Im letzten und im vorletzten Hörgräten-Artikel ging es um den Zusammenhang von Lärm und Macht sowie darum, welche Beziehungen Menschen zu Autos haben. Beim Thema Auto bleibe ich noch ein bisschen. Es geht um Autoklänge, oder besser gesagt, um den einen, allerwichtigsten Autoklang: um den Klang von Verbrennungsmotoren. (Also nicht um den Klang zuschlagender Autotüren, um den Klang von Blinkgebern usw.)
Das Motorengeräusch (bzw. der Autoklang) ist nicht irgendein Geräusch. Der Klang von Autos ist das vorherrschende Geräusch der modernen Welt. Wenn es in Berlin einmal sehr, sehr still ist, also Mitten in der Nacht, dann ist dieses Geräusch immer noch da. Vielleicht hört man auch den Wind, einen Vogel, eine Bahn. Aber das Geräusch der Straßen ist nie ganz verschwunden. „Der Verbrennungsmotor ist der Grundlaut der gegenwärtigen Zivilisation“, sagt der Hörforscher R. Murray Schafer. Dieses Geräusch sei so allgegenwärtig wie das Geräusch des Wassers an einer Küste oder das des Windes in der Wüste.
Kutsche mit Motor
Am Beginn des Autos stand die Erfindung des Verbrennungsmotors. Vor etwa 160 Jahren ließ sich der Deutsche Christian Reithmann den Viertaktmotor patentieren. Als erstes Automobil mit Verbrennungsmotor gilt der Patent-Motorwagen Nummer 1 von Carl Benz 25 Jahre später. Der Erfolg war nicht zuletzt ein PR-Erfolg. Der Motorwagen bekam ein großes mediales Echo und ging dann in Serienproduktion.
Der Motor ersetzte das Pferd. Die ersten Autos waren Kutschen ohne Pferde bzw. Motorkutschen. Die ersten Autobauer waren eigentlich Wagen- bzw. Kutschenbauer, und deshalb sahen ihre Autos auch wie Kutschen aus. Autos klangen natürlich ganz anders als Kutschen. Als Autos erkannte man sie auch dann, wenn man sie noch nicht sah.
Das Verhältnis der Menschen zu ihren Autos ähnelte anfangs ebenfalls dem Verhältnis zu Kutschen. Autos waren teuer. Sie waren etwas für Leute, die sich bis dahin in Kutschen chauffieren ließen – von einem Kutscher, der bei Wind und Wetter vorne auf dem Bock saß und die Pferde antrieb…
Mensch und Auto
Für diese Leute war es alles andere als selbstverständlich, ihr Automobil selbst zu fahren. Das blieb vorerst Aufgabe des Kutschers bzw. des Chauffeurs. Und es änderte sich erst nach und nach und hatte sehr viel mit dem Verhältnis von Mensch und Technik zu tun. Pferde zu führen, war für die meisten Leute nichts, was sie unbedingt machen wollten. Ein Automobil selbst zu steuern, die Maschine zu kontrollieren, dabei von allen bestaunt zu werden und Aufsehen zu erregen – das war etwas anderes. (Vermutlich ist es auch weniger anspruchsvoll als ein Pferdegespann zu kontrollieren.)
Damals kam dann der Begriff vom „Herrenfahrer“ auf. Das war der Herr, der das Ding bzw. sein Auto selbst im Griff hatte. Der keinen Kutscher oder Chauffeur mehr brauchte, für den das Steuern eines Autos von A nach B nicht Arbeit und schlichter Transport war, sondern Vergnügen. „Herrenfahrer“ bezeichnete eine Art neuen Lifestyle. (Und natürlich steckt in dem Wort, dass dieses Vergnügen ein in aller Regel den Männern vorbehaltenes Vergnügen war. Der erste Autofahrer jedoch war definitiv eine Fahrerin: Berta Benz.)
Autoklang – eigentlich ganz menschlich
Das Bild zeigt ein Auto, das bei mir um die Ecke, also in Berlin-Köpenick, Oberschöneweide gebaut wurde. Emil Rathenau, der Chef der AEG, fand um 1900 ebenfalls Interesse an Autos. Er ließ erst von einem Professor einen Probewagen bauen, den AEG 1901. Und dann kaufte die AEG eine Wagenbaufirma inklusive Motorwagenabteilung, Patenten, Ingenieuren, Facharbeitern. Die fertigten fortan den NAG (für Neue Automobil Gesellschaft), den es bald darauf sogar mit Elektromotor gab; was bei einem Unternehmen, das aus der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft hervorgegangen ist, wohl auch nicht verwundert. Aber das ist ein anderes Thema. Die NAG kam später unter die Räder der Weltwirtschaftskries. Fahrzeuge mit Elektromotor verschwanden erstmal wieder. Es blieb der Verbrennungsmotor.
Anders als Meeresbrandung und Wind ist der Autoklang ein von Menschen gemachter Klang, den es in der Natur so vorher nicht gab bzw. nur so ähnlich. Wie Schafer schreibt, erzeugen wie Menschen Geräusche, die an einen Verbrennungsmotor erinnern: „Abgesehen von der Lautstärke, ist der menschliche Laut, welcher dem Geräusch des Verbrennungsmotors am meisten ähnelt, der Furz.“
Klang und Bedeutung
Ein Gedanke, den ich immer wieder spannend finde, ist der, dass vor den Zeiten moderner Technik jedes Geräusch eine tatsächliche Bedeutung hatte. Aufkommender Wind, Vogelgesang, Post- oder Jagdhorn, Glockenläuten, Bienensummen… – bevor die industrielle Revolution mit ihrem ununterbrochenen Betrieb endlose und für uns bedeutungslose Dauertöne schuf, hatte uns jedes Geräusch der Welt etwas zu sagen.
Dieser Punkt war unter anderem auch Thema meines Beitrags über das Projekt „Sechserläuten“ von Sam Auinger. Das lange Interview, das ich vor einigen Jahren mit dem Künstler und Klangphilosophen Sam Auinger geführt habe, gehört für mich zu den spannendsten Hör-Gespräche aus 20 Jahren, in denen ich ständig mit Leuten über Hören redet habe.
Autoklang und Klangphilosoph
Das Thema Autoklang kam in diesem Interview auch zur Sprache. Etwa im Zusammenhang mit der Frage, wie es Menschen überhaupt geschafft haben, sich an ein Leben mit Autolärm zu gewöhnen. Dazu Sam Auinger:
„Unsere heutige akustische Belastung entstand durch fortlaufende Additionen. Ich habe z. B. im Theater Darmstadt gearbeitet. Das wurde in den 60er Jahren gebaut – und zwar ausgehend von der Luxus-Idee, man müsste mit dem Auto nahezu direkt an seinen Sitzplatz kommen. Das Auto, der Traum von Freiheit, Bewegung und Komfort, stand im Zentrum aller Überlegungen. Wie sich dieser Traum einmal entwickelt, hat man vermutlich nicht prognostizieren können. Die Menschen im Brenner-Tal freuen sich heute auf die Urlaubszeit. Denn dann kommen die großen Staus und die Autobahn wird ruhig.“
Außerdem hat mir Sam Auinger auch von einem Kinderspiel erzählt, das mit Autoklängen zu tun hatte. Das dann im zweiten Teil dieses Artikels.
PS 1: Die Zitate von R. Murray Schafers stammen aus „Die Ordnung der Klänge. Eine Kulturgeschichte des Hörens“, erschienen 2010 in SCHOTT-Musikverlag.
PS 2: Die Fotos des Beitrags zeigen einen NAG Klingenberg Wagen aus dem Berliner Technik-Museum; auch die von der Decke hängenden Kutschen-Scheinwerfer habe ich dort fotografiert. Das Rad und die Tür stammen von einem alten sowjetischen Lastwagen aus dem Ziegeleipark Mildenberg.