Wenn von Ohren die Rede ist, sind meist nur die Ohrmuscheln gemeint – und nicht das, was sonst noch zum Ohr gehört. Die Welt ist voller sehr verschiedener Ohrmuscheln, die meist paarweise auftreten. Es gibt (bzw. gab) populäre Ohrmuscheln wie die von Hans-Dietrich Genscher, Prinz Charles oder Mickey Mouse. Es gibt sagenhafte Ohrmuscheln wie die von Gollum oder den Elben im „Herr der Ringe“. Es gibt außerirdische Ohrmuscheln wie die von Commander Spock oder Jedi-Meister Yoda. Und wer mal populär, sagenhaft, außerirdisch oder einfach nur ziemlich seltsam aussehen will, bekommt all diese Ohrmuscheln online zu kaufen. Yoda-Ohren gibt es sogar für Hund und Katze…
Ohrmuscheln – irgendwie clever
Grundsätzlich hat sich die Natur eine Menge einfallen lassen, als sie sich Ohrmuscheln ausdachte. Da wäre zuerst mal die Form, die bei den meisten Ohren irgendwie an Trichter erinnert. Sicherlich hat die Natur auch noch perfektere Trichter hervorgebracht, Vulkankrater zum Beispiel. Aber wer will schon Vulkankrater am Kopf haben?! Und außerdem macht es schon Sinn, dass unsere Ohrmuscheln nicht rundum geschlossene Trichter sind. Schließlich kommt das, was wir hören wollen, sehr oft von vorne.
Dass so ein Trichter am Kopf für das Hören vorteilhaft ist, kannst du leicht überprüfen. Du legst einfach eine Hand als Trichter hinter deine Ohrmuschel. Es ist sehr wahrscheinlich, dass du mit dieser Hand am Ohr irgendwie besser hörst. Und wenn du in der Küche, im Keller oder sonst wo einen Trichter findest und dir den ans Ohr hältst, hörst du damit vermutlich noch etwas besser.
Eine Welt voller Trichter
Alle Trichter haben mehr oder weniger die gleiche Form. Sie heißt konisch. Eine Seite großes Loch, auf der anderen ein kleines; und dann geht da was durch, in die eine oder andere Richtung. Man gibt oben etwas rein – Sand, Puderzucker oder Brennspiritus, und es kommt unten durch das kleine Loch wieder raus. Mit Worten, Musik oder Geräuschen funktioniert es auch. Die Menschen haben sehr früh gemerkt, dass das mit dem Schall und den Trichtern in beide Richtungen geht. Sie haben durch Tierhörner geblasen, um weiter weg noch gehört zu werden. Und sie haben sich die abgesägten Trichterhörner an die Ohren gehalten, wenn das Gehör nachließ. Zumindest geht man davon aus, dass das die ersten Hörrohre waren.
Die Welt des Schalls ist voller Trichter. Hörrohre, Flüstertüten, Tröten, Hupen, Grammophone, Flöten, Hörner und Trompeten – eine einzige Sammlung künstlicher Trichter, durch die der Schall in die eine oder die andere Richtung geht. Und die – da ist sich die Hörgräte sicher – alle auf einen Ursprung zurückzuführen sind: auf die Ohrmuschel.
Und es scheint einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Trichtern, Ohren und Erkenntnis zu geben. Denn man spricht von „eintrichtern“, wenn man jemandem was beibringen muss; man „bringt jemanden auf den Trichter“, wenn man schafft, dass der andere etwas kapiert. Es gibt den „Nürnberger Trichter“ usw. Wenn man sich vorstellt, dass Wissen durch einen Trichter in den Kopf soll, dann geht das eigentlich nur, wenn der Trichter am Ohr sitzt. Sitzt der Trichter am Mund, geht die Erkenntnis nicht ins Hirn, sondern landet im Magen.
Zwei Ohren machen Sinn
Essen macht seltener klug als Hören: Unsere Ohr-Trichter fangen Worte und Geräusche auf. Wir hören das. Und wir wissen oft sogar, aus welcher Richtung es kam. Das verdanken wir dem Umstand, dass wir zwei Ohren haben. Der Schall trifft erst auf das eine Ohr, dann auf das andere. Das Gehirn gleicht das ab, denkt sich seinen Teil, und schon wissen wir, dass gleich ein Auto von rechts kommt.
Unsere Ohrmuschel verändert die ankommenden Schallwellen aber auch. Die Wellen werden gebeugt und gebrochen. Das ist nicht anders als bei Wasserwellen, die auf eine schmale Öffnung treffen und durch sie hindurch müssen. Die Ohrmuschel führt die Schallwellen zusammen, und sie fließen dann sozusagen geballt in den Gehörgang.
Und die Ohrmuschel macht noch etwas: Sie lässt den Schall nicht nur rein, sie hält ihn auch ab. Sie sorgt zum Beispiel dafür, dass nicht zu viel Windgeräusch ins Ohr bläst. Und sie schützt das Ohr vor Käfern und anderem Viehzeug.
Tierische Ohrmuscheln
Festhalten muss man allerdings, dass Ohrmuscheln bei Menschen längst nicht mehr so wichtig sind wie bei sehr vielen Tieren. Tiere haben deshalb oft viel größere Ohrmuscheln als Menschen. Und sie können die sogar drehen. Tiere brauchen das, um rechtzeitig zu merken, ob jemand kommt, der einen fressen will – oder jemand, den man fressen kann. Hase, Fuchs und Reh würden ziemlich alt aussehen, wenn sie ihre Ohren nicht drehen könnten. Katzenohren sollen 32 Muskeln haben. Damit können Katzen die Ohrmuscheln aufstellen, abkippen und um 180 Grad drehen. Und deshalb ist es auch ziemlicher fies, einer Katze Yoda-Ohren zu kaufen.
Manche Leute können immerhin mit den Ohren wackeln. Mein Großvater konnte das zum Beispiel. Aber ich bekomme es bis heute nicht hin. Vor tausenden Jahren soll die gesamte Menschheit Wackelohren gehabt haben. Unsere Vorfahren waren in der Lage, ihre Ohren in verschiedene Richtungen zu strecken und so Gefahren zu checken. Wer heute noch mit Ohren wackeln kann, hat einen kläglichen Rest dieser Fähigkeit abbekommen. Man geht davon aus, dass unsere Ohrmuskulatur im Laufe der Evolution total verkümmert ist. Wir haben sie einfach nicht mehr benutzt. Schade eigentlich…
PS: Die Fotos zeigen vermutlich eine ziemlich gefährliche Katze mit Yoda-Ohren, einen ziemlich imposanten Tuba-Trichter und ein ziemlich großes Ohr. Letzteres ist vom Eingang der Musikhochschule Münster – und es leuchtet nachts tief orange.