Making of Hörgräte

kleine Schöpfungsgeschichte aus Gräte und Ohr
Zeichnungen von der Hörgräte und einem Fisch, sie sehen aus, als würden sie sich unterhalten

Im Blog-Einstieg habe ich dir die Hörgräte bereits kurz vorgestellt. D. h. du weißt bereits, dass es sich bei der Hörgräte um eine Abgesandte der allwissenden Müllhalde Marjorie Google handelt – und zwar um eine Abgesandte mit jeder Menge Allwissen rund ums Hören.

In diesem Beitrag führe ich das mit der Hörgräte noch etwas weiter aus, indem ich dir von ihrer Entstehung berichte. Ich mache das, weil die Hörgräte das Herz dieses Blogs ist. Du befindest dich hier also sozusagen im innersten, intimsten Bereich des Gräten-Blogs und erhältst weitgehende Einblicke in das Wesen der Hörgräte:

Am Anfang war ein Wort

Ganz am Anfang gab es eigentlich nichts weiter als dieses Wort; also eigentlich nur ein Hörgerät, dem das e verrutscht war. Und dann ist der ganze Blog aus diesem einen Wort entstanden. D. h. es kam der Artikel dazu, also das Die. Dann hatte ich die Idee zu diesem Blog und den passenden Namen. Wenn man in anderen Blogs liest, was bei einem Blog besonders wichtig ist, dann weiß man, dass ein passender Blog-Name schon mal was ist, auf jeden Fall mehr als nichts.

Aber ich wollte mich auch nicht zu früh freuen. Was, wenn es schon eine Hörgräte gäbe, die in irgendeinem Blog ihr Unwesen treibt? Es wäre ziemlich ärgerlich, sich erst sonst was auszudenken, um dann festzustellen, dass diese Welt bereits voller Hörgräten ist – und meine Schöpfung nur kalter Kaffee…

Der Hörgräten-Online-Check

Also machte ich mich an die Arbeit und durchwühlte die allwissende Müllhalde Marjorie Google auf der Suche nach bereits existierenden Hörgräten. Das Ergebnis meiner Suche stimmte mich zuversichtlich. Zu „Hörgräte, die“ fand ich lediglich einen winzigen Eintrag auf einer Plattform für Wortneuschöpfungen. Hier wurde die Hypothese aufgestellt, es handle sich bei einer Hörgräte um „Fischknochen im Ohr, die die Sinneswahrnehmung intensivieren.“ Diese Intensivierung beträfe allerdings mehr den Schmerz als das Gehör… Und ein Kommentar ergänzte noch „abgestorbener Babbelfisch, ein Akku-Stick im Lauschorgan“.

Das Wort Hörgräte war also schon jemandem in den Sinn gekommen. So was kann ja vorkommen. Doch die in diesem Beitrag aufgestellte Vermutung darüber, was eine Hörgräte sein könnte, war Quatsch. Eine Gräte im Ohr bringt keinen weiter, ein abgestorbener Babbelfisch auch nicht. Ich konnte das einfach abhaken und mich an die Schöpfung der tatsächlichen Hörgräte machen.

Der Illustrator

Das mit der Schöpfung war nicht so einfach. Denn sich so ein Wesen auszudenken, reicht natürlich nicht. Wenn man eine neue Kreatur schaffen will, dann muss man die auch sehen können. Man muss sich ein Bild von ihr machen. Fotografieren geht nicht, wenn es das Wesen noch gar nicht gibt. Und zeichnen konnte ich die Gräte auch nicht, weil ich nicht gut zeichnen kann – Hörgräten schon gar nicht.

Ich brauchte also Hilfe. Mir fiel der Illustrator Niels Schröder ein. Er kann sehr gut zeichnen, und bei Gelegenheit möchte ich hier über ein anderes Projekt von ihm berichten, das mit Musik zu tun hat. Auf jeden Fall habe ich ihm zugetraut, meine Hörgräte aufs Papier zu bringen. Vorausgesetzt, es würde mir gelingen, ihm zu beschreiben, wie dieses Ding ungefähr aussieht.

Das Hörgräten-Briefing

Es ging also um das, was man unter PR-Menschen, Grafikern und ähnlichen Kommunikationsleuten ein Briefing nennt. Briefing heißt, ich erkläre einem anderen, was er für mich machen soll – so genau es geht. (Ist das Briefing nicht genau, macht der andere nämlich nur irgendwas, und nicht das, was man eigentlich will. Und bezahlen muss man die Arbeit dann trotzdem, weil man ja selbst Schuld ist…)

Also musste ich mir zuerst selbst vorstellen, wie eine Hörgräte aussieht. Ich stellte mir eine Gräte mit Ohren vor. Und ich dachte an die Abbildungen in alten Büchern. Als es noch keine Fotografie gab, wurde alles, was man anderen zeigen wollte, gezeichnet. Entdecker wie Alexander von Humboldt sind um die Welt gereist. Es begegneten ihnen ständig Tiere, die noch niemand kannte – zumindest nicht in Europa. Deshalb haben die Entdecker sie gezeichnet.

Hörgräten-Anreger

Die Hörgräte sollte ein bisschen so aussehen, wie diese alten Tierzeichnungen. Also ungefähr so, wie auf diesem Blatt, das ich in einem alten Bananenkarton auf einem Flohmarkt gefunden habe.

sehr filigrane Zeichnungen von sechs verschiedenen Fischen aus einem alten Buch

Bei meiner Suche nach Anregern für die äußere Gestalt der Hörgräte stieß ich auch noch auf andere Sachen – zum Beispiel im Bücherregal. Als ich das nachfolgende Buch hier nach langer Zeit mal wieder in den Händen hatte, fragte ich mich sogar, ob vielleicht doch schon jemand vor mir die Idee mit der Hörgräte hatte. Zumindest schien mir, als wäre dieser jemand haarscharf an meiner Idee vorbeigeschrammt…

Ausschnitt aus einem Bücherregal, in dem ein Buchcover von vorne zu sehen ist: Günter Grass' Roman der Butt, auf dem Cover ist ein gezeichneter Butt und ein menschliches Ohr, in das der Butt zu sprechen scheint

Aber dann sagte ich mir, dass ein Fisch mit Ohr noch lange keine Hörgräte ist. Ich schickte Niels Schröder mein Gräten-Briefing, das aus ein paar Anmerkungen und aus Abbildungen von Gräten, Ohren und Fischen bestand. Und dann wartete ich gespannt auf den ersten Entwurf.

Die Gräten-Entwürfe

Als die ersten Entwürfe kamen, habe ich die Dateien, in denen sie steckten, andächtig auf den Bildschirm meines Rechners gezogen, ehe ich sie öffnete. Schließlich würde ich sie nun gleich erblicken, die Schöpfung…

sechs kleine Gräten mit lustigen Kugelaugen, die teilweise bunt sind und alle so aussehen, als hätten sie ein Ohr aufgespießt

Dann sah ich mir die ersten Ergebnisse sehr lange an: Gräten mit Ohren… – Ich denke schon, ich bin offen, wenn das, was ein guter Grafiker oder Illustrator macht, ziemlich anders aussieht als das, was vorab in meinem Kopf saß. Tolle Kreative – zu denen Niels Schröder unbedingt gehört – können Dinge machen, die völlig neben den eigenen Vorstellungen liegen – und die viel besser sind als das, was man sich ursprünglich vorgestellt hatte.

Aber in diesem Fall war ich mir sicher, dass es überhaupt noch nicht stimmt. Diese Tierchen waren nett – und irgendwie völlig falsch. Bunt sollten sie nicht sein. Und sie sahen auch nicht wirklich wie Hörgräten aus. Etwas war komisch. Außerdem störte mich, dass sie alle so harmlos und lieb aussahen. Das Leben ist schließlich kein Pony-Hof und das hier kein Kinderprogramm. Also sollte meine Hörgräte nicht aussehen wie ein Honigkuchen-Seepferdchen, dem gerade das rosa Einhorn begegnet ist; also eher ein bisschen grimmig.

zwei Gräten mit Ohren zwischen den Grätenzacken, die Gräten haben Köpfe mit Augen und Mund und gucken grimmig

Niels Schröder schickte mir dann grimmigere Gräten. Aber eine echte Hörgräte war immer noch nicht dabei. Es ging nicht zusammen. Es gab die Gräte und das Ohr, aber sie ergaben kein ganzes, in sich geschlossenes Wesen – eher so etwas wie Schaschlik-Spieße. Wer sollte da schon auf die Idee kommen, dass das Hören ein wesentlicher Teil der Gräte ist?!

Es ist doch so: Das Gehirn sperrt sich gegen die Vorstellung von Dingen, die so gar nicht der eigenen Erfahrung entsprechen – gegen hörende Gräten zum Beispiel. Also musste die Darstellung absolut zwingend werden, so dass dem Gehirn gar nichts weiter übrig blieb, als sich auf diese Vorstellung einzulassen. Mit etwas mehr Grimmigkeit war da noch nicht viel erreicht. Die Schöpfung brauchte ein paar radikale Veränderungen: Das Ohr musste direkt an den Kopf, damit die Gräte tatsächlich hören kann. Und die Augen störten. Gräten haben in der Regel Augen, und die blicken nicht gerade fröhlich oder grimmig, eher ziemlich tot. Eine Hörgräte hingegen braucht gar keine Augen, denn sie kann schließlich hören. Und außerdem sollte sie nicht nur grimmig sein, sondern auch noch ein bisschen wehrhaft und bissig. Es müsste nicht gleich der Weiße Hai aus ihr werden. Aber so ein bisschen Piranha-mäßig wäre schon fein. Also bestellte ich der Gräte bei Niels Schröder auch noch kleine, spitze Zähne.

zwei Gräten mit Ohren und sehr kleinen Schwanzflossen, aber ohne Augen

Als die neuen Gräten kamen, wusste ich zwar, dass sie immer noch nicht ok sind. Aber ich wusste auch, dass wir der Sache schon ein gutes Stück nähergekommen waren. Ich fand, dass das Ohr noch nicht so richtig zur Geltung kam. Es ging zu sehr unter. Wer nicht wusste, dass das ein Ohr ist, hätte es vielleicht für die Ausläufer eines besonders markanten Gräten-Schädels halten können. Also bitte dieses Ohr deutlicher absetzen…

die Zeichnung einer Gräte, die am Kopf keine Augen hat, dafür ein riesengroßes menschliches Ohr; die Gräte hat kleine, spitze Zähne; es ist noch nicht die fertige Hörgräte, denn das Ohr sitzt nocht nicht richtig am Kopf und die Schwanzflosse sieht aus wie ein kleiner Propeller

Niels Schröder setzte das Ohr deutlicher ab. Das Ohr an sich fand ich jetzt auch prima. Nur dass sich die Sache wieder gefährlich in Richtung Schaschlik-Spieß entwickelte. Es musste noch klarer werden, dass das Ohr an den Gräten-Kopf gehört. Und das Ohr musste noch größer werden. Außerdem sollte der Schwanz nicht so aussehen wie die kleinen Propeller an einem lustigen, gelben Unterseeboot. Bitte auch noch einen schnittigen Gräten-Schwanz, ein bisschen mehr Killer-Flosse…

die Zeichnung einer Gräte, die am Kopf keine Augen hat, dafür ein riesengroßes menschliches Ohr; die Gräte hat kleine, spitze Zähne und eine spitze, große Schwanzflosse; es ist noch nicht die fertige Hörgräte, denn das Ohr sitzt nocht nicht richtig am Kopf

Was dann kam, war eigentlich fast schon perfekt. Nur dass die Gräten-Spieße ungefähr die gleiche Länge haben sollten. Und es störte mich noch, dass die Stelle, an der Ohr und Grätenkopf zusammengingen, durchgezeichnet war. Nach meinem Gefühl erschwerte das die Vorstellung, dass Gräte und Ohr zusammengehören.

Für Niels Schröder waren diese Korrekturen nach all dem Hin und Her kein großer Akt mehr. Postwendend landete sie in meinem Postfach: die tatsächliche, einzig wahrhaftige Hörgräte. Genau so, wie ich sie mir immer schon vorgestellt hatte…

die Zeichnung einer Gräte, die am Kopf keine Augen hat, dafür ein riesengroßes menschliches Ohr; die Gräte hat kleine, spitze Zähne und eine spitze, große Schwanzflosse

PS: Weil so eine Schöpfung ja eine freudvolle Angelegenheit ist, kommt dieser Artikel in die Rubrik Hör-Freuden. Und nur für den Fall, dass hier jemand einen guten Illustrator mit starken Nerven sucht: www.niels-schroeder.de.


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