Vom Micky-Maus-Stimmen hören

Wie hört man mit einem elektronischen Ohr? (Teil 2)
Micky-Maus-Plattenspieler

Micky-Maus-Stimmen hören? – Im ersten Teil des Blog-Artikels über das Cochlea-Implantat (bzw. CI) hast du erfahren, was ein CI ist, wofür man es braucht und wie es funktioniert. Noch offen ist die Frage, wie man damit hört. Tatsächlich so, als würde man Micky-Maus-Stimmen hören? Darum soll es jetzt gehen. Aber erst einmal:

Wie bekommt man ein CI?

Damit alles wie in Teil 1 beschrieben funktionieren kann, muss das Cochlea-Implantat unter die Kopfhaut. Die dünne Schnur muss so geführt werden, dass sie vom Implantat bis zum Erbsen-großen Hörschneckenhaus reicht. Die Spitze dieser Schnur muss in die Windung der Schnecke geschoben werden. Und zwar genau so, dass die winzigen Elektroden dort sitzen, wo die ausgegurkten Haarzellen nicht mehr mitspielen (siehe das Foto einige Absätze weiter). Für all das muss man operiert werden – in einer spezialisierten CI-Klinik.

1978 dauerte es fast neun Stunden, bis der australische Professor Graeme Clark seinem ersten CI-Patienten das Implantat eingesetzt hatte. Heute braucht man dafür zwei bis drei Stunden, und die Ärzte nennen das Ganze einen Routine-Eingriff. Das heißt, diese OP wurde schon tausende Male gemacht, die Chirurgen kennen sich damit aus, und eigentlich sollte es gut gehen. Dennoch ist es eine Operation – und das am Kopf. Da ist es immer ratsam, sich gut zu informieren. Letzten Endes ist es eine Entscheidung, die man selbst treffen muss – für sich selbst oder auch für das eigene Kind. Es ist gut, wenn man den Ärzten vertraut. Aber die Entscheidung können sie einem natürlich nicht abnehmen.

Das Hören anschalten

Ist die Operation beendet, hört man erst mal noch nichts. Man liegt in einem Klinikbett, hat einen Kopfverband, ist vielleicht froh, dass die OP vorbei ist, und vermutlich ziemlich geschafft. Nach ein paar Tagen kann man wieder nach Hause.

Cochlea-Querschnitt (Modell)

Mit dem Anschalten des CI musste man bisher noch mehrere Wochen warten, damit alles verheilt war. Inzwischen gibt es Kliniken, in denen es schon nach wenigen Tagen weitergeht: Der Sprachprozessor wird ans Ohr angelegt, die Magnetspule auf den Magneten unter der Haut gesetzt. Und dann wird „aktiviert“.

Das ist natürlich nicht irgend so ein Moment. Die Menschen, die ich zu ihrem Hören mit dem CI interviewe, können sich an diesen Moment immer sehr gut erinnern – es sei denn, sie waren noch zu klein und haben alles nur erzählt bekommen. Es wird ein Schalter umgelegt, und dann passiert etwas.

Auf YouTube findest du Filme, in denen dieser Moment festgehalten ist. Man sieht dort Leute, die völlig aus dem Häuschen sind, die fassungslos sind, weinen… Ich glaube schon, dass diese Aufnahmen echt sind. Sie kommen meist aus den USA. Und vielleicht erinnern sie mich deshalb so an Hollywood-Filme. Als wären sie die Aufnahmen von einer Art Happy-End. Oder wie so eine Art Wunderheilung. – Plötzlich können alle wieder hören, sehen, laufen. Und dann fällt der Vorhang und man weiß, jetzt ist alles gut…

Für die CI-Träger und CI-Trägerinnen, mit denen ich bisher gesprochen habe, hatte dieser Moment oft wirklich etwas Wunderbares. Sie haben wieder etwas gehört. Manche haben sogar schon sehr schnell etwas verstanden. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass mir jemand diesen Moment als Happy-End beschrieben hätte. Eher schon als einen bewegenden, erstaunlichen, aufregenden, vielleicht aber auch als einen irritierenden oder befremdlichen Moment. Es ist eben kein glückliches Ende. Es ist eigentlich der Moment, in dem der Weg zu einem neuen Hören überhaupt erst beginnt.

Und wie klingt nun das CI?

Wie das Hören mit einem CI klingt, weiß ich natürlich auch nur aus den Interviews. Und in denen fiel mir auf, dass die Antworten sehr, sehr unterschiedlich ausfallen. Es kommt vor, dass der eine das sagt, und der andere genau das Gegenteil. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Geschichte mit dem Micky-Maus-Stimmen hören (ich glaube, man darf Sie „Micky Maus“ oder „Mickey Mouse“ schreiben). Manche CI-Träger erzählen nämlich, Stimmen von anderen Menschen hätten am Anfang genauso geklungen, also so hoch, gequetscht und drollig. Vor allem hohe Stimmen – also die von Frauen und von Kindern – hätten so wie die von Mickey Mouse oder Donald Duck geklungen. Andere CI-Träger*innen haben mir versichert, dass an der Sache mit dem Micky-Maus-Stimmen hören überhaupt nichts dran ist. Bei ihnen hätte sich jedenfalls niemand wie eine Micky Maus angehört.

Was ich aus den Gesprächen sicher über das CI-Hören sagen kann, sind insbesondere zwei Dinge: Zum einen hört jeder anders; und zum zweiten verändert sich das, was man hört, über Wochen, Monate, Jahre.

Wärmebild

Über den Beginn ihres neuen Hörens erzählte mir Frau A.: „Es gab nur Geräusche, die ich nicht definieren konnte. In mir sträubte sich alles gegen das, was mein neues Hören sein sollte. Die Therapeutin spielte mir ein Geräusch vor und erklärte mir, dass es das Quaken einer Ente sei. Ich aber beschwerte mich, dass eine Ente unmöglich so klingen kann. Ich wollte all das nicht akzeptieren. Bis zu dem Punkt, an dem ich mir sagte: ‚Du kannst jetzt weiter bocken, oder du lässt dich auf das Spielchen ein!‘ Und ich beschloss: Dann lasse ich mich jetzt auf dieses neue Hören umpolen; was anderes blieb mir sowieso nicht übrig. Es war tatsächlich, als würde etwas in meinem Kopf umgepolt. Und siehe da, plötzlich ging es. Das erste Wort, das ich wieder verstand, war ‚Autobahn‘. Nach 13 Wochen erreichte ich beim Sprachverstehen bereits 75 Prozent.“

Frau J. hingegen, die ungefähr so alt ist wie Frau A., konnte mit ihrem CI gleich Sprache verstehen: „Nach dem Aktivieren des Prozessors für mein erstes CI hat der Professor hinter vorgehaltener Hand Zahlen gesprochen. Er ging in den Nachbarraum und sprach von da aus, und er ließ mich telefonieren. Ich konnte all das hören. Aber mit Geräuschen hatte ich meine Probleme. Ich kam von der Anpassung zurück und wollte die Hände waschen. Ich drehte den Wasserhahn auf. Aber das Wasser klang so ungewohnt, dass ich es nur erstaunt ansah. Ich war so perplex, dass ich den Wasserhahn wieder zudrehte ohne die Hände zu waschen. Und ich ging nach draußen, weil ich Geräusche hören wollte. Es war total spannend. Am Brunnen schnatterten die Vögel wie Enten. Und der Verkehrslärm hörte sich komplett anders an. Richtig gut ging es mir von Anfang an mit Sprache. Geräusche kann ich auch heute nicht immer zuordnen und nicht lokalisieren. Aber das ist ja nicht so schlimm. Das unterliegt auch der Übung, und es ist besser geworden. Vom Cochlea-Implantat bin ich nach wie vor fasziniert.“

Sprache und Geräusche neu erlernen

Herr S. aus Hannover erzählte mir vom CI-Hören: „Das war eine Erfahrung, die mit unwahrscheinlich vielen neuen Entdeckungen einher ging. Mit einem Mal hörte ich Sachen, die ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört hatte – oder die ich längst vergessen hatte. Als ich z. B. in meinem Auto saß, dachte ich, es sei etwas daran kaputt. Es gab darin so viele, mir bislang unbekannte Geräusche. Ich habe meinen Sohn gebeten, eine Probefahrt mit meinem Auto zu machen. Er bestätigte mir jedoch, dass mein Auto vollkommen in Ordnung sei. – Es ist gar nicht so einfach, wenn man mit einem Mal so viele neue Geräusche hören kann. Man muss wieder lernen, sie richtig einzuordnen.“

Wärmebild des Autors

Während Herr S. im Unterschied zu Frau J. Geräusche ganz schnell und vielfältig hören konnte, war es mit dem Verstehen von Sprache für ihn nicht so einfach: „Das zu lernen, war mit einer Menge Arbeit verbunden. Meine Frau hat mich dabei sehr unterstützt. In den Wochen nach der Erstanpassung haben wir täglich dreimal eine bis anderthalb Stunden geübt. Das Verstehen von Zahlwörtern ging gleich ganz gut. Aber die ganze Sprache zu verstehen, das bedarf einer Menge Übung. Ich denke, das häusliche Training, das ich in den ersten sechs Wochen absolviert habe, war ganz entscheidend für mein gutes Hören heute. Ich würde das jedem empfehlen. Man sollte von Anfang an versuchen, intensiv zu hören und das Hören gezielt zu üben.“

„Als ich heimkam, dachte ich, wir haben einen Wasserschaden“, erzählte mir der Politiker Günther Beckstein über seine ersten Höreindrücke mit dem CI: „Mir schien es, als wenn in unserem Wohnzimmer etwas tropfen würde. Aber als ich meine Frau fragte, was da tropft, meinte sie nur: ‚Ich hör nix.‘ – Dann aber hat sich herausgestellt, dass es das Ticken unseres Weckers im Schlafzimmer war. Mein Gerät war so fein eingestellt, dass ich das 20, 30 Meter quer durch die ganze Wohnung hören konnte. Das wurde dann etwas reduziert, um die Nebengeräusche zu dämpfen. Aber grundsätzlich war der ganze Prozess der Anpassung sehr viel leichter, als ich erwartet hatte.“

Günther Beckstein gehört übrigens zu den CI-Trägern, die extrem schnell wieder hören und vor allem verstehen konnten: „Die Ärzte hatten mich darauf vorbereitet, dass das ein schwieriger Lernprozess wird, der wochenlang dauert. Ich war dann sehr überrascht, dass es bei mir viel schneller ging. – So herum ist es sicherlich besser, als wenn sie sagen, das geht ganz leicht, und dann dauert es ewig. … Anfangs klang alles sehr blechern. Doch mein Hirn hat sich schnell daran gewöhnt. Heute komme ich hervorragend mit dem CI zurecht. Ich höre viel besser als früher. – Nicht wie ein junger Bursch oder wie ein Luchs; aber ich bin wirklich sehr zufrieden.“

Von der „Plastizität des Gehirns“

Ein paar Elektroden, die Impulse abgeben, und dann hört man was… – Ich finde es schwer vorstellbar, wie unser Gehirn das anstellt. Aber es ist ja auch schwer vorstellbar, wie das akustische Hören mit einem voll intakten Ohr funktioniert…

Foto einer alten Gehirn-Zeichnung

Der amerikanische Rock-Musiker Richard Reed, der auch sein Gehör verlor und CI-Träger ist, hat mir das Hören mit CI mit der „Plastizität des Gehirns“ erklärt. Unser Gehirn ist in der Lage, aus einem sehr begrenzten Input etwas zu entwickeln. Es holt das irgendwo her. Und es lernt ständig dazu, so dass es ihm gelingt, das Hören immer noch besser zu machen. So können z. B. bei weitem nicht alle CI-Träger Musik hören. Aber es gibt auch CI-Träger wie Richard, die das können – und die selbst Instrumente spielen oder als Sänger bzw. Sängerin auftreten. Dazu ein andermal mehr.

PS: Die Bilder zeigen auch diesmal kein CI – sondern einen Micky-Maus-Schallplattenspieler (zum Micky-Maus-Stimmen hören?), eine alte Abbildung von einem Gehirn, zwei Wärmebilder (auf einem bin ich selbst drauf), außerdem einen Modell-Querschnitt der Erbsen-großen Hörschnecke (inkl. Spiegelung meiner Foto-Finger); der rote Pfeil zeigt dir, wo genau die Elektroden in der Schnecke platziert werden müssen.

PS zum PS: Auch Beitrag über das Micky-Maus-Stimmen hören verzichte ich bewusst auf Grafiken oder Abbildungen vom CI. Wie so ein CI aussieht, kannst du dir problemlos an anderer Stelle zusammenklicken. Oder du schaust dich einfach mal um. Man sieht heute immer mehr Leute mit einem CI auf der Straße.

Drittes PS: Micky-Maus-Stimmen hören? Es gibt Demos, die den gut Hörenden zeigen sollen, wie jemand mit dem CI hört. Aber auch diese Demos sind bestenfalls einige von vielen verschiedenen möglichen Höreindrücken. Ich habe CI-Träger gesprochen, die mir versichert haben, dass ihr Hören mit diesen Demos überhaupt nichts zu tun hat.

Letztes PS: Wie schon beim Teil 1 des Beitrags angemerkt, weiß ich, dass es auch Menschen gibt, die ein CI bekommen haben, und damit weniger oder auch gar nicht zufrieden sind (bzw. waren). Mein Eindruck ist, dass die positiven Erfahrungen deutlich überwiegen. Es kann jedoch bislang niemand genau sagen, wie viele der bundesdeutschen CI-Träger*innen mit ihrem CI mehr oder weniger zufrieden sind. Derzeit arbeiten Expert*innen, verschiedene Berufsgruppen und Organisationen der Selbsthilfe an der Schaffung eines so genannten CI-Registers, das dann Antwort geben kann. Warum es beim CI sehr viele tolle Erfolge aber mitunter auch Enttäuschungen gibt, ist auf jeden Fall eine komplexe Geschichte, die hier zu weit führt. Wenn dich das Thema interessiert, dann findest du z. B. in der Zeitschrift Schnecke eine Menge dazu.


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2 Kommentare. Leave new

  • Hallo,
    ein toller Artikel. Ich bin nun selbst mitten in der Anpassungsphase und Intensivlern-Phase. Meine beiden CI’s wurden vor drei Tagen aktiviert. Ich gehöre zu den Mickey-Mouse-Stimmen-Hörern und bin auf der Suche nach ebendiesen Demos bzgl des Vergleichshörens für Normalhörende auf diese Seite gestoßen. Auch eine Praktikantin, die meine Anpassung begleitet, erzählte von diesem Demos. Um meiner enge Familie das Verstehen zu erleichtern, wollte ich Ihnen dergleichen mal vorspielen… können Sie mir einen Tipp geben, wo Beispieldemos zu finden wären?!
    LG

    Antworten

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