Bilder vom Hören (Teil 1)

Über die Schwierigkeit, Gehörtes in Bilder zu fassen
musizierende Engel

Kann man Bilder hören? Die Frage scheint vielleicht etwas speziell. Aber wenn man einen Blog über das Hören mit und ohne Technik macht, den man obendrein wöchentlich mit Fotos bestückt (wobei es keine Fotos mit neuesten Hörgeräten sein sollen), dann stellt man sich so eine Frage – und kommt zu überraschenden Ergebnissen. Ich denke nämlich, dass es Bilder gibt, die man hören kann (wenn auch nicht mit den Ohren). Ich bin ständig auf der Suche nach „Hör-Motiven“ und ich finde sie überall.

Wie sieht jemand aus, wenn er oder sie hört? Auch das eine etwas spezielle Frage. Wenn du anfängst, ernsthaft nach einer Antwort zu suchen, wirst du feststellen, dass es schwer ist, eine zu finden. Denn wer hören kann, hört immer. Der Hörsinn ist Tag und Nacht da. Und wie sieht jemand aus, der was tut, was er rund um die Uhr immer tut?

Junge mit Kopfhörern

Die Hand am Ohr

Es gibt eine Geste, die deutlich sichtbar macht, dass jemand gerade hören will. Diese Geste ist bei Leuten, die sich beruflich mit Hörtechnik beschäftigen, ziemlich beliebt. Es gibt zich Foto-Motive, in denen sie jemand macht, um deutlich zu zeigen, dass es ihm jetzt gerade ums Hören geht. Viele Hörakustiker*innen lassen sich mit dieser Geste fotografieren. Es gibt sogar einen Hörgeräte-Hersteller, der Fotos von ganz vielen Promis benutzt, die alle diese eine Geste machen. Und das ist die berühmte Hand am bzw. hinter dem Ohr.

Hörgräte mit Trump

Wer sich die Hand wie eine Art Trichter hinters Ohr legt, der will ganz eindeutig was hören. Diese Hand verstärkt tatsächlich die Funktion der Ohrmuschel. Die Geste bringt ein Plus an Verstärkung von bis zu 15 Dezibel. Genau genommen ist diese Geste deshalb die älteste Hörhilfe der Welt. Und genau genommen ist das Motiv, bei dem jemand die Hand am Ohr hat, deshalb auch gar keins, auf dem jemand hört – sondern eins, auf dem er das offensichtlich gerade nicht ausreichend konnte. Sonst würde er ja nicht die Hand am Ohr haben, oder?

Ein Foto-Shooting

Lässt man diese Geste weg und versucht, jemanden so darzustellen, als würde er gerade nichts anderes tun, als das Hören zu genießen, kann das ziemlich nach hinten los gehen. Mir ging das mal so bei einem Foto-Shooting für Bilder vom Hören, das ich gemeinsam mit einer Fotografin für einen meiner Kunden organisiert habe. Wenn so ein Shooting gut werden soll, muss man eine Menge bedenken und planen. Wir erstellten eine Liste mit Motiven, die umgesetzt werden sollten. Wir brauchten passende Models, die wir selbst gecastet haben. Wir suchten für die Motive passende Locations. Die Models mussten die passenden Kleider haben. Wir hatten dafür eine Stylistin, außerdem eine Visagistin. Es mussten andere Dinge beschafft und der Ablaufplan für zwei Shooting-Tage durchgeplant werden… Kurz gesagt, war alles ein ziemlicher Stress, und ich war froh, als das erledigt und gut gelaufen war. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. – Bis auf das eine Motiv von Marianne…

Marianne war eines unserer Models. Alles Laienmodels, die das erste Mal bei einem Shooting dabei waren, und die das großartig gemacht haben. Da es um Hörgeräte ging, und Marianne eine Frau im „besten Hörgeräte-Alter“ verkörpern sollte, war sie natürlich nicht mehr ganz jung, sondern Mitte 50. Und auch sie hat das prima gemacht. Sie war die Kundin, die sich das Gehör testen und zu Hörgeräten beraten ließ, mit Max, ihrem „Shooting-Partner“, im Restaurant plauschte, die ihrer kleinen „Shooting-Enkelin“ Bilderbücher vorlas oder als taffe Geschäftsfrau telefonierte.

Hören genießen

Alles prima Fotos – bis auf besagtes Motiv, in das wir die meiste Zeit und die meisten Nerven gesteckt hatten, und bei dem es einfach nur darum ging, Marianne das Hören genießen zu lassen. Location war der Lietzenseepark in Berlin-Charlottenburg. Das Foto-Team hatte einen Platz mitten auf der Wiese gewählt. Berliner Grün. Über uns kaum ein Wölkchen. Im Hintergrund des Bildes würde man vermutlich noch den Funkturm erkennen, und im Vordergrund Marianne, die einfach nichts anderes tun sollte, als sich ganz den berauschenden Klängen eines freundlichen Tages zu überlassen.

Sie tat was sie konnte. Drehte sich immer wieder um die eigene Achse, so wie es die Fotografin ihr sagte. Schloss dabei die Augen. Hob ihr Gesicht gen Himmel. Streckte die Arme hingebungsvoll diesem imaginären Meer an Klängen entgegen. Versuchte immer wieder neue Varianten. Begann irgendwann damit, sich selbst zuzusprechen, indem sie immer wieder ausrief: „Ich höre! Ich höre!“ Was bald darauf in einem kollektiven Lachanfall endete. Es ging so lange, bis wir abbrachen, weil noch weitere Motive auf dem Plan standen und das Licht irgendwann nachlassen würde.

Die bekiffte Marianne

Kurz gesagt: Marianne sah bei diesem Motiv überhaupt nicht so aus, als würde sie gerade das Hören genießen. Sie sah eher so aus, als wäre sie bekifft. Als wir die Aufnahmen vor uns hatten, kamen wir mehr oder weniger alle zu dem gleichen Schluss. Sie sah aus, als hätte sie was genommen und würde nun ziemlich abgedreht durch den Park am Lietzensee tanzen. Der Versuch, jemanden so zu zeigen, als würde er sich voll auf diesen einen Sinn konzentrieren, war voll danebengegangen. Das auf dem Foto war nicht „ganz Ohr“, eher schon „nicht ganz bei Sinnen“.

Natürlich kann man in Bildern zeigen, wie jemand hört – indem man das, was er hört, gleich mit in das Bild bringt, so wie auf diesem Foto aus den Anfangsjahren des Rundfunks. Man kann auch Menschen und Dinge ins Bild holen, die ganz offensichtlich hörbaren Schall erzeugen – so wie die musizierenden Engelchen von Jacob Cornelisz van Oostsanen weiter oben. Man kann Ohren zeigen, wie bei dem Foto mit Streetart aus der Londoner Brick Lane. Man kann auch Stille ins Bild holen. Auf dem nachfolgenden Bild von Andrea Mantegna ist es offensichtlich seit mehr als 500 Jahre sehr still, denn sonst würde das Kind (bzw. Jesus) nicht immer noch friedlich schlafen. Aber eigentliches Hören zu zeigen, ist verdammt schwer – und es birgt immer wieder Missverständnisse. Um ein sehr bekanntes diesbezügliches Missverständnis geht es im zweiten Teil des Artikels über Bilder vom Hören.

PS: Auf Fotos aus dem beschriebenen Shooting habe ich bei diesem Beitrag bewusst verzichtet. Zum einen aus rechtlichen Gründen. Zum anderen waren es auch Image-Fotos, die ich – so wie auch Fotos von aktuellen Produkten – hier grundsätzlich nicht verwende. Mehr dazu findest du im Blog-Einstieg.


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