Für meine Arbeit treffe ich häufig Journalisten – Blogger und YouTuber auch. Meist geht es darum, ihnen etwas über Hörgeräte oder auch über andere Hörtechnik zu erzählen. Manche sind mit diesen Themen schon vertraut. Aber das sind eher die Ausnahmen. (Also, zumindest unter den Journalisten, Bloggern oder YouTubern, die ich zum ersten Mal treffe, sind diejenigen, die sich damit auskennen, eher die Ausnahmen.)
Die meisten hingegen geben frei heraus zu, dass sie von Hörgeräten keine Ahnung haben. Sie finden das auch gar nicht schlimm. Denn im nächsten Satz erklären sie mir dann, dass sie sich für so was wie Hörgeräte sowieso nicht interessieren. Ihre Themen wären nämlich ganz andere, also zum Beispiel Computer, Mobiltelefone oder das Internet, Lifestyle-Trends, Smart Home, Autos, Games oder Reisen…
Sie nennen mir zich tolle Themen, mit denen sie mir klarmachen wollen, dass ich bei ihnen mit meinen Hörgeräten auf dem völlig falschen Dampfer bin. Das Lustige ist – sie geben mir mit jedem dieser Themen einen Grund, ihnen erklären zu können, warum ich eben nicht auf dem falschen Dampfer bin – und dass sie von Hörgeräten wirklich keine Ahnung haben; aber das hatten sie ja sowieso schon zugegeben.
Als Irmgard fiepte
Kommen wir ins Gespräch, tauchen bei meinem Gegenüber meist doch irgendwelche frühen Erinnerungen an Hörgeräte auf. Natürlich hatten die nie etwas mit der journalistischen Arbeit zu tun. Es geht dann mehr um Großmütter, Großväter, Tanten oder sonst eine Verwandtschaft, die ihm oder ihr wieder in den Sinn kommt. Dort nämlich, in der eigenen Familie, hatte jemand schon mal solche Dinger. Die waren groß; sehr groß. Deshalb konnte auch jeder sehen, dass sie ungefähr die Farbe einer ausgetrockneten Wiener hatten. Und wenn sich „Omma“ oder Tante mit diesen Geräten am Ohr einmal falsch bewegte, dann fiepten sie – so, als wären Irmgard, Edelgard, Hildegard oder wer auch immer gerade zu einem intergalaktischen Date mit grünen Männchen gerufen worden. Jedenfalls hätte man der (oder auch dem) Betreffenden dann jedes Mal ansehen können, wie unangenehm ihr (oder ihm) das war. Außerdem waren sie mit den Dingern sowieso immer unzufrieden, weil die sowieso nie richtig funktionierten…
Solche Sachen kramen meine Gesprächspartner dann hervor. Und ich vermute, dass ihnen mit diesen Erinnerungen gleich noch sonst welche abseitigen, höchst familiären und lang verdrängten Bilder durch den Kopf jagen – zum Beispiel Kuchenteller mit Goldrand, Creme-Torte-Stücken, die man aufessen musste, oder der Anblick von Irmgards, Edelgards bzw. Hildegards lustigen Polizisten-Teekanne…
Jedenfalls bezeichnen wir diese blitzartig auftauchenden Hörgeräte-Erinnerungen hier mal als den uralten „Fluch der Fleischbanane“. Tante Edelgard und ihre fiepende Fleischbanane sitzen tief und fest im kollektiven Gedächtnis. Mein Eindruck ist mitunter sogar, dass dieses Spuk-Bild bei Medienleuten, die sich Tag für Tag mit smarter Technik und hippen Trends auseinandersetzen, regelrechte Fluchtimpulse auslösen kann. Schon das Wort „Hörgerät“ sorgt da mitunter für so ein mulmiges Gefühl.
Meine schwarz glänzenden Hörgeräte
Man braucht Verständnis und ein gewisses Einfühlungsvermögen, um mit solchen Reaktionen umzugehen. Inzwischen gelingt mir das wohl ganz gut. Häufig setze ich mir vor solchen Begegnungen selbst Hörgeräte ein. Ich brauche eigentlich noch keine, aber in bestimmten Momenten bringen sie mir klare Vorteile. In einer lauten Umgebung z. B. bekomme ich die Anrufe vom Mobiltelefon direkt in die Ohren gestreamt, und ich muss mir dann auch nicht den Finger in mein zweites Ohr bohren, um noch irgendwas vom Telefonat zu verstehen. Ich könnte mir auch Nachrichten oder e-Mails vorlesen lassen, Musik hören, ohne völlig von der Umwelt abgeschnitten zu sein, mich navigieren lassen, mir Worte eines fremdsprachigen Sprechers per App übersetzen lassen… – direkt in die Hörgeräte und ohne dass irgendwer das mitbekommt. Auch weil meine Hörgeräte so klein sind, dass die sowieso niemand sieht. Und wenn doch, würde derjenige kleine, schwarz glänzende Teilchen hinter meinen Ohrmuscheln erblicken, von denen er vermutlich kaum sagen könnte, welche Art Technik das ist.
Medienleute sind auch nur Menschen. Und dass ein Gehör irgendwann nachlässt, ist absolut menschlich. Haare werden irgendwann grau, Augen lassen irgendwann nach, Ohren eben auch. Blöd ist hingegen, wenn man das mit den Ohren einfach so hinnimmt – und immer weniger hört. Es gibt Leute, die zehn Jahre und länger warten, ehe sie endlich mal zum Ohrenarzt oder zum Hörakustiker gehen. Nicht wenige warten so lang. Was das für sie und für diejenigen, mit denen sie zusammenleben, bedeutet, betrachten wir an anderer Stelle. In jedem Fall ist es schade, wenn man sich jahrelang von einer so wichtigen Sache wie Hören abhalten lässt, nur weil man eine Fleischbanane, eine fiepende Tante oder eine lustige Polizisten-Kanne im Kopf hat.
Wenn ich mit Medienleuten ins Gespräch komme, zeige ich ihnen dann natürlich, was ich da trage, und was ein modernes, smartes Hörgerät überhaupt ist. Wenn sie wollen, zeige ich ihnen auch, wie ich mein Gehör über App steuern kann, die Richtmikrofone an meinen Ohren auf sie ausrichte, die Umgebungsgeräusche runterregele und all das. Und ich freue mich, wenn ich damit dann landen kann. Wenn mein Gegenüber vielleicht beginnt, so ein völlig zu Unrecht gemiedenes Hörgeräte-Teilchen anders wahrzunehmen. Häufig fallen dann Begriffe wie „cooles Gadget“. Das freut mich natürlich ebenfalls, weil ein Hörgerät ja eigentlich ein Ding ist, das kein Mensch haben will. (D. h. Leute, die schlecht hören, wollen zwar wieder besser hören. Aber ein Hörgerät wollen sie deshalb noch lange nicht tragen…) Und ein „cooles Gadget“ ist ja irgendwie was, was die Leute haben wollen.
Nebenbei auch noch cool
Auch wenn es nicht mal die halbe Wahrheit ist. Denn es ist zwar wunderbar, wenn sich eine Fleischbanane in ein cooles Gadget verwandelt. Aber moderne Hörgeräte sind eigentlich viel mehr. Sie sind Medizinprodukte, die ein nachlassendes Gehör bestmöglich ausgleichen. Sie sind eine Art technisches Gehör, das Tag für Tag deinen eingeschränkten Sinn kompensiert, und das deshalb exakt zu dir passen muss. Dafür braucht man dann Hörakustiker, die wissen, wie sie genau dein technisches Gehör an genau dich ran bekommen. Auch darüber mehr an anderer Stelle.
Wenn ich es mir überlege, ist das, was ich über die Vorbehalte von Medienleuten gegenüber Hörgeräten geschrieben habe, nicht ganz richtig. In den letzten Jahren sind mir immer wieder sehr junge Leute begegnet, häufig Technik-Blogger oder YouTuber, an denen der alte Fluch der Fleischbanane scheinbar vorbeigegangen war. Sie hatten zwar vorher meist auch nicht mit Hörgeräten zu tun. Aber es schien für sie kein Problem, auf dieses Thema zuzugehen. Dann meinten auch sie oft: „cooles Gadget“, und man musste ihnen erklären, dass das im Prinzip schon stimmt, aber eigentlich nicht mal die halbe Wahrheit ist… Einer der schönsten Momente war, als bei einem Pressetermin auf der IFA in Berlin auf unserer Presse-Couch ein sehr liebenswürdiger Herr, Redakteur einer Verbandszeitschrift und bestimmt 80 Jahre alt, Platz nahm – und daneben setzten sich zwei YouTuber, die bestimmt höchstens 18 waren. Und dann hörten sich alle drei etwas über smarte Hörgeräte an, und sie fanden es alle spannend. Das sind so Momente, in denen die Hörgräte hüpft und dem Ohrmän in unserer Sidebar das Herz aufgeht.
PS: Die Bilder zeigen das Wort „Hörgeräte“, das über einem Hörakustik-Fachgeschäft in Berlin-Köpenick steht, dann eine lustige Tee-Kanne und einen Aufkleber des bundesdeutschen Hörakustiker-Handwerks auf einem Umzugskarton. Auf Abbildungen von Hörgeräten verzichten wir bewusst – abgesehen von der kleinen Zeichnung für die Hör-Technik-Rubrik am Anfang. Viel mehr gibt es da eigentlich auch gar nicht zu sehen, denn smarte Hörgeräte sind sowieso so klein, dass man sie kaum sieht. Außerdem ist das Internet voll mit Bildern von Hörgeräten…