Runde. Jedes missglückte Outfit wird – insbesondere bei Politikerinnen – durch den Kakao gezogen.
Man braucht Nehmerqualitäten, denn man bekommt eine Menge ab. Natürlich nur, wenn man auch wirklich eine Rolle spielt bzw. erfolgreich ist. Hinterbänkler bekommen selten was ab. Richtig erfolgreich wird man in der Politik aber nur, wenn man die vorderen Posten ergattert. Und die gibt es scheinbar nur dann, wenn man tatsächlich mächtig sein und was zu sagen haben will. Wenn man kein großes Problem damit hat, dass andere Leute grundsätzlich etwas anderes sagen bzw. meinen als man selbst. Wenn man diejenigen von sich überzeugt, denen die eigene Position (also die vom Politiker) ins Konzept passt. Und wenn die eigene Position so ist, dass sie möglichst vielen ins Konzept passt – aber natürlich längst nicht allen.
Worte, Floskeln, Sprache in der Politik
Sehr irritierend ist, dass zu dieser Überzeugungsarbeit scheinbar eine Sprache gehört, die eher nicht anschaulich und leicht verständlich oder gar kurzweilig, witzig und unterhaltsam ist. Stattdessen scheinen Politiker*innen Worte zu mögen, die etwas meinen und zugleich auch nicht meinen. Die so gut greifbar sind wie glitschige, nasse Fische. Sie sagen dann zum Beispiel „Nullwachstum“, „Entschleunigung“ oder „effektivere Priorisierung“. Sie benutzen Floskeln wie „wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen“ oder dies oder jenes wäre „der Preis der Globalisierung“ oder würde „den Wirtschaftsstandort gefährden“.
Es scheint so eine Art Floskel-Baukasten zu geben, aus dem sich Politiker*innen bedienen, wenn sie ihre Sätze zusammenschrauben. Und damit die Statements dennoch neu, „innovativ und lösungsorientiert“ wirken, verpassen die Politiker*innen alten Dingen neue Namen, man „schnürt Pakete“ und „startet Offensiven“. Seit auch eine Partei im Bundestag sitzt, die sich „Alternative“ nennt und offen rassistisch-chauvinistische Positionen vertritt, ist zudem eine Verrohung der Politiksprache feststellbar.
Verschweigen und offenbar werden lassen
Mal ganz abgesehen von diesem letzten Punkt, der vielen Leuten missfällt (mir auch); die Worte, die Politiker von sich geben, die ganze Politik-Sprache ist den Leuten schon immer aufgestoßen. Und diese Sprache hat natürlich etwas mit Politik zu tun. Sie hängt damit zusammen, dass man zwar einerseits etwas sagen muss, es aber andererseits gar nicht will – jedenfalls nicht vor dem Zeitpunkt, an dem man die Katze dann aus dem Sack lässt. Bis dahin ist es strategisch viel klüger, das, was man vorhat, nicht wirklich zu verraten.
Genau das macht das Wie des Sprechens bei Politiker*innen so interessant. Die Art und Weise, wie sie etwas sagen, ist wie ein hörbares Spiegelbild ihrer „Seele“ (oder was auch immer man in sich trägt). Über den Klang der Stimme, über die nichts-sprachlichen Teile des Sprechens kann man erfahren, ob ein Mensch gerade gut drauf ist oder nicht, ob er traurig ist, Angst hat. Das gilt auch für Politikerinnen bzw. Politiker und Sprechen.
Wobei: Wie sie sprechen, kann natürlich auch auf Gefühle zurückzuführen sein, die relativ schnell wechseln können und die gar nicht unbedingt was mit Politik zu tun haben. Vielleicht ist die Politikerin nur gerade verliebt; oder der Politiker hat gerade Zahnschmerzen…
Selbstbeherrschung und Persönlichkeit
Politiker*innen sind natürlich geübt darin, diese Dinge möglichst im Griff zu haben und sich zu kontrollieren, soweit man das kann. Deshalb sieht man sie z. B. auch nicht so oft lachen – bzw. nur sehr kontrolliert lachen. (Sehr mächtige Menschen – oder auch solche, die gerne besonders mächtig wirken wollen – lachen öffentlich oft gar nicht mehr; oder ihr Lachen wirkt schnell ziemlich unheimlich.)
Neben diesen unmittelbaren Gefühlen bestimmt aber noch ein zweites Ding die Art, wie wir sprechen. Das hängt nämlich auch noch von unserer Persönlichkeit ab. Der Sprechwirkungsforscher Professor Dr. Walter F. Sendlmeier, den ich schon im ersten Teil vorgestellt hatte, erklärte mir das so: „Früher nannte man das Charakter. Heute spricht man in der Persönlichkeitspsychologie von Persönlichkeitsstrukturen. Der eine ist generell eher ängstlich oder emotional labil. Und andere haut gar nichts um, die stehen wie ein Fels in der Brandung. Oder ein Mensch ist eher gesellig; er fühlt sich unter vielen Menschen wohl. Andere sind eher unabhängig von dieser Geselligkeit; sie müssen zwar nicht sozial gehemmt sein, aber sie sind auch gerne mal mit sich allein, gehen weniger aktiv auf Menschen zu.“
Die Beliebtheit selbstverliebter Psychopathen
Gehörst du auch zu jenen, denen immer noch nicht so ganz klar ist, warum ein Typ wie Donald Trump amerikanischer Präsident werden konnte? Warum fallen Leute immer wieder auf angebliche Heilsbringer, auf die Blender mit den scheinbar simplen Lösungen für alles, auf selbsternannte Genies und selbstverliebte Psychopathen herein – und verhelfen denen dann mit ihrer Wählerstimme zur Macht?
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Wahlerfolg von Trump weniger mit seiner Frisur oder seinen Affären zu tun hat, vielmehr mit der Art, wie er von vielen als Persönlichkeit erlebt wird – auch und gerade über seine Stimme und über sein Sprechen.
Wie Journalist*innen Politiker*innen bewerten
Professor Sendlmeier, den ich schon einige Zeit vor Trumps Wahl interviewt hatte, hat u. a. auch das Sprechen von Politiker*innen untersucht – für ihn ein „wichtiger sozialwissenschaftlicher Anwendungsbereich“ seiner Forschungsarbeit. Und er kam u. a. zu folgendem Schluss:
„Die Bewertungen, die Journalisten über Politiker fällen, sind oft sehr mager. Weil die Zusammenhänge der Stimmfunktion und des Sprechens so komplex sind, weichen sie auf Äußerlichkeiten aus. Man liest dann über die Frisur von Frau Merkel oder über die Farbe eines Schlipses. Das ist oft unergiebig und belanglos. Untersucht man jedoch die Wirkung auf den Hörer genauer, dann stellt man fest, dass die Art und Weise, wie z. B. die Politiker sprechen, viel, viel mehr Einfluss auf unsere Wahrnehmung hat als ein Schlips oder eine Frisur. Dieser lautsprachliche Aspekt wird in den Medien jedoch weitgehend ignoriert – wohl auch, weil er schwer in Worte zu fassen ist.“
PS: Die Bilder zum Beitrag über Politikerinnen bzw. Politiker und Sprechen zeigen Politiker*innen-Münder von Wahlplakaten zur Europa-Wahl 2019. Falls du diesen Artikel am Tag seines Erscheinens liest und wahlberechtigt bist: Zu der Wahl solltest du unbedingt hingehen. Politiker und Sprechen hin oder her – wählen gehen finde ich auf jeden Fall wichtig.