CI steht für Cochlea-Implantat

Wie hört man mit einem elektronischen Ohr? (Teil 1)
Riesenrad in der Nacht

Weißt du, was ein Cochlea-Implantat ist? Hast du schon mal eins gesehen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass du schon eins gesehen hast. Heute sieht man überall Leute mit CI. Die Leute, die ein CI haben, sind völlig verschieden – von ganz klein bis ganz schön alt. Und es gibt in Deutschland immer mehr CIs, inzwischen über 50.000. Manche haben gleich zwei – also am linken und am rechten Ohr. Die meisten Menschen mit Cochlea-Implantat haben jedoch nur ein CI und am anderen Ohr ein Hörgerät oder noch andere Technik oder auch gar keine Technik.

Also sehr wahrscheinlich hast du schon so etwas gesehen – und es dann nur nicht erkannt. Wenn man sich damit nicht auskennt, hält man ein Cochlea-Implantat wahrscheinlich einfach für ein Hörgerät. Es fällt dann höchstens auf, dass an dem Hörgerät noch ein Kabel ist, das zur Seite wegführt. Und an dem Kabel ist ein rundes Ding, das irgendwie hinten am Kopf hält. Eventuell hast du die ganze Geschichte aber auch nicht für ein Hörgerät gehalten, sondern für irgendein Musik-Teil. – Günther Beckstein, der Politiker, ist der vermutlich bekannteste deutsche CI-Träger. Und er hat mir in einem Interview erzählt, dass ihm sowas schon passiert ist. Er war zu einer Talkshow im Fernsehen, und die Moderatorin Maybrit Illner soll zu ihm gesagt haben: „Aber wenn wir dann senden, Herr Beckstein, nehmen Sie Ihren MP3-Player doch bitte ab…“

Also, es ist gar kein Problem, wenn du ein CI noch nicht von einem Was-auch-immer unterscheiden kannst. Du wärst nicht der bzw. die einzige. Und wenn du weiterliest, wird dir die Hörgräte diese Wissenslücke nun schließen. – Was also ist ein Cochlea-Implantat?

Ein Implantat für die Hörschnecke

Was ein Implantat ist, weißt du vermutlich. Eine Art Ersatzteil, das in den Körper eingebaut wird. Und davon gibt es ja mittlerweile jede Menge: Zahn- oder Brustimplantate, Gefäßprothesen, künstliche Hüftgelenke, Herzschrittmacher usw. In den letzten 50 bis 100 Jahren wurden immer neue und bessere menschliche Ersatzteile entwickelt – aus unterschiedlichen Gründen. Manche Implantate sind überlebenswichtig. Manche sind nur dazu gut, dass man irgendwie anders aussieht oder sich besser fühlt. (Ich würde sagen, das CI ist so dazwischen. Es ist nicht überlebenswichtig. Aber ich bin vielen Menschen begegnet, die ein CI haben und es auf keinen Fall wieder hergegeben hätten.)

Soweit zum Implantat. – Was nun die Cochlea bzw. die Hörschnecke ist, weißt du, wenn du die dritte der drei Expeditionen ins Ohr gelesen hast. Die Cochlea ist ein erbsengroßes Teil, das hinter dem Trommelfell und dem Mittelohr sitzt, innen wie eine Schnecke gewunden ist und kleine Härchen hat. Über diese Härchen wird alles, was wir hören, aufgenommen und in Richtung Gehirn weitergeschickt. Im Gehirn wird dann geklärt, was wir hören und wie wir es zu verstehen haben. Und genau für dieses erbsengroße Schneckchen gibt es das Cochlea-Implantat oder einfach: CI. Mitunter wird das CI auch Innenohrprothese genannt bzw. – noch allgemeiner ausgedrückt – Hörprothese.

Wofür braucht man ein CI?

Ich glaube, dass viele Leute sich gar nicht richtig vorstellen können, wie es ist, wenn man schlecht hört. Deshalb kommt es auch vor, dass Leute über Jahre nicht merken, dass sie selbst schlecht hören. Man denkt, es gibt nur gutes oder schlechtes Hören. Aber das stimmt nicht. Es geht nämlich fließend in einander über. Das Gehör verändert sich im Laufe eines Lebens. Und meist ist es nicht von jetzt auf gleich weg, sondern es verschwindet ganz allmählich. Viele Leute hören schlecht und haben keine Hörgeräte, obwohl sie welche bräuchten. Diese Leute hören trotzdem noch eine ganze Menge. (Dazu an anderer Stelle mehr.)

Hochhaus bei Nacht

Bei denjenigen, die für so ein Cochlea-Implantat infrage kommen könnten, sieht es anders aus – zumindest bei dem Ohr, für das ein Cochlea-Implantat infrage kommt. Zum einen geht es um Kinder, die taub bzw. mit sehr, sehr starkem Hörverlust zur Welt kommen. Zum anderen geht es um Menschen jeden Alters – vor allem auch um immer mehr ältere Menschen, die irgendwann in ihrem Leben so viel von ihrem Hörvermögen verlieren, dass selbst die stärksten Hörgeräte nicht mehr helfen können.

Hörende Welt und Welt der Stille

Für all diese Menschen kann das CI eine Möglichkeit sein, in der Welt des Hörens zu leben – um in dieser Welt aufzuwachsen oder in sie zurückzukehren. „Welt des Hörens“ klingt für dich vielleicht ziemlich groß und gewaltig. Aber Menschen, die mehr oder weniger gar nicht hören können, unterscheiden tatsächlich zwischen zwei Welten – der des Hörens (bzw. der hörenden Welt) und der Welt der Stille (bzw. der gehörlosen oder nicht hörenden Welt). Das entspricht ihrer Lebenserfahrung. Und nachdem ich durch meinen Job immer mal mit dieser anderen Welt der Stille zu tun hatte (ohne sie je betreten zu haben), würde ich auch sagen, dass das eine andere Welt ist.

Das Cochlea-Implantat ist bisher die einzige Technik, die es schafft, einen verlorenen menschlichen Sinn wiederherzustellen. Es ermöglicht tauben Menschen, zwischen den beiden Welten hin und her zu wechseln. D. h. sie sind eigentlich taub. Schon wenn die Batterie oder der Akku ihrer Hörtechnik leer ist, sind sie völlig taub. Sie erklären dir z. B., dass sie dann die Sirene einer Feuerwehr gar nicht mehr hören. Einen startenden Düsen-Jet in unmittelbarer Nähe hören sie vielleicht noch ganz leise.

Aber mit der Technik können sie Worte verstehen und Geräusche wahrnehmen. Und die Kinder, die gehörlos geboren wurden, können auch sprechen lernen – also sprechen mit Worten aus Schall. Letzteres scheint vielleicht spitzfindig, ist aber wichtig: Denn sprechen lernen kann man ja auch mit Gebärdensprache. Wie der Name schon sagt, ist auch das eine Sprache – aus Worten bzw. Gebärden, mit einer Grammatik und allem, was zu einer Sprache gehört. (Und deshalb ist es auch völliger Unsinn, gehörlose Menschen „stumm“ oder „taub-stumm“ zu nennen. Denn sie sind keinesfalls stumm. – Auch dazu an anderer Stelle mehr.)

Wie funktioniert ein CI?

Jetzt kommt der komplizierteste Teil des Artikels; daher gleich vorweg: So ganz genau kann man noch gar nicht erklären, wie das funktioniert. Ich habe mal ein Interview mit einem der bedeutendsten CI-Forscher geführt – mit dem australischen Professor Graeme Clark, der selbst ein Cochlea-Implantat entwickelt und damit dann 1978 erstmals überhaupt einem Patienten zurück zum Hören verholfen hat. Auf die Frage, was er am Cochlea-Implantat am erstaunlichsten findet, sagt Professor Clark: „Das es funktioniert.“

verwackeltes Hochhaus bei Nacht

Also, wir werden hier nur so ungefähr erklären, wie das vor sich geht: Erst einmal geht es um Schall. Schall kommt immer als Welle. Der Schall dringt in die Ohrmuschel und durch den Gehörgang. Er bringt das Trommelfell zum Schwingen, was die Knöchelchen dahinter in Bewegung versetzt. Und dann geht es durch Flüssigkeit weiter in kleinen Wellen bis zu diesen Härchen in der Erbsenschnecke. Das ist ein ziemlich ausgeklügeltes Spielchen, wie der Schall bis zu den Härchen kommt. Wenn die Härchen jedoch abgenuddelt sind, wie die Borsten einer alten Zahnbürste, dann klappt es mit dem Hören nicht mehr.

Nimmt man jetzt ein Hörgerät, wird dieses ganze Spielchen mit dem Schall im Prinzip nicht verändert. Schall bleibt Schall. Das Hörgerät macht ihn nur stärker und bearbeitet ihn. So dass er in der kleinen Schnecke doch wieder ankommt und dort von denjenigen Härchen, die noch mitspielen, aufgenommen wird. (Bei modernen Hörgeräten werden dafür in jeder Sekunde tausende Rechnungen gerechnet, mit unendlichen Reihen aus Einsen und Nullen. Es ist unendlich kompliziert und ausgekocht, ändert aber nichts daran, dass Schall hier Schall bleibt.)

Aber was soll ein Ohr noch mit Schall, wenn die Schnecken-Härchen überhaupt nicht mehr mitspielen?! – Genau an diesem Punkt kommt das CI ins Spiel. Auch das nimmt den Schall auf. Es gibt dieses Teil, das wie ein Hörgerät aussieht und hinter dem Ohr sitzt (manchmal auch etwas woanders). Dieses Teil, das Sprach- oder auch Soundprozessor heißt, hat Mikrofone. Die nehmen Schallwellen auf. Der Schall wird dann jedoch nicht einfach nur bearbeitet. Aus dem Schall wird vielmehr etwas anderes: elektrischer Strom.

Alle Worte, Klänge, Geräusche werden zu Strom. – Das heißt, zuerst einmal nimmt ein Mikrofon sie auf, und der Prozessor verwandelt sie in digitale Signale – etwa so, wie bei modernen Hörgeräten auch. Doch dann fließen die Signale von dem Gerät hinterm Ohr über ein Kabel bis in die Spule.

Die Spule ist dieses runde Ding, das am Hinterkopf sitzt. Sie wird dort von einem Magneten gehalten. D. h. wenn du die Spule abnimmst, sieht der Kopf so aus wie jeder andere Kopf. Aber unter der Haut, dort, wo die Spule sitzt, liegt das Implantat. Es ist flach, nur wenige Millimeter hoch und vielleicht sechs mal vier Zentimeter groß. Und es hat auch einen Magneten. Die Spule außen und das Implantat unter der Haut halten also über ihre Magneten zusammen.

Und die beiden tauschen sich aus. D. h. die Spule sendet die digitalen Signale fortlaufend zum Implantat. Und das Implantat empfängt das, verwandelt es in kleine Strom-Impulse und gibt die weiter. Über eine sehr dünne, geschmeidige Metallschnur geht alles bis in die erbsengroße Schnecke. Und dort, bei den ausgegurkten Härchen, sitzen kleine Elektroden. Die geben den Strom als kleine, elektrische Impulse weiter in Richtung Hörnerv und Gehirn. Das heißt also: Das eigentliche Ohr – mit Gehörgang und Mittelohr – bleibt außen vor. Das ganze Gehörte kommt durch eine Art Hintertür bis in die Schnecke.

ein Schiff fährt in einen Funken sprühenden Tunnel

Jeder kleine Mucks verwandelt sich in winzige Stromimpulse, die in Richtung Gehirn senden. Alles geht elektrisch direkt in die Schneckenerbse. – Und wie man dann hört, davon erzähle ich dir in der kommenden Woche.

PS: Die Abbildungen sind natürlich keine Cochlea-Implantate. Vielmehr habe ich Motive genommen, die zeigen, wie ich mir das elektrische Hören mit einem CI vorstelle. Man sieht eigentlich nur Lichtpunkte (die hier auch elektrisch sind), aber das Gehirn schafft es, daraus ein Bild zu formen: ein Riesenrad, einen Wohnblock in Berlin-Köpenick oder einen Tunnel, in den ein Schiff fährt.

PS zum PS: Wie ich dir auch im Einstieg in den Hörgräten-Blog erkläre, verzichte ich bewusst auf Abbildungen aktueller Hör-Produkte. Aber du kannst im Internet überall Bilder zum Cochlea-Implantat finden.

Und noch ein PS: Wie schon gesagt, treffe ich immer wieder Menschen, die eigentlich taub sind, aber mit ihrem CI hören und Sprache verstehen. Oft können sie mit dem CI sogar Musik hören – und genießen. Ich weiß jedoch, dass es auch Menschen gibt, die ein CI bekommen haben, und damit weniger oder auch gar nicht zufrieden sind (bzw. waren). Mein Eindruck ist, dass die positiven Erfahrungen deutlich überwiegen. Es kann jedoch bislang niemand genau sagen, wie viele der bundesdeutschen CI-Träger*innen mit ihrem CI mehr oder weniger zufrieden sind. Derzeit arbeiten Expert*innen, verschiedene Berufsgruppen und Organisationen der Selbsthilfe an der Schaffung eines so genannten CI-Registers, das dann Antwort geben kann. Warum es beim CI sehr viele tolle Erfolge aber mitunter auch Enttäuschungen gibt, ist auf jeden Fall eine sehr komplexe Geschichte, die hier zu weit führt. Wenn dich das Thema interessiert, dann findest du z. B. in der Zeitschrift Schnecke eine Menge dazu.


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